Meilenweit zum Burnout

Einsame Straße: Thomas Widerin zeigt auf den alten Verlauf der Route 66, Mojave Wüste in Kalifornien. | Foto: Widerin
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  • Einsame Straße: Thomas Widerin zeigt auf den alten Verlauf der Route 66, Mojave Wüste in Kalifornien.
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SEEFELD. Zweimal querte Thomas Widerin mit dem Rad die USA. Die 3. Tour, geplant von Alaska bis New York, endete im Burnout! Der Polizist, Leistungssportler (2x Polizei-Weltmeister im Zehnkampf), Berg- und Flugretter hat seine physischen und psychischen Grenzen überschritten. Heute hat der Seefelder seine Krankheit nach einer intensiven Therapie überwunden und verarbeitet in seinem Buch "Meilenweit zur Kühlbox" Reise-Erlebnisse, gibt sich verletzlich und menschlich. Im BEZIRKSBLATT-Interview erzählt Widerin vom Weg ins Burnout, und den harten Weg zurück zur Normalität.

Wann reifte der Entschluss, ein Buch zu schreiben?
Nach meiner 1. Reise 2006, von New York nach San Francisco, gab's viel zu erzählen, da wurde mir der Floh ins Ohr gesetzt, ein Buch zu schreiben. Aber es folgten weitere Reisen, das Buchprojekt verschob sich. Ich habe immer Tagebuch geführt, später mehr emotional, über Anstrengungen, Ängste, Leiden.

Körperlich haben Sie beste Voraussetzungen, was war so beschwerlich?
Ich bin kein „gelernter“ Radfahrer. Und das Hauptproblem bei solchen langen Reisen liegt im Psychologischen: Es ist die Einsamkeit, man ist auf sich alleine gestellt, dem Wetter ausgesetzt, wenn ein Tornado kommt, gibt es keine Deckung! Die Distanzen sind enorm, als würde man in Seefeld losfahren und wissen, dass man erst in Salzburg wieder auftanken kann.

War der Reiseplan mangelhaft?
Nein. Ich habe mich für jede meiner Reisen jeweils 3 Jahre lang vorbereitet, Karten studiert, Bücher gelesen, auf dem Rad trainiert. Aber wenn man fest stellt, dass ein Ort, der in der Karte eingezeichnet ist, nicht mehr existiert, ist das ein Problem. Und in Alaska durfte ich wegen der Bären keine Nahrung im Gepäck mitnehmen. Diese Reise ist vom ersten Tag an katastrophal verlaufen.

Was war da anders als bei den bisherigen Reisen?
Diese Einsamkeit, die ich schon kannte, war da oben noch unbegreiflicher. Das ständig schlechte Wetter, kaum essen ... ich konnte meinen Körper nicht mehr auffüllen. Dazu kam die Angst, das Zelt stand in tiefster Wildnis, man hört ständig etwas, es ist Grizzly- und Wolfsgebiet. Ich bin jeden Tag schwächer geworden. Der Akku leerte sich. Ich hatte 30 Gänge am Rad, am Ende bin ich im 1. Gang gefahren. Dann kam auch noch die gefährliche Begegnung mit dem Grizzly, ich hatte erstmals in meinem Leben richtige Todesangst. Ein Truck kam, das erste Fahrzeug nach drei Tagen, genau im richtigen Augenblick!

Trotzdem wollten Sie nicht aufgeben?
Ich spürte, ich komme nicht ins Ziel, habe es trotzdem probiert, bis ich vom Rad gefallen bin.

Was ging da in Ihnen vor?
Dank der Therapie kann ich jetzt darüber reden: Ich bin an den Straßenrand gefahren, wollte nur Pause machen. Dann kam der Punkt: Mit dem Runtersteigen auf den Asphalt habe ich psychisch aufgegeben. Ich saß wie in Trance auf dem fast 2.500 km langen einsamen Alaska-Highway - da war sonst nichts mehr. Damals war ich sicher, nie mehr nach Hause zu kommen. Dann hatte ich eine Begegnung mit einem Wolf, der mich schon während der Tagesetappe begleitet hatte. Diese Tier war es, was mich schlussendlich gerettet hat. Aber davon erzähle ich im Buch. Ohne Gepäck flog ich heim, war nach viereinhalb Tagen in Leutasch.

Diese Heimreise haben Sie noch geschafft?
Dass ich mal Leistungssportler war, dürfte mich gerettet haben. Zuhause war ich aber alleine nicht mehr überlebensfähig, konnte nicht einmal die Schuhe zubinden. Die Diagnose war eine schwere Überlastungs-Depression. Nach eineinhalb Jahren bin ich dank der guten ärztlichen und psychologischen Betreuung wieder im Polizeidienst und mache auch wieder Dienst am Notarzthubschrauber.

Wie kam es zum Burnout?
Es kam schleichend, die Alaska-Reise war nur der Wassertropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hat. Es ist die Gesamtsumme aller Erlebnisse seit meiner Kindheit, die 30 Jahre bei der Polizei, die Rettungseinsätze und der Leistungssport. Da habe ich mein Pulver verschossen. Ich wollte auch nach dem Spitzensport etwas beweisen, was Besonderes machen, so reiste ich mit dem Rad durch Amerika. Schlussendlich hat mich das fast mein den Kopf gekostet. Heute sage ich, dieses Burnout war das Beste, was mir passiert ist. Sonst wäre ich vermutlich anders drauf gegangen. Dazu kam noch, dass mich meine damalige Familie nicht unterstützt hat. Es kam auch noch die Scheidung dazu, ich hatte plötzlich auch kein Zuhause mehr. Ich musste einen Berg bezwingen, der höher nicht sein konnte, aber habe auch die Chance bekommen meine Vergangenheit aufzuarbeiten. Jetzt lebe ich wieder glücklich in einer Beziehung.

Wie sieht die Zukunft aus?
Einen Traum hätte ich da schon: 2016 möchte ich wieder nach Alaska und steige genau dort auf das Rad, wo ich damals abgestiegen bin. Ich möchte es abschließen, das würde mir sonst ewig hängen bleiben. Dann hätte ich Nordamerika und Canada komplett umrundet und will in meinem zweiten Buch über diese Reise und meinen weiteren Weg berichten – ein vielleicht versöhnlicher Abschluss.

Zum BUCH-TIPP: http://www.meinbezirk.at/rietz/sport/buch-tipp-radreisen-an-die-grenzen-und-zu-sich-d1110691.html

(alle Fotos: Thomas Widerin)

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