Tag der sozialen Gerechtigkeit
5 Fragen an Brigitte Brand vom Armutsnetzwerk Steiermark

Brigitte Brand ist geschäftsführende Koordinatorin des Armutsnetzwerk Steiermark. | Foto: Daniela Jakob
3Bilder
  • Brigitte Brand ist geschäftsführende Koordinatorin des Armutsnetzwerk Steiermark.
  • Foto: Daniela Jakob
  • hochgeladen von Cornelia Gassler

Heute ist Tag der sozialen Gerechtigkeit. MeinBezirk.at hat mit Brigitte Brand, der geschäftsführenden Koordinatorin des Armutsnetzwerk Steiermark, über Armut als Faktor für soziale Ungerechtigkeit gesprochen.

STEIERMARK. Auf Basis der Grundsätze Fairness, Demokratie, Partizipation, Transparenz, Rechenschaftspflicht und Einbeziehung aller haben die Vereinten Nationen im Jahr 2009 siebzehn Entwicklungsziele definiert und den Tag der sozialen Gerechtigkeit geschaffen. Der 20. Februar soll daran erinnern, dass die Verteilung von Vermögen, Bildungschancen und der Zugang zum Arbeitsmarkt in der Gesellschaft nach wie vor ungleich ist. 

Ein Blick auf die Zahlen

Ganze 13 Prozent der Steirerinnen und Steirer sind armutsgefährdet. Die Einkommensschwelle für einen Ein-Personen-Haushalt beträgt aktuell 1.329 Euro monatlich. Zum Vergleich: Das mittlere Netto-Jahreseinkommen pro Kopf liegt in Österreich laut EU-SILC 2021 bei 26.571 Euro (Ø 2019-2021). Besonders besorgniserregend: Rund 3% der Steirerinnen und Steirer sind arm und auf Hilfe angewiesen.

Armutsnetzwerk Steiermark

Das im Sommer 2018 gegründete Armutsnetzwerk Steiermark versteht sich als gemeinnütziger Verein, der überparteilich, unabhängig und überkonfessionell agiert. Das Ziel ist die Verringerung von Armut und sozialer Ausgrenzung in der Steiermark. Das Netzwerk unter dem österreichweiten Dach der Armutskonferenz besteht in der Steiermark aus 26 Organisationen und 11 Privatpersonen (teilweise selbst armutsbetroffen), die ehrenamtlich tätig sind. Brigitte Brand ist ein Gründungsmitglied.


Fünf Fragen an Brigitte Brand

  • Frau Brand, wie definieren Sie soziale Gerechtigkeit?

Eines der wichtigsten "Sustainable Goals" (Anm.: Entwicklungsziele) ist die Armutsbekämpfung. Diese umfasst leistbaren Wohnraum sowie die Senkung der Energiekosten für Strom und Gas, aber auch einen ausreichend hohen Mindestlohn und gute Kollektivverträge. Gleichzeitig fällt darunter die Arbeitslosenunterstützung - wo wir in Österreich im EU-Schnitt mit 55% sehr weit hinten liegen. Um von sozialer Gerechtigkeit sprechen zu können, braucht es zudem ein Recht auf Bildung für Kinder und Jugendliche sowie ein Ende des Gender Pay Gap.

Eine aktuelle Studie der Armutskonferenz zeigt, dass Frauen seit Beginn der Pandemie häufiger in die Armut rutschen. | Foto: Alexander Dummer/Unsplash
  • Eine aktuelle Studie der Armutskonferenz zeigt, dass Frauen seit Beginn der Pandemie häufiger in die Armut rutschen.
  • Foto: Alexander Dummer/Unsplash
  • hochgeladen von Cornelia Gassler
  • Wie erleben Sie den Einfluss der Pandemie im Armutsnetzwerk?

Unsere Mitgliedsorganisationen haben erheblich mehr Anfragen seit Beginn der Pandemie. Es sind viele Menschen, die sich nie gedacht hätten, dass sie einmal einen Sozialmarkt besuchen werden. Durch die Pandemie treten viele Problemfelder, die vorher schon da waren, noch deutlicher zu Tage. Eines davon sind die steigenden Lebensmittelpreise, die für Armutsbetroffene ein tägliches Abwägen bedeuten. Und gerade für Familien mit Kindern ist das Home Schooling auf beengtem Wohnraum eine Herausforderung.

  • Wie viele Menschen in der Steiermark sind von Armut betroffen?

Bei den Armutsgefährdeten liegen wir in der Steiermark bei 13% bzw. in Zahlen bei 158.000 Menschen. Das entspricht auch ziemlich genau dem Österreichschnitt. Wirklich erheblich materiell depriviert sind um die drei Prozent der Steirer:innen. Das heißt rund 40.000 Menschen können sich wirklich wesentliche Güter des täglichen Bedarfs nicht leisten. Sie können beispielsweise im Winter auch ihre Wohnung nicht ausreichend heizen oder ein kaputtes Elektrogerät aus eigenen Mitteln ersetzen.

"40.000 Menschen in der Steiermark können sich wirklich wesentliche Güter des täglichen Bedarfs nicht leisten und ihre Wohnung nicht ausreichend heizen."
Brigitte Brand,
Armutsnetzwerk Steiermark

13 Prozent der Steirer:innen müssen buchstäblich jeden Cent zweimal umdrehen - sie sind armutsgefährdet. | Foto: Josh Appel/Unsplash
  • 13 Prozent der Steirer:innen müssen buchstäblich jeden Cent zweimal umdrehen - sie sind armutsgefährdet.
  • Foto: Josh Appel/Unsplash
  • hochgeladen von Cornelia Gassler
  • Was raten Sie Armutsbetroffenen?

In erster Linie sollte man aktiv werden, Hilfe und Unterstützungsleistungen annehmen. Es gibt viele Stellen in der Steiermark, an die man sich wenden kann. Armut ist aber immer ein strukturelles Problem und darf nicht individualisiert werden. Deshalb ist es eine meiner Hauptaufgaben, bei den politischen Entscheidungsträger:innen regelmäßig nachzuhaken und zum Beispiel beim Sozialunterstützungsgesetz nachzubessern, Arbeitnehmer:innen und Firmen in Bezug auf den Gender Pay Gap zu sensibilisieren und leistbaren Wohnraum einzufordern. 

  • Welche Unterstützungen wünschen Sie sich vonseiten der Politik?

Es wäre wichtig, wieder mehr Gemeindewohnungen zu bauen bzw. die Voraussetzungen dafür zu entschärfen. Und auch die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich in den letzten 15 Jahren verdreifacht - hier sind vor allem jene betroffen, die sich aufgrund ihres Alters oder mangelnder Gesundheit nicht am Arbeitsmarkt behaupten können. Für sie bräuchte es noch mehr alternative Arbeitsmarktmaßnahmen. Und ein Diskussionspunkt ist für mich auch die 'neue' Sozialunterstützung, durch die viele Armutsbetroffene jetzt weniger bekommen.

Weitere Informationen zum Armutsnetzwerk und den laufenden Initiativen findest du hier.

Das könnte dich auch interessieren:

Neue Einkommensobergrenze für Sozialleistungen
Staatliche Familienleistungen sind 2023 höher
Push-Nachrichten auf dein Handy
MeinBezirk.at auf Facebook verfolgen
Die Woche als ePaper durchblättern
Newsletter deines Bezirks abonnieren

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.