Die Welt im Wandel

Erwin Steinhauer als "Gustl Knapp" während einer Probe von "Fremdenzimmer" im Theater in der Josefstadt in Wien. | Foto: Herbert Neubauer
  • Erwin Steinhauer als "Gustl Knapp" während einer Probe von "Fremdenzimmer" im Theater in der Josefstadt in Wien.
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Heute ist Weltflüchtlingstag. Der renommierte Schauspieler Erwin Steinhauer, momentan in Peter Turrinis "Fremdenzimmer" im Theater in der Josefstadt in Wien zu sehen, im Gespräch über die Angst vor dem Fremden und den Umgang mit ihr – auf der Bühne und in der Gesellschaft.

In "Fremdenzimmer" spielen Sie, ganz salopp gesagt, einen xenophoben Grantscherben. Wie erging es Ihnen in dieser Rolle?
Mir war nach der ersten Lektüre der Typ nicht vertraut, aber wohlbekannt. Das ist ja im Moment ziemlich weit verbreitet, dass die Menschen Angst haben und nicht gastfreundlich sind, sondern xenophob. Das hat der Turrini wunderbar beschrieben. Und das Interessante ist ja, dass dieser Typ, das ist das Literarische und Poetische daran, eine Wandlung durchmacht. Vom xenophoben zum aufgeschlossenen, fast liberalen Mitbürger. Das ist vielleicht ein bisschen optimistisch, aber es ist zumindest anstrebenswert.

Viele Leute denken oder verhalten sich tatsächlich so. Gerade im digitalen Zeitalter stößt man im Internet und in Leserforen auf sehr perfide Kommentare. Woher rühren diese Ressentiments gegenüber Flüchtlingen?
Aus der Angst, dass mir etwas weggenommen wird. Und dann darf man nicht vergessen, dass die Grundstimmung dem Fremden gegenüber im Grunde genommen immer da war, und dass sie nicht nur für uns charakteristisch ist, sondern für viele Menschen. Aber durch Social Media haben diese Menschen jetzt die Möglichkeit, ihre Meinung oder ihre Logorrhoe, wie man sagen muss, ihren Sprechdurchfall, in die Öffentlichkeit zu bringen. Aber im Grunde war die Stimmung immer da. Sie resultiert aus Angst. Und sie resultiert auch aus einer, wie soll ich sagen, aus einer genetischen Abneigung gegen alles Fremde und Unsichere.

Sie haben den Wandel angesprochen, den Ihre Rolle während des Stückes durchlebt. Wie kann er in der Gesellschaft gelingen?
Indem man aufeinander zugeht, sich bereit erklärt, mit jemandem einmal zu sprechen und ihn nicht von vornherein aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes ablehnt. Dass man Kontakt aufnimmt, miteinander spricht und verstehen lernt. Darum sind Asylsammelquartiere so grausam. Weil da jede Möglichkeit genommen wird, mit den Menschen in Kontakt zu kommen.

"Wie soll es weitergehen, Samir, werdet Ihr uns wirklich alle überrollen?", heißt es einmal im Stück. Die Flüchtlingskrise und die Flüchtlingsquoten sind zu einer Zerreißprobe für Europa geworden. Wie soll es tatsächlich weitergehen?
Es ist zwar beunruhigend, aber ich sage, die Welt ist im Wandel. Und alle, die kommen wollen, weil sie sich nach einem anderen Leben sehnen, werden kommen. Mit Sicherheit. Keine restriktive Politik wird sie aufhalten können. Und auch das xenophobe Verhalten der Menschen nicht. Das wird andere Menschen nicht daran hindern, ihr Leben verbessern zu wollen. Es ist so wie eine Art Völkerwanderung. Die Welt verändert sich, der Kontinent verändert sich, die Länder und die Städte verändern sich auch. Ich werde bald 67 und wenn ich heute durch die Innenstadt in Wien gehe, bin ich fast geneigt zu sagen: "Das ist nicht mehr meine Stadt, das ist nicht mehr mein Wien". Weil es sich vom Bild total geändert hat, weil wir am internationalen Markt sind, weil vieles, was einem lieb war, von der Jugend oder in den Jahren davor, einfach nicht mehr vorhanden ist. Das muss man akzeptieren. Die Welt verändert sich und die Menschen verändern sich auch.

