Medizinische Sichtweise
Coronalockerungen: Hat die Party zu früh begonnen?

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Trotz anhaltend hoher Neunifektionenzahl – Stand Montag gab es in der Steiermark 35.706 aktiv Infizierte und 3.651 Neuerkrankungen in den letzten 24 Stunden – wurden am 5. März zahlreiche Corona-Maßnahmen gelockert. Wir haben uns innerhalb der verschiedenen Gesundheitsberufe dazu umgehört. 

In der Nacht von Freitag auf Samstag wurden sämtliche Zutrittsregeln aufgehoben. Auch der grüne Pass wird seither nicht mehr benötigt. Zudem hat die Nachtgastronomie wieder geöffnet, Sperrstunden gehören vorerst der Vergangenheit an. Wir haben beim steirischen Gesundheitspersonal nachgefragt, wie schlau diese Lockerungen aus medizinischer Sicht tatsächlich sind. 

Wie beurteilst du die Lockerungen?

Klaus Vander ist ärztlicher Direktor am Institut für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie. Für den Experten sind die aktuellen Öffnungsschritte "auf Basis der derzeit recht soliden Immunisierungsrate (Impfung & Genesen) in Zusammenspiel mit Omikron durchaus argumentierbar." Dennoch hätte er in Abwarten eines  stabilen Abwärtstrends der Infektionszahlen bevorzugt. 

Immunisierung schützt vor Überlastung

"In Hinblick auf das aktuelle Infektionsgeschehen gilt festzuhalten, dass jetzt als auch in Zukunft nicht die Infektionszahlen maßgeblich sind, sondern die mit den Infektionen einhergehende Krankheitslast. Diese wird durch die den Anteil der Infizierten ausgedrückt, die medizinischer Betreuung im Krankenhaus bedürfen. Hierbei ist gerade die seit Monaten stabil auf niedrigem Niveau verlaufende Belastung der Intensivstationen ein Ausdruck dafür, dass die Immunisierung (Impfung) sicher vor einem schweren Krankheitsverlauf schützt. Dieser Umstand führ uns aber vor Augen, dass die Basis für ein nachhaltiges Reduzieren der Krankheitslast der Bevölkerung durch COVID- insbesondere in Hinblick auf den Herbst und Winter 2022- ausschließlich auf einer (weiterhin) regen Inanspruchnahme des Impfangebotes basiert", erklärt Vander

Klaus Vander, Ärztlicher Direktor des Instituts für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie, hätte ein Abwarten auf einen stabilen Abwärtstrend bevorzugt.  | Foto: KK
  • Klaus Vander, Ärztlicher Direktor des Instituts für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie, hätte ein Abwarten auf einen stabilen Abwärtstrend bevorzugt.
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Hätten wahrscheinlich etwas länger fasten sollen

Für etwas zu voreilig befindet der Allgemeinmediziner und Bruck-Mürzzusschlags Bezirksärztevertreter Günther Hirschberger die Lockerungen. "Wir haben den nächsten angeschlagenen Gesundheitsminister verloren, weil er möglicherweise auch gesehen hat, dass die Lockerungen vielleicht doch zu früh vonstatten gehen", meint Hirschberger zum Rücktritt von Wolfgang Mückstein. "Die fast 40.000 Neuinfektionen in der vergangenen Woche haben wir auch in der Ordi gespürt. Auch wenn wir alle sehr hungrig sind, sollten wir wahrscheinlich noch ein bisschen mehr fasten", so der Allgemeinmediziner aus St. Barbara.

"Leider hat sich die Politik nie danach ausgerichtet, was aus medizinischer Sicht gut ist, sondern was gut für die Wirtschaft ist."
Günther Hirschberger, Allgemeinmediziner aus St. Barbara

Für den Mürztaler Bezirksärztevertreter Günther Hirschberger sind die Lockerungen zu früh gekommen.  | Foto: Hofbauer
  • Für den Mürztaler Bezirksärztevertreter Günther Hirschberger sind die Lockerungen zu früh gekommen.
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Das dritte Ostern daheim?

