Lawinenwarndienst
Experte mit Leib und Seele

Die Expertisen des „Lawinenpapstes“ Rudi Mair haben weit über die Landesgrenzen hinaus Gewicht. | Foto: Lawinenwarndienst Tirol
4Bilder
  • Die Expertisen des „Lawinenpapstes“ Rudi Mair haben weit über die Landesgrenzen hinaus Gewicht.
  • Foto: Lawinenwarndienst Tirol
  • hochgeladen von Leonie Werus

INNSBRUCK. Seit 35 Jahren ist der Meteorologe und Glaziologe Rudi Mair für den Lawinenwarndienst im Einsatz. Seine umfassende Expertise möchte er weitergeben, um den Trendsport Tourengehen noch sicherer zu machen.

„Hey, der lebt ja noch!“

Eigentlich habe er immer Astronaut oder Polarforscher werden wollen, erzählt Tirols „Lawinenpapst“ Rudi Mair, dessen Stimme in Tirol aus Radio und Fernsehen bekannt ist. Nach dem Besuch des Akademischen Gymnasiums in Innsbruck hat er das Medizinstudium begonnen, bis ein Tag in den Bergen sein Leben veränderte:

„Im Alter von 19 Jahren bin ich in eine 15 Meter tiefe Gletscherspalte gefallen, in der ich bei minus 28 Grad ausharren musste. Damals habe ich mir geschworen, auf Meteorologie und Glaziologie umzusatteln, sollte ich das überleben“

, blickt Mair zurück. Und so kam es: Mit den Worten „Hey, der lebt ja noch!“ wurde er nach zwölf Stunden vom Hüttenwirt der Franz-Senner-Hütte gefunden. Nach dem Studium der Meteorologie und Glaziologie an der Universität Innsbruck verbrachte der heute Sechzigjährige, der seine Diplomarbeit über Gletscherspalten geschrieben hat, eineinhalb Jahre auf einer Forschungsstation in der Antarktis. 

Lawinengefahr einschätzen

Seit Beginn seiner Tätigkeit für den Lawinenwarndienst im Jahr 1990 erlebte das Tourengehen einen regelrechten Boom, der durch die Corona-Krise zusätzlich verstärkt wurde. Nicht zuletzt führten geschlossene Seilbahnbetriebe dazu, dass immer mehr Tirolerinnen und Tiroler jene Freiheiten zu schätzen lernten, die eine Skitour bietet – sei es entlang der Pisten oder im freien Gelände. Umso wichtiger ist daher die Arbeit des Lawinenwarndienstes, der sich speziell seit dem Unglück von Galtür 1999 besonders weiterentwickelt hat: "Ein Meilenstein ist auf alle Fälle unser gemeinsamer Lawinenreport mit Südtirol und dem Trentino. Der Schnee kennt ja keine Staatsgrenze, und so haben wir seit 2018 den weltweit einzigen grenzüberschreitenden Lawinenbericht, der in verschiedenen Sprachen aufrufbar ist", so Mair. Über 200 Messstationen und hunderte Meldungen von Beobachterinnen und Beobachtern bilden den Grundstein der Vorhersage für die Lawinensituation, die täglich um 17.00 Uhr veröffentlicht wird. Auf Basis der Daten wird analysiert: Wo gibt es Neuschnee? Wie ist der Wind heute? Wie die Temperaturen? Welche Schneeschichten liegen wie gut verbunden übereinander? All diese Informationen ermöglichen Tourengeherinnen und -gehern eine gute Planbarkeit. Der Bericht gibt außerdem Auskunft über die erwarteten Lawinenwarnstufen, deren Skala von 1 bis 5 reicht. Während die Stufen 1 und 2 eine geringe beziehungsweise mäßige Gefahr darstellen, sollten sich bei Stufe 3 nur erfahrene Wintersportbegeisterte in den Bergen aufhalten. Stufe 4 stellt dann schon eine besondere Gefahr dar, hier sind spontan viele große Lawinen zu erwarten. Bei der fünften Warnstufe handelt es sich um eine Katastrophensituation, die Schneedecke ist in diesem Fall allgemein schwach verfestigt und weitgehend instabil.

Der Lawinenwarndienst versorgt Tourengeherinnen und -geher mit Informationen über die aktuelle Situation. | Foto: pixabay.com (Symbolbild)
  • Der Lawinenwarndienst versorgt Tourengeherinnen und -geher mit Informationen über die aktuelle Situation.
  • Foto: pixabay.com (Symbolbild)
  • hochgeladen von Leonie Werus

Genaue Planung

Im Jahr 2021 gab es in Österreich insgesamt 58 Lawinenunfälle, bei denen elf Personen zu Tode kamen – drei von ihnen in Tirol. Zwei Drittel der Unfälle passieren in Gefahrenstufe 3, weil oftmals in Vergessenheit gerät, dass bereits die mittlere Stufe riskant ist. Nach einem Unglück analysiert das Team des Lawinenwarndienstes das Gelände genau:

„Etwa 90 Prozent der Unfälle wären vermeidbar gewesen, die restlichen zehn Prozent haben nichts falsch gemacht und waren bedauerlicherweise zur falschen Zeit am falschen Ort.“

, sagt der Lawinenexperte. Um Lawinenunglücke bestmöglich zu vermeiden, sollten Neulinge zum Erlernen der Grundkenntnisse in jedem Fall einen Kurs besuchen. Außerdem ist eine gut durchdachte Planung wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen und sicheren Tour. „Die Informationen sind vorhanden und kosten nichts. Ein bisschen Hausverstand gehört auch dazu – im Zweifel lieber einmal umkehren oder abbrechen.“, appelliert Mair an Sportbegeisterte, die Angebote des Lawinenwarndienstes zu nutzen und nicht einfach planlos loszustarten.

