Sensibilisierung
Susanne Strasser über Arbeit mit autistischen Menschen

Susanne Strasser ist die Expertin für Autismus bei LebensGroß. Sie gibt einen Einblick in die Lebenswelt der Betroffenen. | Foto: privat
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  • Susanne Strasser ist die Expertin für Autismus bei LebensGroß. Sie gibt einen Einblick in die Lebenswelt der Betroffenen.
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Susanne Strasser arbeitet mit Menschen im Autismus-Spektrum. Im Interview mit MeinBezirk.at gibt sie einen Einblick in die Lebenswelt der Betroffenen und was sich im gesellschaftlichen Umgang mit diesen Menschen ändern muss.

GRAZ. In den vergangenen Jahren hat die Diagnose Autismus immer mehr zugenommen. Die Autismus-Expertin von LebensGroß, Susanne Strasser, verweist auf internationale Studien, denen zufolge sich etwa ein Prozent der Menschen im Autismus Spektrum befinden. Umgerechnet auf Österreich wären das über 85.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Im Gespräch mit MeinBezirk.at berichtet Strasser von ihrer Arbeit mit den Betroffenen.

  • Frau Strasser, die Autismus-Zahlen nehmen zu. Woran liegt das?

Susanne Strasser: Das Bewusstsein für Autismus steigt. Wo vor einigen Jahren noch eine schizophrene Störung diagnostiziert wurde, wird heute genauer hingeschaut. So steigen natürlich auch die Diagnosen. 

  • Wie kann man sich das Verhalten von Menschen mit Autismus vorstellen?

Kinder im Autismus-Spektrum zeigen oft auffälliges Verhalten, vor allem in der sozialen Interaktion. Da kann es passieren, dass sie zur Kontaktaufnahme zu einem anderen Kind hingehen und dieses schlagen. Das ist natürlich für das Umfeld herausfordernd, zeigt aber nur auf, dass die Kinder und ihre Bezugspersonen Besondere Unterstützung brauchen. Zudem muss die Situation richtig betrachtet werden. Klassisch wäre zu sagen, wenn sich jemand aggressiv verhält, macht die- oder derjenige das mit Absicht. Bei Menschen im Autismus-Spektrum kommt das aber durch fehlende Handlungskompetenzen oder Über- und Unterforderung. Daher spricht man von "herausforderndem" und nicht "aggressivem" Verhalten.

Autistische Kinder zeigen oft ein auffälliges Verhalten, das auch im Umfeld für Konflikte sorgen kann. | Foto: panthermedia/photographee.eu
  • Autistische Kinder zeigen oft ein auffälliges Verhalten, das auch im Umfeld für Konflikte sorgen kann.
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Autistische Erwachsene haben unterdessen oft einen großen Leidensdruck, der durch das geringe Wissen zum Thema entsteht. Manche können beim Blick in Gesichter keine Emotionen erkennen oder sie halten nichts Glänzendes aus, das muss alles weggeräumt werden. Das sorgt natürlich für große Konfliktpotentiale mit dem Umfeld, die auch bei den Betroffenen Selbstzweifel verursachen. Man sieht Autismus ja nicht, sondern steht vor einer Person, die sich von außen betrachtet provokant oder anstrengend verhält. Da wird erwartet, dass sie sich zusammenreißen und sich bemühen zu sein wie andere. Das geht aber nicht. Wir wissen jetzt, dass das Gehirn autistischer Menschen funktional-strukturell anders aufgebaut ist und gewisse Dinge nicht leisten kann.

  • Sie sprechen bei Autismus von einem Spektrum. Warum ist das so?

Die Übergänge bei Autismus sind fließend, man kann niemanden fest verorten. Da gibt es die schwer autistische Person, die ganz versunken in ihrer eigenen Welt ist, und dann haben wir den hochfunktionalen, autistischen Menschen, der fest im Leben steht und nur kleine Hilfen oder Unterstützung braucht. Laut Diagnosehandbüchern ist Autismus eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, aber immer mehr selbstbewusste Betroffene sagen auch: 'Wir sind nicht gestört, sondern einfach anders'. Da tut sich ganz viel und das ist gut so. Früher ging es in der klassischen Verhaltenstherapie darum, jemanden anzupassen. Behindert bin ich aber nicht durch meine Erkrankung oder meine Diagnose, sondern behindert werde ich durch mein Umfeld.

Bei Autismus sind die Übergänge fließend. Manche autistischen menschen stehen fest im Leben, andere brauchen mehr Unterstützung. | Foto: panthermedia/AndrewLozovyi
  • Bei Autismus sind die Übergänge fließend. Manche autistischen menschen stehen fest im Leben, andere brauchen mehr Unterstützung.
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  • Wie gestaltet sich Ihre Arbeit bei LebensGroß?