In "Fremdenzimmer" bringen Sie das Publikum zum Lachen. Wie wichtig ist Humor als Stilmittel und Instrument im Umgang mit so ernsten Themen?
Immens wichtig. Humor ist fast so wichtig wie Musik. Am wichtigsten ist die Musik. Weil dich die Musik ins Herz, in den Bauch, in dein Gefühl trifft. Und der Humor hat einen etwas schwierigeren Weg, weil der geht nämlich über deinen Kopf. Der braucht den Intellekt. Daher haben viele Menschen keinen Humor. Oder zu wenig.

Sie als Schauspieler können Ihre Stimme erheben und wichtigen Themen eine Bühne geben. Was kann jeder einzelne von uns für ein friedliches Zusammenleben tun?
Großes Misstrauen aufbringen gegen die Rezepte, die uns die derzeitige Regierung anbietet, Mut haben, Zivilcourage haben und auf Menschen zugehen. Das kann jeder von uns machen.

Welche Rolle spielt Theater, Kabarett, Kultur ganz generell, um Menschen mit Themen wie diesen zu erreichen?
Ich muss sagen, ich bin total verblüfft, wie dieses Stück angenommen wird. Wir haben uns das nicht im Traum gedacht, die Vorstellungen sind wirklich überrannt. Und wir spielen das jetzt doch seit Ende Jänner. Es läuft wunderbar und es geht nächste Saison sicher weiter. Ich glaube, dass die Menschen eine Sehnsucht haben, sich humorvoll mit solchen Themen zu beschäftigen.

Was wollen Sie jungen Menschen, die etwas bewegen und erreichen wollen, mit auf den Weg geben?
Das wichtigste Wort in der Menschwerdung oder in dem falschen Wort "Erziehung" ist das Wort "Nein". "Nein" ist viel wichtiger als "Ja". Weil wenn ich zugestimmt habe bei irgendwelchen idiotischen Dingen, dann bin ich dabei. Wenn ich "Nein" sage, lehne ich es ab und kann mir dann noch überlegen, wie ich damit umgehe. Ich habe große Probleme mit dem sogenannten verordneten Gehorsam. Das ist für mich ein schreckliches Wort. Ich glaube, die Jugend hat mehr davon, wenn sie hinterfragt, wenn sie misstraut, wenn sie bohrt, wenn sie das eigene Gehirn verwendet, wenn sie Social Media und allem, was auf uns einprasselt, Facebook – eine der fürchterlichsten Erfindungen, weil diese Leute dadurch eine Bühne haben – grundsätzlich einmal misstraut. Und immer hinterfragt. Ich habe einen 18-jährigen Sohn und das sind auch die Dinge, die ich ihm noch mitgeben kann.

Sie kommen gerade von Dreharbeiten aus Kroatien. Verraten Sie mir, was momentan auf dem Programm steht?
Wir filmen eine Dokumentation für die ORF-Kultur. Ich führe darin Peter Ustinov-mäßig im weißen Leinenanzug und Strohhut durch die Insel Brioni und erzähle, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts zum Wellnessbereich der Monarchie wurde, dann den Italienern gehörte nach dem Krieg, während des Krieges noch von deutschen Truppen besetzt war, und dann kroatisch wurde. Marshall Tito, der Staatspräsident, hat sie zu seinem privaten Wohnsitz gemacht und dort seine Staatsempfänge abgehalten. Aber die Insel wirklich bewohnbar gemacht hat ein Österreicher, Paul Kupelwieser. Gemeinsam mit Robert Koch. Das war eine Malaria-Insel, die man nicht ohne Lebensbedrohung betreten konnte. Der hat aus diesem Gebüsch, aus diesem Urwald, aus diesen Malarianestern einen Park gemacht, der heute noch Nationalpark ist. Es gibt kein Hallenbad auf der Insel, es gibt nur Wasser – das Meer rundherum. Das Festland ist dreieinhalb Kilometer weg, es gibt Tiere in Zoos zu bewundern, es gibt wunderbare Spazierwege. Wirklich ein angenehmer Ort. Und es gibt kein Auto auf dieser Insel, man steigt in ein elektrisch betriebenes Golfcart, wenn man nicht mehr gut zu Fuß unterwegs ist, und erkundet die Insel. Wirklich eine Reise wert, und diese Insel stelle ich vor.

Was möchten Sie noch umsetzen oder mit wem würden Sie noch gerne auf einer Bühne stehen?
Ich habe keine Wünsche diesbezüglich. Die hatte ich nie, ich hatte nie Wunschrollen. Ich habe immer gewartet, mich zurückgelehnt und dann überlegt, ob ich etwas machen soll oder nicht. Ich bin kein Getriebener der Bühne: "Ich würde gerne und das muss noch". Das interessiert mich nicht. Mir wird auch abseits der Bühne nicht langweilig.

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