Willkommen in der Stadt mit den zwei Gesichtern

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Der zweite Tag in Delhi wurde den Sehenswürdigkeiten gewidmet. Thomas und ich machten uns nach einem ausgiebigen Frühstück im Café Festa auf zum Roten Fort. Nahe der U-Bahn Station Ramakrishna Ashram Marg hielten wir einen Bus an, der nach Alt-Delhi fuhr. Der Bus war in einem guten Zustand und vom Standard her nicht weit von jenen, die auf unseren Straßen verkehren, entfernt. Der Bus war fast leer und so konnte auch hier das gängige Klischee überfüllter Verkehrsmittel nicht bestätigt werden. Wo man einen Fahrschein bekam sollte uns bis zur dritten Busfahrt ein Geheimnis bleiben. Kurz nachdem wir eingestiegen waren, mussten wir den Bus allerdings ohnehin schon wieder verlassen, da es sich herausstellte, dass er nicht beim Roten Fort vorbei kam. Nach einem 10 minütigen Fußweg kamen wir an jener Kreuzung an, von wo wir den Bus zu unserem Ziel nehmen konnten. Diese Fahrt kam dem Klischee schon näher, war dieser Bus doch gestopft voll. Alles in Allem war es aber nicht so schlimm, sind bei uns in der Früh die Straßenbahnen doch genauso voll.

Beim Roten Fort angekommen war ich überwältigt von seiner Größe. Bevor wir jedoch dieses besichtigen würden, besuchten wir den ältesten Jain-Tempel Delhis, den Shri Digambar Jain Lal Mandir. Der imposante Tempel aus rotem Sandstein wurde 1656 erbaut. Vor dem Eintreten mussten wir unsere Schuhe ausziehen, da diese als unrei – da mit der Erde in Berührung gekommen – gelten. Im Tempel zogen zwei Glocken meine Aufmerksamkeit auf sich. Diese wurden von jenen, die den geweihten Raum betraten geläutet. Thomas erkläre mir, dass man sich auf diese Weise bei den Göttern ankündigt. Im Tempel schwirrten Priester und andere Helfer umher, die den Besuchern Reis als Opfergabe für die Götter und Kerzen anboten. Am Boden knieten Gläubige und sagten ihre Gebete auf. Auch Thomas und ich griffen beim Reis zu und setzten ihn in Form eines Häufchens auf den Altar. Bevor wir die Anlage verließen, malten wir uns als sichtbares Zeichen unseres Tempelbesuchs mit einem Stäbchen noch einen orangen Punkt auf die Stirn.

Das Rote Fort oder auch Lal Quila genannt, wurde 1639 unter dem damaligen Mogul Shah Jahan in 9 Jahren arbeit aus Sandstein erbaut. Das Fort ist von einem Graben umgeben, der mit dem Fluß Yamuna verbunden ist. Im Inneren des Forts gibt es wunderschöne Gebäude, die von der architektonischen Kunst der Mogulzeit zeugen. Da gibt es zum Beispiel die Audienzhalle, das Diwan-i-Am, in der Shah Jahan die Beschwerden des Volks anhörte. Die Fassade besteht aus Stuckdekor und neun wunderschönen zackigen Bögen. Ein Postkartenmotiv stellt auch das weiße Khas Mahal, ein atemberaubender Marmorbau, der dem Herrscher als Residenz diente, dar. Vor den privaten Wohnräumen ist eine Wiese und eine Plattform mit Bänken, auf denen man sich ausruhen kann und den märchenhaften Blick auf die Palastanlage genießen kann.

