Appell
"Regionen, investiert in Selbstwertgefühl", fordert Netzwerkforscher Katzmair

Nicht nach links und rechts schauen, sondern auf sich selbst, alles andere macht unglücklich", rät der Netzwerkforscher Harald Katzmair. | Foto: FASresearch
  • Nicht nach links und rechts schauen, sondern auf sich selbst, alles andere macht unglücklich", rät der Netzwerkforscher Harald Katzmair.
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Es klingt einfach, wie Harald Katzmair, Geschäftsführer von "FASresearch" seine Tätigkeit als Netzwerkforscher beschreibt – und dennoch enthält sie die ganze Komplexität des täglichen Lebens: "Wir versuchen zu verstehen, wie Menschen miteinander verbunden sind und was dadurch entsteht." In diesen "Eco-Systemen", die Neudefinition von Netzwerk, entstehen Produkte und Wertschöpfung. Auf diese Strukturen schaut der Soziologe genau hin: "Und wir überlegen, wie man es besser und vitaler machen könnte."

Netzwerke lösen sich auf

Die Zeiten dafür sind allerdings keine rosigen. "Wir erleben zur Zeit die Desintegration der Netzwerke und die daraus entstehende Polarisierung, sagt der gebürtige Oberösterreicher. Am prekärsten sehe man das am Beispiel der USA, wo ja schon beinahe bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen würden.
Aber auch in Österreich ortet er Phänomene, die man vorsichtig als destabilisierend bezeichnen könnte, sein Erklärungsansatz: Bis in die beginnenden 2000er-Jahre hatten wir mit Typen wie Konrad und Scharinger (Raiffeisen-Manager, Anm. d. Red.) große Figuren, die Netzwerke zusammengehalten haben. In deren Fußstapfen ist bis heute niemand getreten." Ein Vakuum also, das kurzfristige politische Phänomene begünstigt und Polarisierung möglich macht oder wie es Katzmair formuliert: "In die Lücken stoßen kleine, starlk personenbezogene Netzwerke, wie etwa jenes rund um Kurz oder zum Beispiel Burschenschaften."

Social Media statt regionales Netzwerk

Für die Wirtschaft übersetzt heißt das: Während früher CEO's über 20 bis 30 Jahre gemeinsame Wege miteinander gegangen sind, sind heute Manager am Werken, die 3 bis 5 Jahre am Ruder sind. Diese kurzen Zyklen verhindern ein geschlossenes strategisches Handeln, es entstehen, Stichwort "social media", Netzwerke außerhalb der bekannten Strukturen. Was im klassischen Industriezeitalter der Stammtisch, das Arbeiten im selben Unternehmen, der gemeinsame Schulbesuch als Bindeglied waren, funktioniert in der Form nicht mehr und wird durch soziale Medien ersetzt, die einen Nähepol simulieren.
Die daraus entstehende Entwicklung ist auf den ersten Blick eine fatale: "Eine Stadt, die doppelt so groß wie eine andere ist, entwickelt sich nicht doppelt, sondern vier Mal so schnell", zitiert Katzmair Forschungsergebnisse des Briten Forscher Geoffrey West. Das bedeutet? "Kleinere Orte werden bei der Innovation abgehängt, werden vom Innovationsspiel ausgeschlossen." Auf österreichisch: Eisenstadt hat keine Chance gegen Graz, Graz hat keine Chance gegen Wien, Wien hat keine Chance gegen San Francisco ..."
Es gibt also definitiv verschiedene Entwicklungsgeschwindigkeiten, es entstehen Orte, die keine Chance haben. "Genau diese gefühlten Verlierer hat ja zum Beispiel Trump in den USA abgeholt, die kleinen Städte, die gegen New York und Co. keine Chance haben", analysiert Katzmair. Aus dieser Fragmentierung entstehe Polarisierung – "und diese Entwicklung zerreißt uns". Die Metropolen sind die Gewinner, das flache Land liefert nur mehr den "Nachwuchs", den es in diese Zentren zieht. Der Fußball darf hier als Erklärungsmodell dienen: "Der FC Hartberg wird nie wie der FC Bayern sein, die Großen saugen die Talente und die Mittel ab." Es entstehen echte Frontstellungen: "Die Probleme sind ja immer zutiefst ökonomisch. In einer Gesellschaft, die auf Wachstum baut, werden immer mehr Regionen betroffen sein, diese Dynamik müssen wir adressieren."

"Investiert in Selbstwertgefühl!"

Klingt nicht gut, was also tun an der Peripherie, was soll der FC Hartberg tun? "Spiele mit den Karten, die du hast", lautet der Tipp.  Konkret heiß das: "Vergleiche dich nicht mit anderen, vergleiche dich mit dem, was du gestern warst. Man wird nicht größer, wenn man andere abwertet", bringt es Katzmair auf den Punkt. Demnach sollten Regionen für sich Qualitätskriterien definieren, festlegen, wer sie sind, was sie können – und ihre lokalen Heroes definieren. "Was macht einen guten Bäcker, einen guten Bürgermeister, einen guten Weinbauern aus? Das ist nicht Chauvinismus, das ist Selbstwertgefühl. Und in dieses Selbstwertgefühl sollten Regionen investieren. Katzmair verweist in diesem Zusammenhang auf die zahlreichen "hidden champions", die es in Österreich gibt: "Sie alle zeichnet eine eigenständige Kultur aus, sie alle haben etwas Besonderes. Wir müssen nicht immer nach links und rechts schauen. Nicht weil wir ignorant sind, sondern weil es uns unglücklich macht." Und zum Abschluss eine wichtige Botschaft an regionale Medien: "Lokale Heroes schaffen Orientierung und Werte – gebt ihnen eine Stimme."

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