StA Innsbruck
Keine Anklage in „Causa Ischgl“

Die Ermittlungen in Bezug auf die Corona-Ausbreitung in Ischgl im Frühjahr 2020 wurden eingestellt. | Foto: O. Kolp
  • Die Ermittlungen in Bezug auf die Corona-Ausbreitung in Ischgl im Frühjahr 2020 wurden eingestellt.
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INNSBRUCK. Die Ermittlungen in Bezug auf die Corona-Ausbreitung in Ischgl im Frühjahr 2020 wurden eingestellt, teilt die Staatsanwaltschaft Innsbruck in einer Presseaussendung mit. Die Strafanzeige wurde am 23.3.2020 u. a. gegen das Land Tirol, Seilbahnbetreiber sowie Lokalbetreiber angebracht.

Keine Anklage

Es kommt zu keiner Anklage. Es gibt keine Beweise dafür, dass jemand schuldhaft etwas getan oder unterlassen hätte, das zu einer Erhöhung der Ansteckungsgefahr geführt hätte.
Zu diesem Ergebnis kam die Staatsanwaltschaft Innsbruck Ende Mai 2021. Dieses Ermittlungsergebnis wurde nun auch durch die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck, das Justizministerium und schließlich vom Weisungsrat überprüft.

Umfangreiche Prüfung:

Näher geprüft wurden insbesondere die Maßnahmen nach Bekanntwerden der ersten Infektionsfälle, die Erlassung und Umsetzung von Verordnungen über Schließung von Lokalen, des Schibetriebes und die weiteren Verkehrsbeschränkungen in Ischgl bzw die Quarantäne im Paznauntal. Das Ermittlungsverfahren wurde zuletzt gegen fünf Personen als Beschuldigte geführt. Der Ermittlungsakt umfasst 15.000 Seiten Protokolle, Berichte und sonstiges Beweismaterial. Um die Abläufe nachvollziehen und bewerten zu können, wurden 27 Personen durch die Staatsanwaltschaft vernommen und auch die Erkenntnisse der vom Land Tirol eingesetzten Experten-Kommission wurden berücksichtigt. Die ermittelnde Staatsanwältin wurde dabei von einem weiteren Staatsanwalt unterstützt.

Ausgangspunkt

Die am 23.03.2020 eingelangte und zur Einleitung des Verfahrens führende Strafanzeige des Stefan R*** gegen das Land Tirol, unbekannte Seilbahnbetreiber im Bundesland Tirol, Bernhard Z*** als Betreiber des Lokals „K***“ in Ischgl und unbekannte Tourismusbetriebe im Quarantänegebiet Ischgl wegen §§ 12 3. Fall, 177 StGB iVm § 170 Abs 2 StGB wurde zusammengefasst damit begründet, dass dem Anzeiger aus einer Vielzahl von Medienberichten bekannt geworden sei, dass dem Land Tirol bereits am 05.03.2020 die Infektion von 15 isländischen Tourist*innen, die in Ischgl ihren Winterurlaub verbracht hätten, bekannt gewesen sei. Obwohl Island Ischgl angeblich als Gebiet deklariert habe, in dem eine fortgesetzte Übertragung des COVID-19-Virus bzw. Coronavirus zu befürchten sei (Risikogebiet), habe das Land Tirol nicht angemessen reagiert. Vielmehr habe man darauf vertraut, dass sich die aus einem Urlaub in Ischgl zurückgekehrten und in weiterer Folge positiv getesteten Tourist*innen anlässlich ihres Rückflugs bei einem heimkehrenden Italienurlauber infiziert hätten. Das Land sei nach Bekanntwerden der ersten infizierten Fälle in Ischgl am 05.03.2020 untätig geblieben, insbesondere seien keine weiteren Abklärungen durchgeführt worden.

Auf die am 07.03.2020 erfolgte positive Testung eines Barangestellten des Lokals „K***“ habe die Landesregierung ebenfalls verspätet reagiert, weil das betroffene Lokal erst am 09.03.2020 behördlich geschlossen wurde.

Obwohl das Robert-Koch-Institut das gesamte Land Tirol per 06.03.2020 zum Risikogebiet deklariert habe und trotz der Erkenntnisse aus Italien und China, sei erst am 12.03.2020 seitens des Landes das Ende der Skisaison per 15.03.2020 festgelegt worden. Spätestens nach Bekanntwerden des positiv getesteten Barkeepers hätten rasch wirksame Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen. Demgegenüber habe man aber noch weitere 8 Tage zugewartet.