Nach dem Besuch des Roten Forts, wo wir mit Indern unzählige Male Modell standen, machten wir uns auf den Weg zur Jama Masjid, der größten Moschee Indiens. Dabei kamen wir an einem Sikh-Tempel vorbei. Mit bloßen Füßen und einer provesorischen Kopfbedekung traten wir in den geweihten Raum ein, der uns nach dem Besuch des Jaintempels allerdings etwas enttäuschte. Der von Außen so so imposant wirkende weiße Tempel hatte im Inneren gar nichts zu bieten. Von dort nahmen wir eine Fahrradrikshaw zur Jama Masjid. Der Fahrer wollte kein Geld von uns annehmen und so hatten wir bereits unsere dritte „gratis“ Fahrt an diesem Tag.
Die Moschee Jama Masjid war überwältigend. Der Platz innerhalb des Komplexes hatte ein ganz eigenes Flair. Hier hätte ich den ganzen Nachmittag verbringen können; die Besucher beobachten und mich an dem Bauwerk erfreuen. Der Komplex ist in rotem Sandstein gehalten und die Fassade ist mit weißem Marmor verkleidet. Im Innenhof lassen Kinder Drachen steigen, Familien sitzen zusammen, Tauben werden gefüttern und Fotos geschossen.

Anschließend nahmen wir eine U-Bahn für 10 Rupie zum Regierungsviertel. Dort angekommen fühlte man sich wie in einer anderen Welt. Die Straßen waren sauber, es gab Mülleimer und kaum Leute. Wir schlenderten entlang des Rajpath vorbei am Innenministerium und Finanzministerium hinauf zum Rashtrapati Bhavan, dem Amtssitz des Präsidenten. Auf dem Rückweg schossen wir noch ein paar Fotos vom India Gate, das sich am anderen Ende des Präsidentenpalastes befand und holten uns ein Cornetto Eis. Dann wurde es bereits Zeit zurückzukehren, da Thomas an diesem Abend einen Zug nach Allahabad nahm. Mit dem Bus fuhren wir in Richtung des Bahnhofs Neu Delhi, diesmal wurden wir kontrolliert. Als wir dem Kontrolleur erklärten, dass wir nicht wussten wo wir einen Fahrschein erwerben könnten schrie er etwas in den hinteren Teil des Busses. Dort regte sich ein Mann mittleren Alters, der uns verschlafen ansah. Es stellte sich heraus, dass das der Ticketverkäufer war. Dieser hatte sich anscheinend ungefragt eine Pause genommen und ein Nickerchen gemacht. Nun, da er aus dem Land der Träume zurückgekehrt war, konnten wir also unseren Fahrschein um stolze 5 Rupie erwerben. Schwarzfahren kostet übriegends 200 Rupie (ca. € 3,-).

Nachdem ich mich von Thomas verabschiedet hatte unterhielt ich mich im Hotel noch einige Zeit mit Sunny, der sich stets um das Wohl der Gäste kümmert. Er erzählte mir in einem perfekten Englisch, dass er nie zur Schule ging und sich Alles selbst beigebracht hatte. Sein Vater verließ die Familie als Sunny noch sehr jung war und so musste er früh zu arbeiten beginnen. Mit seinen Jobs versorgte Sunny seine Mutter und seine Schwester. Er kam aus Aristar, in Nordindien, arbeitete bereits in Österreich, Norwegen, England und Argentinien und bereiste Deutschland und Luxemburg. Er war Sikh, trug im Haus seine Haarpracht offen, benutzte außerhalb aber eine Kopfbedeckung. Wie die meisten Sikhs trug auch er einen gepflegten ungeschnittenen Bart und einen eisernen Armreifen. Er erzählte mir, dass er wie das Wasser sei und dem Fluß folgen würde, dass das was zählt in der Gegenwart liegt und nicht in der Vergangenheit oder der Zukunft. Sunny verstand es mit seiner sanften Stimme Leute zu beruhigen, sie dazu zu bringen loszulassen und sich fallen zu lassen. Kein Wunder, hatte er doch auch in einem Ashram gearbeitet und war als Yogalehrer tätig gewesen.

Nach so einem erlebnisreichen Tag und entspannenden Unterhaltung mit Sunny konnte einem guten Schlaf nichts mehr im Wege stehen.

Einmal um die Welt: Hier lesen Sie alle weiteren Reiseberichte unserer WOCHE-Weltenbummlerin Elisabeth Kronegger.

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