Klimawandel
Tirol hat die stärksten Gletscherrückgänge in Österreich

Unsere Gletscher sind auch 2022 wieder enorm geschmolzen und haben an Masse verloren. | Foto: Alexander Doric
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Es sind erschütternde Daten, die jedes Jahr aufs Neue traurige Rekorde hervorbringen: Die Ergebnisse der Messungen des Gletscherschwunds. Auch 2023 informiert der Österreichische Alpenverein umfassend über die Entwicklung der heimischen Gletscher. Tirol ist am stärksten vom Gletscherschwund betroffen. 

TIROL. Es ist der größte Gletscherschwund, in der bis 1891 zurückreichenden Geschichte des Alpenvereins-Gletschermessdienstes, der je gemessen wurde. Im Mittel sind die 89 vom Alpenverein beobachteten österreichischen Gletscher um 28,7 Meter kürzer geworden. Dieser enorme Anstieg des mittleren Rückzugs im Vergleich zum Vorjahr (11 Meter) bedeutet Alarmstufe Rot.

Tirol am stärksten betroffen

Unter den zehn stärksten Gletscherrückgängen sind acht Gebiete in Tirol. Auch die größte Längenänderung wurde von den ehrenamtlichen Alpenvereins-Gletschermessern erneut in der Venedigergruppe gemessen, wo sich das Schlatenkees (Tirol) um 89,5 Meter (Vorjahr: 54,5 Meter) Länge zurückzog.

Schlatenkees um 1930.  | Foto: Alpenverein-Museum/Archiv
  • Schlatenkees um 1930.
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Schlatenkees 2022.  | Foto: ÖAV Gletschermessdienst / R. Luzian
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10 stärkste Rückgänge - Längenverluste in Metern:

  1. Schlatenkees (Venedigergruppe, Tirol) - 89,5
  2. Pasterze (Glocknergruppe, Kärnten) - 87,4
  3. Diemferner (Ötztaler Alpen, Tirol) - 84,3
  4. Gepatschferner (Ötztaler Alpen, Tirol)- 78,0
  5. Niederjochferner (Ötztaler Alpen, Tirol) - 75,1
  6. Schalfferner (Ötztaler Alpen, Tirol) - 66,5
  7. Hornkees (Zillertaler Alpen, Tirol) - 65,0
  8. Schmiedingerkees (Glocknergruppe, Salzburg) - 62,6
  9. Alpeinerferner (Stubaier Alpen, Tirol) - 59,5
  10. Taschachferner (Ötztaler Alpen, Tirol) - 53,0

Der durchschnittliche Längenverlust der 78 sowohl 2021 als auch 2022 vermessenen Gletscher betrug -28,7 m und ist damit der höchste seit Beginn der Gletschermessungen 1891.

Stärkste Rückgänge pro Gebirgsgruppe in Metern:

  • Venedigergruppe: Schlatenkees - 89,5
  • Glocknergruppe: Pasterze - 87,4
  • Ötztaler Alpen: Diemferner - 84,3
  • Zillertaler Alpen: Hornkees - 65,0
  • Stubaier Alpen: Alpeinerferner - 59,5
  • Silvrettagruppe: Ochsentaler Gletscher - 42,8
  • Ankogel-Hochalmspitzgruppe: Westl. Trippkees - 36,7
  • Goldberggruppe: Ö. Wurtenkees-Schareck - 28,7
  • Granatspitzgruppe: Sonnblickkees - 22,1
  • Dachstein: Schladminger Gletscher - 20,6
  • Schobergruppe: Hornkees - 2,3
  • Karnische Alpen: Eiskar-Gletscher - stationär

Stärkste Rückgänge pro Bundesland in Metern:

  • Tirol: Schlatenkees - 89,5
  • Kärnten: Pasterze - 87,4
  • Salzburg: Schmiedingerkees - 62,6
  • Vorarlberg: Ochsentaler Gletscher - 42,8
  • Oberösterreich: Schladminger Gletscher - 20,6

Deutlicher Rekord

Seit dem Beginn der Gletschermessungen des Österreichischen Alpenvereins hat es bisher erst fünf Jahre mit durchschnittlichen Rückzugswerten über 20 Metern gegeben – und alle nach 2006. Der aktuelle Wert ist also ein deutlicher Rekord und unterstreicht die anhaltend schlechten Bedingungen unser Alpengletscher.

Dr. Gerhard Lieb und Dr. Andreas Kellerer-Pirklbauer | Foto: Alpenverein/Simon Schöpf
  • Dr. Gerhard Lieb und Dr. Andreas Kellerer-Pirklbauer
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„Dieses Ergebnis erklärt sich aus der Kombination unterdurchschnittlicher Schneemengen im Winter und einer erneut langen und sehr warmen Schmelzperiode, die schon an der Monatswende Mai/Juni einsetzte und bis in den September hinein andauerte“,

analysieren Gerhard Lieb und Andreas Kellerer-Pirklbauer, Leiter des Alpenvereins-Gletschermessdienstes und hauptberuflich am Institut für Geographie und Raumforschung an der Universität Graz tätig.