Auch die Abreise der Tourist*innen aus den gesperrten Gebieten sei durch eine fragwürdige Vorgehensweise des Landes Tirol gekennzeichnet gewesen: Die Tourist*innen seien in Bussen unter Außerachtlassung der nötigen Sicherheitsabstände abtransportiert worden, dies in Kenntnis, dass teilweise Rückflüge erst am nächsten Tag erfolgen würden. Auch seien keine Maßnahmen gesetzt worden, um zu verhindern, dass sich die abreisenden Touristen*innen in den „übrigen Teilen Tirols verstreuen“ würden, um dort Unterkunft zu finden. Auch ausländisches Hotelpersonal sei einfach nach Hause geschickt worden.

Diese Anzeige, die sich – wie weitere Anzeigen bzw. Sachverhaltsdarstellungen auch - ausschließlich auf Medienberichte stützte, hinterfragte auch die Rolle des Obmanns des Fachverbandes der Seilbahnen in der Wirtschaftskammer Österreich, Franz H***, und wollte Widersprüchlichkeiten in den einzelnen Aussagen des Landeshauptmannes (im Folgenden: LH) und Leiter des Einsatzstabes Günther P*** aufzeigen.

Ebenfalls am 23.03.2020 langte ein Schreiben der Bezirkshauptmannschaft (im Folgenden: BH) Landeck ein, dem eine Anfrage des Zweiten Deutschen Rundfunks (ZDF) angeschlossen war. Die BH Landeck ersuchte unter Hinweis auf die diesem Schreiben angeschlossene Beilage und in Entsprechung der in § 78 Abs 1 StPO statuierten Anzeigepflicht um strafrechtliche Beurteilung. In diesem Schreiben des ZDF wurde zusammengefasst dargelegt, dass ausgehend von Gesprächen mit Gästen und ehemaligen Mitarbeiter*innen in Ischgl der Eindruck entstanden sei, dass die „Corona-Problematik“ seitens der Arbeitgeber in der Gastronomie „kleingeredet“ worden sei. „Ein erster positiver Fall Ende Februar bei einer Mitarbeiterin wurde so gehandhabt, dass sie nach Hause geschickt wurde. Der Arbeitgeber habe keine Testung der Kolleg*innen veranlasst, die mit ihr gemeinsam gearbeitet haben.“

Am 24.03.2020 brachte der von Dr. Peter K*** gegründete „Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen – VSV“ eine Sachverhaltsdarstellung gegen insgesamt 12 natürliche und juristische Personen ein, die neben einer lediglich auf Medienberichte gestützten Chronologie und unter Bezugnahme auf die bereits vorliegende Strafanzeige zunächst darauf verwies, dass Bayern das Land Tirol bereits am 30.01.2020 darüber informiert hätte, dass eine Frau, die in der Woche zuvor ihren Urlaub in der „D*** Hütte“ im Kühtai verbracht hatte, positiv getestet worden sei.

Aus einem Interview des Bundeskanzlers Sebastian K*** vom 17.03.2020, wonach er dankbar dafür sei, dass er bereits vor zwei Wochen von einigen Regierungschefs außerhalb Europas gewarnt worden sei, wurde geschlossen, dass die zuständigen Entscheidungsträger*innen auf Bundes- und Landesebene noch vor dem 05.03.2020 davon gewusst hätten, dass von den österreichischen Skigebieten eine immanente Seuchen-Gefahr ausgehen würde. Es sei zusammengefasst nicht nachvollziehbar sondern vielmehr unverständlich, dass trotz der Warnungen der ausländischen Regierungschefs und der isländischen Gesundheitsbehörde weder die Bundesregierung noch die Tiroler Landesregierung Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Corona-Virus in Tirol unternommen hätten. Trotz der positiven Testung des Barkeepers in Ischgl seien die Partys unvermindert weitergegangen. In diesem Zusammenhang sei überdies fraglich, ab wann die Behörden von dieser Ansteckung erfahren hätten, weil es bezüglich des positiv getesteten Barkeepers zu einer sachlich nicht nachvollziehbaren Presseaussendung des Landes Tirol, nämlich, dass eine Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar als eher unwahrscheinlich erachtet werde, gekommen sei.