Welche Auswirkungen die jetzt hohen Infektionszahlen auf die künftige Situation haben werden, ist schwer abzuschätzen. "Das Schlimmste wäre, wenn jetzt die nächste Variante kommt, von der uns Omikron nicht schützen wird, weil die Abwehr nicht übereinstimmt. Wenn wir Pech haben und das passiert, sitzen wir die dritten Ostern zuhause", sagt Hirschberger.

Auch Krankenpfleger:innen wollen feiern, aber....

"Als Privatperson begrüße ich die Lockerungen, weil auch wir Krankenpfleger:innen endlich mal wieder feiern wollen", erzählt eine diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin aus der Obersteiermark. "Dennoch würde ich mich für eine verlängerte Maskenpflicht sowie verpflichtende Testungen für alle bei Konzerten sowie im Kunst- und Kulturbereich aussprechen, damit man zumindest ein paar Infizierte herausfischt. Sobald es die ersten Anzeichen für eine Verschärfung der Lage gibt, müssen wir schneller als bisher handeln, damit uns nicht noch einmal dasselbe passiert", so die Krankenpflegerin. 

Karoline Riedler vom Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband weist auf die noch nicht eingetretenen Änderungen der Quarantäneregeln hin.  | Foto: KK
  • Karoline Riedler vom Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband weist auf die noch nicht eingetretenen Änderungen der Quarantäneregeln hin.
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Ähnlich sieht das auch Karoline Riedler vom Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband. „Auf menschlicher Ebene verstehen auch wir den Wunsch nach uneingeschränkter Öffnung in allen Bereichen. Zeitgleich zu den Öffnungen wurden aber keine Quarantäneänderungen getroffen. Viele Pflegende sind durch steigende Infektionszahlen durch alle Altersstufen in der Bevölkerung selbst von einer Covidinfektion betroffen. Dies verstärkt wiederum die derzeit ungenügende Personalsituation", so die Leiterin des Universitätslehrganges Mittleres Pflegemanagement und Mitglied des Präsidiums des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpfegeverbandes.

"Vor dem Hintergrund der ohnehin schon schlechten Personalausstattung in der Pflege muss kritisch angemerkt werden, dass sicher eine stufenweise Öffnung mehr Sicherheit in der pflegerischen Grundversorgung gegeben hätte."
Karoline Riedler

Rotes Kreuz macht einfach seine Arbeit

Seitens des Roten Kreuzes hält man sich mit einer Meinungsäußerung zu den Lockerungen zurück: "Wir beurteilen nicht, sondern halten uns an gesetzlichen Vorgaben. Wir haben uns an die Legislative zu halten. Das ist unsere Haltung. Wir sprechen kein Urteil. Jeder hat natürlich Privatmeinung, aber das Rote Kreuz macht einfach seine Arbeit", sagt August Bäck, Kommunikationsleiter des Roten Kreuzes Steiermark dazu und verweist auf die zahlreichen Zusatzaufgaben, die seit Corona beim Roten Kreuz dazugekommen sind.

August Bäck, Kommunikationsleiter des Roten Kreuzes Steiermark, hält sich mit seiner Meinung zurück: "Wir machen einfach unsere Arbeit." | Foto: Rotes Kreuz
  • August Bäck, Kommunikationsleiter des Roten Kreuzes Steiermark, hält sich mit seiner Meinung zurück: "Wir machen einfach unsere Arbeit."
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Reinhard Gütl vom Roten Kreuz Weiz dazu: "Man muss einfach abwarten, es ist schwierig und noch zu früh, um eine Prognose abzugeben. Das wird sich vermutlich in den nächsten Wochen zeigen. Bei uns auf den RK-Dienststellen gelten nach wie vor die Covid-Regeln und auch die Maskenpflicht, auch beim Patientenkontakt etc. Wir sind auf alles vorbereitet, die Zahlen waren bzw. sind ja ohnehin relativ hoch, gerade auch im Bezirk Weiz liegen wir um Spitzenbereich, leider. Es ist absolut schwer dazu etwas Konkretes zu sagen, wie es sich weiter entwickeln wird.

Reinhard Gütl vom Roten Kreuz Weiz tut sich schwer mit einer Prognose: "Wir sind auf alles vorbereitet." | Foto: RegionalMedien
  • Reinhard Gütl vom Roten Kreuz Weiz tut sich schwer mit einer Prognose: "Wir sind auf alles vorbereitet."
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