Nahversorgung ist unersetzlich
Naheliegend (XI): Apfelschmiede
Manchmal sagt sie Worte wie „Möglichkeitssinn“. Oder sie läßt mich wissen: „Du lügst ziemlich schlecht.“ Kann auch sein, daß sie sich gerade über ein Großmaul lustig macht. Das klingt dann zum Beispiel so: „Wir werden sehen, wie sich die Entwicklung entwickelt. Oida!“ Und es heißt, ihr Vater habe gelegentlich stirnrunzelnd gesagt: „Macht‘s die Tür zu, sie will rein.“
Auf ihrem Rückweg von Graz, wo Zustellungen zu erledigen gewesen sind, hat sie in Gleisdorf kurz angehalten. Ich ging vor das Tor hinaus, ein paar Dinge in Empfang zu nehmen. Ihre Landwirtschaft liegt nahe Pöllau bei Hartberg. Die Internetverbindung ist eine Brücke über diese Distanz hinweg. Aber eben nicht für Dinge.
Davor hatte es diesmal folgende Dialogsequenz gegeben. Carmen: „Willst du auch Äpfel haben?“ Ich: „Gerne.“ „Wieviel?“ „Vier!“ „Kilo?“ „Nein, Stück.“ So ließe sich anschaulich machen, was den Unterschied zwischen einem bäuerlichen Leben und einem Stadtleben ausmacht. Ich wohne zentral, doch ohne Speisekammer oder Kellerabteil. Also vier Äpfel statt vier Kilo davon.
Produktion und Vorratshaltung sind ein völlig anderes Pärchen als Konsumation und Vorratshaltung. Wie viele Jahrzehnte hab ich kaum je nachgedacht, daß jemand für Felder, Wiesen und Stallungen sorgt und wie das geht? Als Stadtmensch (ohne Balkon mit Gewürzen in Blumentöpfen) wähle ich je nach Vorhaben, Bedarf und Budgetlage aus, was mir in gut gefüllten Regalen interessant erscheint.
Es hat freilich eine ganz andere Magie, wenn ich mich mit jemandem verständigen kann, durch deren Hände die Dinge von der Wurzel her gegangen sind. Auch das spiegelt sich manchmal in einer Dialogsequenz wieder. Zum Beispiel… Ich: „Übrigens deine Arrabiata-Mischung flimmert grade aus meinem Nudelauflauf.“ Carmen: „Flimmert?“ „Genau!“ „Hast eh genug Taschentücher?“ „Küchenrolle!“
Ahnen Sie, weshalb mir solche Zusammenhänge heute wichtig sind? Man könnte wirtschaftlich oder lokalpatriotisch argumentieren. Es ließe sich viel über gute ökologische Gründe sagen. Ich aber habe meist viel überschaubarere Motive in meinen Zugängen zu all dem.
Wir leben in einer extrem arbeitsteiligen und inzwischen globalisierten Welt. Man könnte den Verstand verlieren, wenn man noch halbwegs begreifen möchte, wie es zu den Gegenständen kommt, mit denen wir uns umgeben.
Man könnte sich selbst verlieren, wenn man alle Fixpunkte aus den Augen verliert, Markierungen, die man doch braucht, um noch zu wissen, wo oben, unten, links, rechts, vorne und hinten ist. Unsere Welt ist sehr komplex geworden.
Daß Carmen hinter den sieben Bergen lebt, läßt sich also via Telekommunikation verkürzen. Aber ohne die konkrete Anschauung genügt das nicht. Die Hänge mit den Obstbäumen. Die Beete. Der Graben, wo dann unten der Wald beginnt. Carmens Mann Stefan stieg zur Begrüßung kurz vom Traktor, merkte an, daß er noch gut eineinhalb Stunden zu tun habe.
Wir waren mit dem Essen schon fertig, als er an den großen Tisch unter dem ausladenden Baum kam. Er saß dann weitgehend schweigend über seinem Teller. Ich sah mir seine Hände sehr genau an.
Wie viel leichter ich mir mein Geld verdienen darf, denn selbst wenn die Freelancer-Existenz immer von Unwägbarkeiten und oft von Gefährdungen umgeben ist, kann ich in schweren Zeiten auch einmal auslassen, ohne daß gleich was passiert. Aber hier, das Haus, die Pflanzen, die Tiere, das Wetter, ich denke, da kann schon durch ein einziges Versäumnis das Ergebnis von viel Arbeit verloren gehen.
Doch wer weiß, vielleicht sind das auch bloß Klischees. Ich höre gerne, wenn Menschen von ihrer Arbeit erzählen. Das ist eben eine Welt voller Magie, wovon ich so viele Nischen noch nicht kenne. Und wenn ich in meiner Küche wieder ein Stück geschickter geworden bin, wenn mir öfter auch schmeckt, was ich koche, dann hat das mit solchen Begegnungen zu tun.
In einer Welt, wo wir an jeder Ecke für wenig Geld Dreck nachgeworfen bekommen und so mitunter vergessen, wie gute Dinge schmecken, kann die Leistung von Bauersleuten wie Carmen und Stefan gar nicht überbewertet werden. Sie halten uns mit Qualitäten in Verbindung, die einer Gesellschaft weit schneller verlorengehen können, als man denken mag.
+) Apfelschmiede
+) Siehe auch: Feldkreuz in Wieden (Pöllau bei Hartberg)
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