Österreich bis 2075 eisfrei?

Spätestens ab der zweiten Julihälfte 2022 waren die meisten Gletscher zu weit mehr als der Hälfte ihrer Fläche eisfrei. Zum Zeitpunkt der maximalen Ausaperung im September waren an allen Gletschern nur mehr schmale Streifen von Firn oder Schnee in den höchsten Gletscherteilen vorhanden. Somit verfügte kein Gletscher noch über ein nennenswertes Nährgebiet, sondern die österreichischen Gletscher waren beinahe vollständig zu Zehrgebieten geworden und verloren auch in den höchsten Bereichen massiv an Eis. Wichtig für das sommerliche Abschmelzgeschehen auf den Gletschern war außerdem der Mitte März durch Strömungen aus südlicher Richtung erfolgte Eintrag von Saharastaub: Dieser blieb in der Schneedecke im Hochgebirge eingelagert und verdunkelte nach Abschmelzen der darüber liegenden Schneeschichten im Sommer die Schneedecke, was deren Abbau durch stärkere Absorption der Strahlung beschleunigte.

"Der aktuell und in Zukunft wohl weiter herrschende drastische Gletscherschwund macht langfristig die österreichischen Alpen so gut wie eisfrei – „optimistisch“ wird dies 2075 sein, wahrscheinlich aber deutlich früher. Die Gletscher zehren noch von Eisreserven der Vergangenheit und wären schon verschwunden, würden die gegenwärtigen Klimabedingungen nicht erst seit etwa 1990, sondern schon ein paar Jahrzehnte länger anhalten.",

so Gerhard Lieb und Andreas Kellerer-Pirklbauer.

Gletschermesser bei der Arbeit. Spätestens ab der zweiten Julihälfte 2022 waren die meisten Gletscher zu weit mehr als der Hälfte ihrer Fläche eisfrei. | Foto: Alexander Doric
  • Gletschermesser bei der Arbeit. Spätestens ab der zweiten Julihälfte 2022 waren die meisten Gletscher zu weit mehr als der Hälfte ihrer Fläche eisfrei.
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"Nein" zum weiteren Ausbau von Gletscherskigebieten

Der Österreichische Alpenverein als Naturschutzorganisation setzt sich seit Jahren für den ausnahmslosen Gletscherschutz und den Schutz der umliegenden hochalpinen Regionen ein. Er sprach sich deshalb kürzlich erneut vehement gegen den weiteren Ausbau von Gletscherskigebieten aus. Gemeinsam mit den Naturfreunden, dem WWF und dem Deutschen Alpenverein fordert der Österreichische Alpenverein in einem Antrag an die Tiroler Landesregierung den skitechnischen Ausbauplänen auf den drei Gletschern rund um den Linken Fernerkogel im Pitztal eine Absage zu erteilen und stattdessen das Ruhegebiet Ötztaler Alpen auszuweiten. Die touristische Neuerschließung von Gletscherflächen ist aus Sicht des Alpenvereins in einer Zeit, in der die Klimakrise den Gletschern ohnehin enorm zusetzt, einfach nicht mehr vertretbar.

Gletschermessungen werden schwieriger

Dadurch dass sich die Gletscher immer weiter zurückziehen, ist in vielen Gebieten nicht mehr die Zugänglichkeit gegeben. In den meisten Gebieten bleibt nur noch sehr steiles, lockeres Schuttmaterial zurück oder die höheren Geländeteile sind nur über sehr schwierige Felspartien zugänglich.

Gletschermesser unterwegs zur Arbeit. Schmelzen die Gletscher weiter, wird es immer schwieriger, die Messungen durchzuführen. | Foto: Andreas Kellerer-Pirklbauer
  • Gletschermesser unterwegs zur Arbeit. Schmelzen die Gletscher weiter, wird es immer schwieriger, die Messungen durchzuführen.
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„Wenn das der Fall ist, hören die Gletschermessungen auf, weil es einfach zu gefährlich wird, sie durchzuführen. Es gibt dann zwei Szenarien: Entweder der betreffende Gletscher wird weiterhin durch Fotovergleiche beobachtet, um dadurch zu sehen, ob er größer oder kleiner geworden ist. Oder er wird aus dem Programm genommen“,

erklären Lieb und Kellerer-Pirklbauer. Und das passiere natürlich immer wieder – im Jahr 2022 war dies beim Bieltalferner in der Silvrettagruppe der Fall. Durch die schwieriger werdenden Bedingungen wird die Zahl der insgesamt vermessenen Gletscher dadurch tendenziell geringer.

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