In Sölden hätte sich eine Reisegruppe aus B*** infiziert. Ein Mann dieser Reisegruppe sei nach seiner Rückkehr am 08.03.2020 unter Quarantäne gestellt worden und habe erklärt, dass man während des Urlaubs nicht an Corona gedacht hätte, weil sich niemand richtig krank gefühlt habe. Außerdem habe Österreich respektive Tirol zum damaligen Zeitpunkt nicht als Risikogebiet gegolten.

Nachdem in einer weiteren Presseaussendung des Landes Tirol darüber informiert worden sei, dass sich auch die in Island positiv getesteten Personen in der besagten Bar aufgehalten hätten, hätte den Verantwortlichen klar sein müssen bzw. sei ihnen klar gewesen, dass das Virus in Ischgl und auch in Sölden grassiere.

Diese Sachverhaltsdarstellung nimmt auch Bezug auf den bereits durch Medienberichte bekannten SMS-Verkehr zwischen dem Nationalratsabgeordneten Franz H*** und dem Betreiber des Lokals „K***“.

Obwohl Dänemark Ischgl am 10.03.2020 zu einer „No-Go-Area“ erklärt habe, der Gesundheitsminister per Erlass Veranstaltungen mit einer Teilnehmerzahl von mehr als 100 Personen im Innen- und mehr als 500 Personen im Außenbereich untersagt habe, sei der Skibetrieb in Ischgl und Sölden fortgeführt worden und hätten sich sowohl auf der Idalp in Ischgl als auch auf dem Giggijoch in Sölden wohl weit mehr als 500 Personen aufgehalten.

Nachdem das Land Tirol erst am 12.03.2020 das Ende der Skisaison für ganz Tirol per 15.03.2020 verkündet hatte, seien am 13.03.2020 überraschend das gesamte Paznaun und St. Anton am Arlberg unter Quarantäne gestellt worden. Diese Quarantäne sei somit erst eine ganze Woche nach den offiziellen Warnungen aus Island, Dänemark, Norwegen, Schweden und Deutschland erfolgt. Viele Urlauber hätten die Orte Hals über Kopf verlassen müssen, die Mitarbeiter*innen seien förmlich aus dem Ort geworfen worden. Viele Tourist*innen hätten sich in Hotels in Innsbruck eingemietet, ganze Reisegruppen seien durch Tirol geirrt. Niemand sei bei der Abreise auf das Virus getestet worden.

Auf Grund dieser Umstände seien nach den Anzeigern in weiterer Folge mindestens 1000 Menschen in den nordischen Staaten Island, Dänemark, Norwegen und Schweden sowie auch in Deutschland, Österreich und vermutlich einigen anderen Ländern durch das Corona-Virus via Ischgl infiziert worden. Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass ein Barmann in Sölden am 15.03.2020 positiv getestet worden sei. Gesundheitslandesrat Bernhard T*** habe noch am 16.03.2020 erklärt, Tirol habe alles „richtig gemacht“ und die notwendigen Maßnahmen getroffen. Dies sei so auch von Landeshauptmann P*** am 17.03.2020 bestätigt worden. Dennoch seien am Abend des 17.03.2020 sowohl Sölden als auch St. Christoph am Arlberg unter Quarantäne gestellt worden. Schließlich sei am 19.03.2020 die Abriegelung von ganz Tirol verfügt worden. Dies sei jedenfalls zu spät erfolgt. Die österreichischen Behörden hätten zumindest seit 05.03.2020, wahrscheinlich schon früher, Kenntnis über die Corona-Infektionen in den Tiroler Skigebieten gehabt und früher handeln müssen.

Auch nach dem 24.03.2020 langten weitere, als solche bezeichnete und über einen bloßen Privatbeteiligtenanschluss hinausgehende Ausführungen enthaltende Anzeigen von Privatpersonen ein. Darin wurden überwiegend Verfehlungen oder Versäumnisse in Sölden, vor allem aber in Ischgl behauptet.

Eine Anzeige betraf den noch am 12.03.2020 stattgefunden Vollbetrieb eines Apres-Ski Lokals in St. Anton am Arlberg („B*** C***“) und erhob ausgehend davon auch pauschale Vorwürfe gegen eine Reihe von (vermeintlichen) Entscheidungsträgern*innen.

Weiters wurden drei, jeweils nur Anzeigen mit nicht näher substantiierten Vorwürfen enthaltende Verfahren (* St **/*** der Staatsanwaltschaft Innsbruck sowie * St **/*** und * St **/*** der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption) einbezogen.

