Familienflüsterer Dr. Streit
Über Herkunft und Bewältigung von Heimweh
"Familienflüsterer" und Psychologe Philip Streit darüber, wo das Gefühl des Heimwehs herkommt, warum es nicht schlechte Seiten hat und wie Eltern am besten damit umgehen, wenn ihre Kinder damit zu kämpfen haben.
GRAZ. Voller Freude ins Feriencamp, nach zwei, drei Tagen passt gar nichts mehr. Andere Kinder wollen von Anfang an gleich gar nicht fort aus dem sicheren Hafen. Erwischen kann es jeden, auch Erwachsene, aber besonders häufig sind Kinder und ältere Menschen davon betroffen, weiß "Familienflüsterer" und Psychologe Philip Streit. Das Gefühl heißt Heimweh.
Was ist nun Heimweh? Im Fachausdruck Nostalgia genannt (griechisch, der Schmerz nicht zurückkehren zu können), ist es an und für sich ein normales Gefühl, das auftreten kann, wenn wir uns in ein neues Umfeld begeben und scheinbar Vertrautes zurücklassen. Das schmerzhafte Bedrohungsgefühl wird im Gehirn von unserem Mandelkern ausgelöst und dringt dann in unser Bewusstsein.
Heimweh nicht unterbinden
Heimweh hat aber nicht nur negative Seiten, sondern durchaus auch eine energetisierende Kraft. In der richtigen Dosis kann es dazu bewegen, Neues zu erkunden und sich darauf einzulassen. Ist die Angst allerdings zu groß, kann Heimweh pathologische Züge annehmen, die sich dann auch in körperlichen Beschwerden wie Kopf- und Bauchweh, in Schlafstörungen sowie totalem Rückzug äußern können.
Wesentlich ist dann, dass Eltern ein Gefühl von Sicherheit und Rückhalt vermitteln. Es geht also nicht darum, das Heimweh zu unterbinden, sondern darum, dass Kinder lernen, adäquat mit diesem starken Gefühl umzugehen.
Tipps vom Familienflüsterer
- Nimm das Heimwehgefühl ernst und höre zu.
- Übe mit deinem Kind zuvor eine Trennung in Schritten, etwa erst durch eine Übernachtung und dann ein Wochenende bei den Großeltern oder Freuden.
- Bestärke dein Kind positiv und vermittle Vorfreude auf das bevorstehende Abenteuer, etwa indem ihr gemeinsam Fotos vom Ort des Ferienlagers anseht oder Einkäufe dafür erledigt.
- Beim Abschied: Trenne dich herzlich, aber klar und deutlich, und vermittle das Gefühl, dass du immer da bist, wenn du gebraucht wirst.
- Ein Stück Zuhause kann mitreisen, zum Beispiel ein Kuscheltier oder ein Polster.
- Lenke die Aufmerksamkeit auf das Positive, das sich vor Ort erleben lässt.
- Ist das Heimweh akut, kann Ablenkung helfen, am besten durch Angebote die begeistern, etwa durch ein Spiel, das in den Bann zieht.
- Nörgeln und Schimpfen sind No-Gos, genauso wie Dauertelefonieren und absolute Kontaktverbote.
- Wichtig sind stattdessen klar strukturierte Zeitfenster für regelmäßigen Kontakt, etwa Telefonate.
- Hilfreich kann auch das Abschicken von Postkarten sein oder von Nachrichten, in denen sich das Kind mitteilen kann, die aber nicht gleich zu einem wechselseitigen Austausch mit den Eltern führen. So kann dein Kind etwa jeden Tag berichten, was es vor Ort begeistert.
- Im Notfall, wenn der Leidensdruck groß wird, hol es ab. Zelebriere dann die Zeit, in der dein Kind alleine unterwegs war.
So wird die Erfahrung, in den Ferien ohne Eltern fortgefahren zu sein, ein unvergleichliches Erlebnis, das zu positiver Entwicklung führt und die Persönlichkeit stärkt.
Der Experte
Philip Streit ist klinischer Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut, Lebens- und Sozialberater. Seit 1994 leitet er das Institut für Kind, Jugend und Familie in Graz, das unter 0316 77 43 44 für dich da ist. Hast du Fragen, wie du dein Leben gestalten sollst, brauchst du Rat? Deine Fragen an Dr. Philip Streit gerne jederzeit an: redaktion.graz@regionalmedien.atMehr vom Familienflüsterer liest du hier:
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