Abend-Pistentouren rund um Innsbruck

Mit der Öffnung der Lifte bieten viele Bergbahnen in Abstimmung mit dem Land Tirol auch in dieser Wintersaison wieder fixe Tage und Zeiten, zu denen Tourengeherinnen und -geher in den Abendstunden gefahrlos auf den Pisten unterwegs sein können. In neun Skigebieten rund um Innsbruck werden Pistenpräparierungen mit den lebensgefährlichen Seilwinden erst in der Nacht durchgeführt. Hier besteht an sechs Tagen in der Woche die Möglichkeit für Abend-Pistentouren. Mit Ausnahme von Sonntag sind im Großraum Innsbruck wochentags bis zu vier verschiedene Skigebiete auch abends für Tourengeherinnen und -geher geöffnet. Darüber hinaus bieten sich die aufgelassenen Skipisten am Sattelberg, Grünberg oder zur Rauthhütte für Abendtouren an. Die Skigebiete im Großraum Innsbruck, die Abend-Pistentouren anbieten, sind derzeit großteils noch nicht in Betrieb. Dementsprechend gibt es auch keine Gefahrensicherung. Wintersportbegeisterte sind damit im ungesicherten Gelände unterwegs und hier herrschen alpine Gefahren – wie jene von Lawinen.

Wer am Abend noch bei einer Pistentour "auslüften" möchte, kann das im Großraum Innsbruck von Montag bis Samstag in verschiedenen Skigebieten gefahrlos tun. | Foto: Land Tirol
  • Wer am Abend noch bei einer Pistentour "auslüften" möchte, kann das im Großraum Innsbruck von Montag bis Samstag in verschiedenen Skigebieten gefahrlos tun.
  • Foto: Land Tirol
  • hochgeladen von Leonie Werus

Spielregeln einhalten

„Für eine sichere und konfliktfreie Ausübung des Pistentourensports, müssten die Pistentourenregeln sowohl untertags als auch abends eingehalten werden“

, appelliert Sportlandesrat Josef Geisler. Diese Pistentourenregeln orientieren sich an den Empfehlungen des Kuratoriums für alpine Sicherheit und wurden seitens des Landes im Zuge der Überarbeitung des Pistentourenhandbuchs grafisch neugestaltet. Die Schilder mit den Pistentourenregeln sollen gut sichtbar montiert werden. „Wir setzen im Rahmen des Tiroler Modells ‚Pistentouren Sicher & Fair‘ und der Initiative ‚Bergwelt Tirol miteinander erleben‘ seit vielen Jahren auf Bewusstseinsbildung. Die Einhaltung der Spielregeln sollte für alle eine Selbstverständlichkeit sein“, sagt Christoph Höbenreich von der Landesabteilung Sport. Bei Abendtouren sind vor allem Warnhinweise und lokale Regelungen sowie Pistensperren zu beachten. Die Pisten sind zu der vom Seilbahnunternehmen festgelegten Uhrzeit zu verlassen. Außerdem sollte man sich mit Stirnlampe und reflektierender Kleidung sichtbar machen. 13 Tiroler Skigebiete setzen bereits auf Lenkungsmaßnahmen für Pistentourengeherinnen und -geher und bieten teils eigene Aufstiegsrouten an.

Die zehn Pistentourenregeln sind sowohl untertags als auch abends zu beachten. | Foto: Land Tirol
  • Die zehn Pistentourenregeln sind sowohl untertags als auch abends zu beachten.
  • Foto: Land Tirol
  • hochgeladen von Leonie Werus

„Erhebliche Lawinengefahr“ in vielen Teilen Tirols

Der heurige Winterstart hat es bereits in sich. Nach den zwei vergangenen, markanten Niederschlagsereignissen Ende November bzw. Anfang Dezember ist die Lawinengefahr - wie prognostiziert - deutlich angestiegen. Im Hinblick auf das bevorstehende Wochenende gibt der Lawinenwarndienst Tirol die Lawinengefahrenstufe 3 aus: Nach Durchzug einer Kaltfront in der Nacht auf Freitag sorgt ein rascher Wechsel von trockenen und feuchten Luftmassen sowie die Kombination aus Schnee, Regen, Sonne und Wind für eine sehr störanfällige Schneedecke. „Wir haben von unseren Beobachterinnen und Beobachtern Rückmeldungen von Setzungsgeräuschen, Rissbildungen und zum Teil auch von Fernauslösungen von Lawinen. All diese Erscheinungen sind klare Indizien für eine durchaus sehr störanfällige Schneedecke“, erklärt Mair. „Deshalb gilt die Lawinengefahrenstufe 3 und wir sprechen dabei von einem ‚angespannten Dreier‘, der für Wintersportlerinnen und –sportler schon nahe an die Lawinengefahrenstufe 4 reicht.“ Die Warnung gilt sowohl für den freien Skiraum als auch für Skigebiete, in denen der Liftbetrieb noch nicht aufgenommen wurde. Wintersportlerinnen und -sportler sind im freien Gelände des Hochgebirges zu großer Zurückhaltung angehalten. Zudem ist lawinenkundliches Wissen im freien Gelände aktuell am Beginn dieser Saison unbedingt notwendig. Wenn auch das zwischendurch schöne Wetter ins Freie lockt, bleibt die erhebliche Lawinengefahr auch die nächsten Tage bestehen. „Das der Lawinengefahr zugrundeliegende Altschneeproblem bleibt aufgrund der prognostizierten Wetterentwicklung vorerst aufrecht“, sieht Mair vorläufig keine Entspannung.

Alle Informationen sind unter www.lawinen.report zu finden.

Weitere Nachrichten aus Innsbruck finden Sie hier. 

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Folge uns auf:

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.