Medikamenten-Sicherung
"Made in Europe" als Heilmittel gegen Versorgungsengpässe
Was uns bei Gas und Öl quasi als Damoklesschwert den vergangenen Winter über begleitet hat, ist auch bei der Versorgung mit Medikamenten längst keine Besonderheit mehr: Aufgrund wirtschaftlicher Entwicklungen und geopolitischer Verstrickungen sind nicht immer alle gewohnten Arzneimittel ausreichend verfügbar. Eine kürzlich versammelte Expertenrunde diskutierte am Standort des Pharmakonzerns Fresenius Kabi dieses heiße Eisen und zeigte Wege aus der Versorgungsabhängigkeit auf.
GRAZ. Als klares Bekenntnis zum Produktionsstandort Österreich und zur Stärkung der Marke "Made in Europe" in der Pharmaindustrie war jene Diskussionsveranstaltung zu verstehen, die kürzlich am Grazer Standort von Fresenius Kabi stattgefunden hat.
Auf Einladung des Österreichischen Generikaverbands und des Biosimilarsverbands Österreich wurde mit Gästen aus Politik, Wirtschaft und Pharmaindustrie intensiv über die Bedeutung des patentfreien Marktes, notwendige Maßnahmen zur Stärkung der heimischen Produktion und die langfristige Sicherung der Arzneimittelversorgung debattiert. Neben Gastgeber Michael Mayr, General Manager bei Fresenius Kabi, sorgte Adrian van den Hoven, Director General des europäischen Generika- und Biosimilarsverbandes „Medicines for Europe“, mit seiner Keynote über die Notwendigkeit eines „European Medicines Security Acts“ für eine nachhaltige Arzneimittelversorgung auch in Österreich für spannende Einblicke.
Engpass bei rund 600 Medikamenten
Die Arzneimittelversorgung wird durch ökonomische Rahmenbedingungen beeinflusst. Aktuell sind rund 600 Medikamente nicht oder nur eingeschränkt verfügbar, darunter Antibiotikasäfte für Kinder, Schmerzmittel, aber auch Medikamente für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dazu kommt, dass pro Monat ca. 20 Medikamente aus dem grünen Bereich des Erstattungskodex gestrichen werden. Dieser Status Quo wurde etwa von Sabine Vogler, Leiterin der Abteilung für Pharmaökonomie in der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), präsentiert. Sie stellte aktuelle Ergebnisse aus einer GÖG-Studie zur lokalen Produktion von Arzneimitteln als Maßnahme zur Überwindung von Medikamentenengpässen vor. Im anschließenden Panel wurde die Situation in Österreich durch ÖVP-Gesundheitssprecher im Nationalrat Josef Smolle, Wolfgang Andiel, Präsident des Österreichischen Generikaverbandes (OeGV) und Sabine Möritz-Kaisergruber, Präsidentin des Biosimilarsverbandes Österreich (BiVÖ) weiter veranschaulicht.
Generika als Rezept für Sicherheit
Zum Hintergrund: Die pharmazeutische Versorgung der Österreicherinnen und Österreicher kann nur durch den Einsatz von Generika gewährleistet werden. Die Generika- und Biosimilarsindustrie sichert diese Basisversorgung. So sind mittlerweile mehr als 90 Prozent der abgegebenen Medikamentenpackungen in Österreich aus dem patentfreien Segment. Dank der günstigeren Therapiekosten von Generika und Biosimilars können mehr Patientinnen und Patienten behandelt und das Gesundheitssystem finanziell entlastet wer- den. Die Industrie operiert jedoch seit vielen Monaten in einem sich immer weiter zuspitzenden Dreieck von steigenden Kosten, stetig sinkenden Preisen und wachsenden regulatorischen Anforderungen. Das macht es immer schwieriger, Medikamente in Österreich wirtschaftlich zu produzieren und zu vermarkten.
Die ungünstigen Rahmenbedingungen haben dazu geführt, dass vor allem die Wirkstoffproduktion in den letzten zwei Jahrzehnten von Europa nach Asien verlagert wurde. Dennoch beheimatet Österreich eine starke und leistungsfähige Generika- und Biosimilarsindustrie.
Schritte zur Standortstärkung und Versorgungssicherheit
Angesichts dieses Trends herrschte im Zuge der Diskussion Einigkeit darüber, dass es für eine nachhaltige Arzneimittelversorgung planbare und wettbewerbsfördernde Rahmenbedingungen braucht. Dazu zählen:
- Standortförderung: Ein klares Bekenntnis zu heimischer bzw. europäischer Produktion nicht nur bei Standortmaßnahmen, sondern auch beim Marktzugang. Im Erstattungsmarkt muss der massive Preisdruck auf die Hersteller von Generika und Biosimilars gelockert werden und die Beschaffungsprozesse im Krankenhaus müssen endlich Kriterien zur Verbesserung der Versorgungssicherheit und nicht nur den billigsten Preis berücksichtigen.
- Faire Preise: Das sehr restriktive Preissystem für Generika und Biosimilars in Österreich hat längst seine Untergrenze erreicht. Werden die Preise weiter gedrückt, werden auch im kommenden Winter viele Medikamente in der Apotheke fehlen. Die Anhebung des Verschreibungsanteils von Generika und Biosimilars würden dieselben Einsparungseffekte erzielen wie durch weitere Preissenkungen, diese Medikamente aber in der Versorgung erhalten.
- Index-Anpassung: Die Einführung der Möglichkeit, Arzneimittelpreise an den Verbraucherpreis-Index anzupassen, könnte die enorm steigenden Kosten zumindest teilweise kompensieren. In der Praxis können Pharmaunternehmen derzeit die Kostensteigerungen nicht weitergeben.
- Überführung der Biosimilars-Preisregel in Dauerrecht: Mit Ende des Jahres läuft auch die Biosimilars-Preisregel aus. Dadurch verliert das Gesundheitssystem nicht nur ein massives Einsparungs- potenzial von 140 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren – auch die Versorgung der Patientin- nen und Patienten mit lebenswichtigen Therapien wird aufs Spiel gesetzt. So können neue Biosimilars, wie zum Beispiel für die Multiple Sklerose Therapie, nach Auslaufen der eigenständigen Biosimilars-Preisregel ab 2024 nicht mehr oder nur sehr verzögert für die heimischen Patienten verfügbar gemacht werden.
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