Alle Anzeigen zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich nicht auf eigene Wahrnehmungen der Anzeiger stützten. Sie nahmen ausschließlich Bezug auf diverse (teils vorgelegte) Medienberichte, teilweise auch auf Pressemitteilungen des Landes Tirol oder „Reisewarnungen“ (vor allem, aber nicht nur, aus Island). Darauf aufbauend warfen sie den Angezeigten oder auch „unbekannten Verantwortungsträgern“ nicht näher individualisierte oder konkretisierte Versäumnisse im Sinne einer zu späten Reaktion oder auch der Verhinderung von sofortigen Maßnahmen vor.

Insbesondere der „Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen - VSV“ sowie mehrere von RA Mag. Julian M*** vertretene Anzeiger stellten dabei auch einen kausalen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Interessen von Seilbahn- und Tourismuswirtschaft als „offenkundig“ und diesbezügliche Rücksichtnahmen oder auch Interventionen mehr oder weniger explizit in den Raum. Das Verhalten sei nur damit erklärbar, dass „im Dienste des Tourismus Warnungen, Betriebsschließungen und letztlich die Schließung des Paznaun nur mit starker Verzögerung erfolgt“ seien. Diese zentrale Behauptung wurde im Wesentlichen durch die Reaktion auf die ersten Erkrankungsfälle im „G*** Hotel E***“ sowie Ausführungen zur wirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus zu stützen versucht.

Neben diesen Anzeigen langten ab 23.03.2020 mehrere hundert Schreiben von Privatpersonen bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck ein, die sich durch ein vom „Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen – VSV“ entworfenes (und offenbar gegen Gebühr zur Verfügung gestelltes) Formular unter Bezugnahme auf ihren konkreten Aufenthalt in Skiorten, die Aufenthaltsdauer, die besuchten Lokale, den Symptombeginn und allfällige positive Testungen als Privatbeteiligte anschlossen. Insgesamt schlossen sich mehr als 1.200 überwiegend ausländische Tourist*innen teils anwaltlich vertreten dem Strafverfahren als Privatbeteiligte an.

Zusammenfassung
Das Robert-Koch-Institut erklärte Tirol nicht am 06.03.2020 (nach Bekanntwerden der Mitteilungen aus Island) und auch danach trotz der laufenden Medienberichterstattung zu den ersten positiv getesteten Fällen, zur Sperre des „K***“ und sodann aller Apres-Ski-Lokale und auch nicht nach Verkündung der vorläufigen Beendigung der Skisaison in Ischgl zum Risikogebiet: vielmehr wurde Tirol erst ab 13.03.2020 (nach Verkündung der Quarantäne über das Paznaun und St. Anton am Arlberg) als besonders betroffenes Gebiet eingestuft.

Dafür, dass – wie in den Anzeigen und Sachverhaltsdarstellungen vielfach ausgeführt - die Verantwortlichen auf Mitteilungen ausländischer Behörden, insbesondere aus Island mit Bezug auf Ischgl, aber auch aus Deutschland mit Bezug auf Sölden, überhaupt nicht oder viel zu spät reagiert hätten und erste Krankheitsfälle „vertuscht“ worden wären, ergaben sich keine tragfähigen Beweise. Wie dargestellt, wurde vielmehr auf sämtliche Hinweise reagiert und waren alle relevanten Vorfälle nicht nur zeitnah bekannt, sondern gerade zu Beginn der Entwicklung und damit im hier interessierenden Zeitraum auch Gegenstand von Presseaussendungen. Eine derartige „Vertuschung“ wäre unter Berücksichtigung des oben dargestellten Ablaufs (Anzeigepflicht, Test durch „Screening Team“ oder Amtsarzt) auch kaum möglich gewesen. Überdies wurde von einem Anzeiger mitgeteilt, dass er am 07.03.20 auf der Anreise zur Winterfreizeit in Richtung Paznaun gewesen sei, als er aus dem Radio Kenntnis von Infektionsfällen in Tirol vernommen habe. Noch vor der österreichischen Grenze sei die Urlaubsfahrt abgebrochen worden. Auch daraus erschließt sich, dass die ins Treffen geführte „Vertuschung“ nicht den Tatsachen entsprach.

