Autobiographisches Schreiben
Erinnerungen an eine mächtige Großmutter
Im Rahmen von "StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt" widmet sich aktuell in der Frauenberatungsstelle Leibnitz eine Gruppe dem "Autobiographischen Schreiben". Auch Renate Gruber ist Mitglied dieser Gruppe und hat ihre Gedanken aufs Papier gebracht.
LEIBNITZ. Renate Gruber schreibt "Wie meine Großmutter mit dem Palmbuschen das Gewitter wegbetete".
Die früheste Erinnerung, die ich aus meiner Kindheit festmachen kann, war ein starkes Gewitter. Ich war mit meiner Großmutter alleine zuhause. Wo meine Eltern an diesem Abend waren, weiß ich nicht. Mein Heimathaus liegt auf einem Hügel in der Südweststeiermark. Die damals übliche Wohnküche hatte einen Tischherd. Ich musste noch sehr jung gewesen sein. Vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Meine inzwischen lang verstorbene Großmutter habe ich als sehr gottesfürchtig – auch abergläubisch - in Erinnerung. Sie war meine wichtigste Bezugsperson, nachdem meine Eltern von der Landwirtschaft stark vereinnahmt waren.
Bei Gewittern praktizierten wir immer das Sekunden-Zählen zwischen Blitz und Donner, um die Entfernung des Gewitters festzustellen. An diesem Abend kam zu dem furchterregenden Lärm, den der Donner erzeugte, noch die Gewissheit, dass es kein Zählen mehr gab. Alles spielte sich direkt über uns ab. Ich habe Szenenfetzen vor mir.
Meine Großmutter hatte den Rosenkranz um ihre Hände gelegt. Sie leierte die Gebete mit einer leichten Wippbewegung ihres Oberkörpers vor sich her. Ich weiß nicht mehr, welche Rolle ich dabei spielte. Ich glaube, ich war einfach auch da, aber ließ das Ganze einfach geschehen – in vollstem Vertrauen, dass meine Großmutter offensichtlich wusste, was zu tun war, „wenn der Himmelvater schimpft“.
Beim nächsten unglaublich lauten Donnerschlag und dem Blitzlicht, das durch das Fenster funkte, legte meine Großmutter den Rosenkranz weg. In meiner Erinnerung hatte sie nicht aufgehört zu beten. Sie holte den Palmbuschen vom letzten Osterfest vom Küchenschrank, wo er für dieses Jahr den Segen für das Haus bringen sollte und schob mit dem Schürhaken eine runde Platte des brennenden Tischherds beiseite und warf den Palmbuschen hinein und fuhr mit dem Beten fort.
Meine Bilder von diesem Erlebnis ändern sich mit jedem Erinnerungsvorgang ein bisschen. Die Konstanten sind nur die Rosenkranz, das Beten und der brennende Palmbuschen. Ja und natürlich die Oma.
Ich nenne diese Erinnerung „Teufelsaustreibung“, weil ich meine Großmutter so bestimmt und hartnäckig gegen dieses Gewitter angehen gesehen habe, wie ich das nie wieder von einem Erwachsenen gesehen habe. Das Feuer tut natürlich auch das Seine zur Fegefeuerausschmückung.
In meiner Erinnerung spüre ich keine Angst oder Verzweiflung. Meine Großmutter hatte sich des Raumes und des Momentes so ermächtigt, dass für mich kein Zweifel daran bestand, dass sie alles im Griff hatte. Dieses gewaltige Gewitter konnte uns keine Gewalt antun. Meine Großmutter wies es in seine Schranken.
Warum war mir dieses Ereignis in Erinnerung geblieben und warum in dieser Form der Ermächtigung? Ich glaube, meine Großmutter steht in dieser Erinnerung für die Macht, die eine ansonsten ruhige Frau aus sich heraus aufbauen kann und so sich und jene, die sie zu beschützen hat, sicher durch Situationen führt, an denen andere zerbrechen. Sich Raum nehmen, sich Situationen aneignen. Nicht vor Großem zurückschrecken. Im Glauben (an einen christlichen Gott oder eine weibliche Kraft) gefestigt sein. Das beeindruckt mich an dieser Erinnerung und festigt meinen Mut bei jedem Mal, wenn ich diese Geschichte wieder neu konstruiere.
- Renate Gruber, 44, Unternehmerin, zwei Kinder 12 und 14 Jahre alt, wohnt in Kaindorf.
Das könnte dich auch interessieren:
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.