Unseren Autismus-Schwerpunkt gibt es seit ungefähr zwei Jahren, wir sind noch am Aufbauen. Uns ist es wichtig direkt im Umfeld zu arbeiten, wo die Schwierigkeiten sind. Wir gehen in die Schulen, in die Familien und versuchen dort zu unterstützen, denn es ist ja auch notwendig, dass das Umfeld auf die Bedürfnisse der autistischen Person eingeht. Wir bieten auch Gruppen zur Förderung von sozialen Kompetenzen für erwachsene, autistische Menschen an, sodass diese lernen mit ihren Stärken und Defizite umzugehen. Auch eine Austauschgruppe für betroffene Eltern haben wir, damit diese sich gegenseitig stärken können. Im Moment begleiten wir knapp 20 autistische Menschen, haben aber eine lange Warteliste. Diese Unterversorgung ist ein großes Problem, das nicht nur Graz betrifft. Auch andere Therapiestellen, etwa der Verein Libelle, haben lange Wartelisten. Eltern oder Betroffene erzählen, dass sie mitunter zwei Jahre auf Therapie oder auf Diagnostik warten müssen. 

In der Gesellschaft braucht es mehr Akzeptanz für Autisten, ist Susanne Strasser überzeugt. Doch sie sieht eine wachsende Sensibilisierung.  | Foto: panthermedia/Sewcream
  • In der Gesellschaft braucht es mehr Akzeptanz für Autisten, ist Susanne Strasser überzeugt. Doch sie sieht eine wachsende Sensibilisierung.
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  • Was würden autistische Menschen von der Gesellschaft brauchen?

Es braucht mehr Akzeptanz für Besonderheiten. Da haben wir dieses Bild von Sheldon Cooper (Anm. d. Red.: Figur aus der bekannten Sitcom "The Big Bang Theory") mit seiner Hochbegabung nach dem Vorurteil: Alle autistischen Menschen sind hochbegabt.
Aber 80 Prozent aller arbeitsfähigen autistischen Menschen sind arbeitslos, und zwar nicht, weil ihnen die fachlichen Kompetenzen fehlen, sondern weil es im sozialen Miteinander Schwierigkeiten gibt.
Große Freude habe ich, dass Lebensgroß bereits zum zweiten Mal gemeinsam mit dem Styrassic-Park im April den "Stillen Tag" anbieten kann. Bei diesen wird den Bedürfnissen autistischer und reizsensibler Menschen Rechnung getragen etwa bei der Geräuschkulisse und im Restaurant. Auch gibt es Rückzugsmöglichkeiten und Noise-Canncelling-Kopfhörer. Das ist ein richtig cooles Projekt das die Freizeitmöglichkeiten autistischer Menschen und ihrer Familien erweitert. Auch Aktionen wie die "Stille Stunde", die es im Billa in der Theodor-Körner-Straße gibt und wo unter anderem auf Musikeinspielungen verzichtet wird, finde ich sehr toll. Davon bräuchte es mehr in Graz. Wir suchen da nach Partnern, leider aber bislang ohne Erfolg. Vielleicht würde sich da jemand finden, das wäre mir ein großes Anliegen.

Zur Person: Susanne Strasser

Susanne Strasser ist Pädagogin und hält neben ihrer Arbeit bei LebensGroß Fortbildungen zum Thema Autismus in Österreich und Deutschland. Darüberhinaus ist sie als Gerichtsgutachterin und Sachverständige für das Thema Autismus und Alternativen zu Freiheitsbeschränkungen tätig. Zur Faszination der Arbeit mit autistischen Menschen gehört für Strasser, dass das Spektrum so groß ist und jeder Fall individuell betrachtet werden muss. Zu LebensGroß hat es Strasser verschlagen, da es ihr ein großes Anliegen ist, einen Schwerpunkt zum Thema Autismus zu etablieren, der keine reine Therapiestelle ist.

Neuer Lehrgang ab März 

Ab März bietet LebensGroß einen praxisnahen Lehrgang zur Ausbildung als zertifizierte Fachkraft im Bereich Autismus an. Die Ausbildung stellt insofern ein Novum dar, als dass sie sich an pädagogische Fachkräfte richtet. Im Zentrum steht die Begleitung von Menschen im Autismus-Spektrum in deren Alltag. Der Lehrgang findet an sieben Terminen bis Oktober in der Merkur Versicherung (Conrad-von-Hötzendorfstraße 84) statt und hat einen Umfang von 56 Präsenzstunden exklusive Zeiten für diverse Arbeiten. Die Kosten betragen 2.000 Euro. Anmeldung ist noch bis zum 15. Februar möglich. 

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