In diesem Zusammenhang ist auch wesentlich, dass zahlreiche Gäste bereits nach der Schließung der Apres-Ski Lokale frühzeitig abgereist sind bzw. bereits ab Samstag, 07.03.2020, weniger Anreisen als üblich in der Hauptsaison erfolgten. Darin spiegelt sich die – nach wie vor zu beobachtende – durchaus unterschiedliche Einschätzung des Risikos durch einzelne Personen oder Personengruppen wieder, für die es auch jeweils Stimmen aus Fachkreisen gegeben hat und gibt.

Wenn vorgebracht wird, dass seitens der AGES festgestellt worden sei, dass die erste Infektion bereits Anfang Februar erfolgt sei, so ist dazu darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung durch die AGES auf die Angabe einer in weiterer Folge am 08.03.2020 (!) positiv getesteten Mitarbeiterin des „K***“ im Rahmen der erforderlichen Erhebungen zurückgeht, wonach sie bereits seit vier Wochen leichte Symptome habe. Daraus schloss die AGES damals, dass bei dieser Mitarbeiterin bereits am 08.02.2020 eine COVID-Infektion vorgelegen haben könnte. Hierzu wird seitens der AGES festgehalten: „Der gegenwärtige Kenntnisstand lässt vermuten, dass mit Ende Februar mehrere Personen zur gleichen Zeit mit SARS-CoV-2 infiziert waren und somit als Infektionsquellen der Clusterfälle in Frage kommen. Der früheste bekannte epidemiologische Fall ist mit 08.02.2020 ermittelt worden: Der Fragebogen wurde am 11.03. von der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde an die AGES übermittelt. Als Diagnosedatum mittels PCR-basierten RNA Nachweis ist der 08.03. festgehalten und der Erkrankungsbeginn (respiratorische Erkältungssymptome und Druck auf Brustkorb) wurde mit 08.02. angegeben.“[12]

Der weitere zentrale Vorwurf, wonach nach und trotz Erkennbarkeit eines Clusters in Ischgl vor weiteren Veranlassungen und Maßnahmen rein aus wirtschaftlichen Interessen noch der Urlauberschichtwechsel am Wochenende abgewartet worden sei, ist bereits aufgrund des Umstandes nicht nachvollziehbar, dass der Großteil der Anreisen (auch) in Ischgl zwischen 06.03.2020 und 08.03.2020, somit vor bzw. binnen 24 Stunden nach der positiven Testung des Barkeepers, der tatsächlich der erste positiv Getestete in Ischgl war, erfolgte. Erst zu diesem Zeitpunkt lagen überdies die Hinweise der in Island positiv getesteten Personen auf das Lokal vor.

Im Hinblick auf die festgestellten Maßnahmen und Veranlassungen der Entscheidungsträger bzw. der Beschuldigten ist festzuhalten, dass es zu keinen Verzögerungen durch sachfremde Motive gekommen ist. Keineswegs hat sich ergeben, dass „im Dienste des Tourismus in Tirol Warnungen, Betriebsschließungen und letztlich die Schließung des Paznaun nur mit starker Verzögerung erfolgt seien“. Die veröffentlichten Textnachrichten von Franz H*** an den Betreiber des Lokals „K***“ vom 09.03.2020, in denen dieser jenen unter Hinweis auf den Imageschaden sowie die Wendung „oder willst du schuld am Ende der Saison in Ischgl u eventuell Tirol sein“ zur Schließung des Lokals auffordert, belegen vielmehr das Gegenteil. Dass die betroffenen Tourismusverbände und die Gemeinden die vom Land Tirol veröffentlichten Presseinformationen und Mitteilungen der Tirol Werbung – wie etwa auch Aufrufe zu Vorsichtsmaßnahmen wie Hygienestandards – weiterverbreitet haben und in diesen bis wenige Tage vor Verhängung der Quarantäne das Ansteckungsrisiko als gering bezeichnet wurde, trifft zwar zu, gibt aber nur den damaligen, durchaus verbreiteten und allgemein anerkannten Kenntnisstand wieder (vgl. dazu nur die damaligen Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts), sodass daraus gerade nicht auf aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte Einflussnahmen der „Tourismus- und Seilbahnlobby“ geschlossen werden kann. Zudem ergaben sich hinsichtlich mehrerer in Medienberichten und Anzeigen bzw. Sachverhaltsdarstellungen breit thematisierter Umstände, wonach Mitarbeiter*innen verboten worden sei, bei grippeähnlichen Symptomen einen anderen Arzt als den Dorfarzt aufzusuchen, weder Hinweise noch Ermittlungsansätze.

Dies trifft beispielsweise auf die bereits am 23.03.2020 von einer Redakteurin im Rahmen einer Aufforderung zur Stellungnahme gegenüber der Gemeinde Ischgl aufgestellte und angeblich auf Aussagen von Mitarbeiter*innen von Gastronomiebetrieben in Ischgl zurückgehenden Behauptungen zu, dass es bereits Mitte Februar die ersten positiven Corona-Fälle gegeben habe. Die Arbeitgeber hätten die Situation "eher kleingeredet“ und nicht nur keine Schutzmaßnahmen wie etwa Desinfektionsstationen bereitgestellt, sondern auch von Anrufen bei der Hotline abgeraten. Man solle zum Arzt im Ort und nicht in Landeck gehen. Ein erster positiver Fall bei einer Mitarbeiterin Ende Februar sei so gehandhabt worden, dass sie nach Hause geschickt und keine Testung der Kolleg*innen veranlasst worden sei. Mit der dafür verantwortlichen Redakteurin des ZDF wurde Kontakt aufgenommen. Sie gab an, dass ihre Quelle nicht die vermeintlich schon im Februar infizierte Person gewesen sei. Sie glaube auch nicht, dass ihre Quelle den Namen der vermeintlich infizierten Person oder den Arbeitgeber kenne. Im Übrigen wies sie auf den Unterschied zwischen einer Anfrage und einem tatsächlich erscheinenden Artikel hin, womit sie klarstellte, dass die in der seinerzeitigen Anfrage an die Gemeinde Ischgl behaupteten Umstände auch nach ihrer Beurteilung keineswegs gesichert waren oder sind.

Schließlich wurde am 12.05.2020 von einer Privatperson ein Facebook-Eintrag des ORF-Redakteurs Eduard M*** (Redakteur der Reportage „Am Schauplatz“) übermittelt, in welchem dieser seine Verwunderung darüber äußerte, dass die Polizei bei Erstellung ihres Berichtes nie an ihn, der immerhin fast drei Wochen für den ORF in Ischgl gewesen sei und recherchiert habe, herangetreten sei. Er habe Kontakt mit der „ersten Person, die in einem Restaurant der Silvretta Seilbahnen bereits Tage vor der Schließung der Silvretta Skiarena Corona positiv getestet“ worden sei und „an ihrem letzten Arbeitstag noch an die 100 Personen bedient“ gehabt. Am nächsten Tag seien fünf weitere Kolleg*innen aus diesem Restaurant Covid 19 positiv gewesen, die Seilbahnen seien danach noch vier Tage weiter betrieben worden, den „verbleibenden Mitarbeiter*innen soll“ von ihren Vorgesetzten bei sonstiger Kündigung verboten worden sein, bei grippeähnlichen Symptomen einen anderen Arzt zu kontaktieren als den Dorfarzt.

Auch diese Behauptungen konnten durch das Ermittlungsverfahren, insbesondere durch die Unterlagen der BH Landeck und die Einvernahme des Zeugen Mag. Günther Z*** nicht bestätigt werden.

Letztendlich sind auch die im Zusammenhang mit der öffentlich verkündeten Quarantäne festgestellten Kommunikationsfehler und Informationsfehler betreffend die über das ganze Wochenende weiterhin möglichen Abreise strafrechtlich nicht zu fassen. Der oftmals geäußerten Kritik, dass die ausländischen Gäste ungetestet abgereist sind, ist entgegenzuhalten, dass dies bei den damaligen Testkapazitäten der Virologie in Innsbruck zumindest mehrere Wochen in Anspruch genommen hätte. Es wäre daher nicht zu bewältigen gewesen und war nach den damaligen Vorgaben und Definitionen hinsichtlich Kontaktpersonennachverfolgung auch nicht vorgesehen.

Unter Berücksichtigung aller dargestellten Erwägungen und des Umstandes, dass für die Entscheidungsträger eine präzedenzlose Situation mit großen Unsicherheiten vorlag, und schließlich die Corona-Pandemie, wie es Univ. Prof. Dr. Christian D*** ausdrückte, eine Naturkatastrophe, die in Zeitlupe stattfindet, darstellt, war das gegenständliche Ermittlungsverfahren gegen BH HR Dr. Markus M***, Mag. Siegmund G***, Mag. Bernd T***, LAD HR Dr. Herbert F***, BGM Werner K*** und u.T. gem. § 190 Z 2 StPO einzustellen.

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