6 Frauenmorde im Oktober
"Das Gefährlichste in Österreich ist die Beziehung"

Sechs Frauenmorde gab es in Österreich allein im Oktober. | Foto: DOKU NÖ
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Allein im Oktober sind in Österreich sechs Frauen getötet worden, und es gab einen weiteren versuchten Femizid. Warum sich diese Vorfälle im Herbst besonders stark häufen,  und was die Femizide von jenen im Frühjahr unterscheidet, erklärt der Kriminalpsychologe Reinhard Haller, der seit 1983 psychiatrische Gutachten erstellt, gegenüber MeinBezirk.at.

ÖSTERREICH. Die dunkle Jahreszeit und damit einhergehend weniger Sonnenstrahlen begünstigt depressive Stimmungen: Im Herbst sind Depressionen um 70 Prozent wahrscheinlicher als in den Sommermonaten. Das ist zwar bei Männern wie Frauen gleich, doch diese Erscheinung äußere sich auf unterschiedliche Arten: Während Frauen ihren Frust und ihre Unzufriedenheit "in sich hineinfressen" und maximal sich selbst etwas antun, richtet sich die Aggression bei Männern tendenziell nach außen, erklärt Haller.

"Das Gefährlichste ist die Beziehung"

Und der Kriminologe ergänzt: "Das mit den Frauenmorden ist vor allem ein sadistisches Problem, das ich sicher nicht herunterspielen will". Österreich habe im Allgemeinen eine sehr geringe Kriminalitätsrate, was Drogen-, Banden- oder mafiöse Delikte angehe – auch bei solchen Delikten seien vor allem Männer die Täter. Stattdessen vermerke man eine hohe Opferzahl, die aufgrund von Beziehungen entstehe. Kurz gesagt: "Bei uns in Österreich ist das Gefährlichste die Beziehung."

Als Opfer häufiger betroffen seien Frauen, und nicht Männer. "Die männliche Depression wird letztlich nicht selten auch als Fremdaggression abgeladen". Mit dem Depressionsanstieg zur Herbstzeit könne sich der Experte die vielen Femizid-Fälle im Oktober erklären. Im internationalen Vergleich gebe es aber keinesfalls mehr Frauenmorde als in anderen Hochkriminalitätsregionen, wie Moskau oder in Mexiko, betont der Experte. 

Morde mit anschließendem Suizid

Was die Femizide im Oktober von jenen im Frühjahr unterscheidet, ist, dass es sich fast ausnahmslos um "erweiterte Morde" gehandelt habe, erklärt Haller weiter. Das bedeutet, dass im Anschluss an den Mord der Suizid folgte. In Wolfsberg, im Bezirk Zwettl und in Strasshof wurden Frauen von ihren Ex-Partnern erschossen. In den ersten beiden Fällen nahmen sich die Tatverdächtigen nach der Tat das Leben. Das unterstütze die These, dass die Herbst-/Winter-Depression die Eskalationen und anschließenden Suizid des mutmaßlichen Täters begünstigt. "Im Frühjahr wurden die Frauen im wahrsten Sinne des Wortes hingerichtet", so die Interpretation der Fall-Unterschiede durch den Experten.

Männer sehen sich als Opfer

In den seltensten Fällen töten Männer aufgrund von „Macho-Gehabe“, hält Haller fest, der 37 Frauenmörder ausführlich untersucht hat. Vielmehr seien es Kränkungsgefühle und die Angst, nie wieder geliebt zu werden, die Männer zu "todsicheren Lösungen – im schlimmsten Sinne des Wortes –" verleiten und so das "geschlechtliche Missverhältnis herauskommt. Das sage ich, ohne die Täter entschuldigen zu wollen". Es sei aber durchaus eine psychologische Erklärung für die Taten. 

"Sie betrachten sich selbst als Opfer"

"Wenn man mit denen (Frauenmörder, Anm.) redet, hat man immer das Gefühl, sie betrachten sich selbst als Opfer. Sie sagen: 'Ich habe die Hölle mitgemacht.'" Wenn man nach einer Erklärung dieser Hölle fragt, werde deutlich, dass es dabei um Angst vor Liebesmangel, -Liebesentzug, Machtverlust und Co. gehe. Den in den Medien porträtierten Macho, der mordet, gebe es bestenfalls in zehn Prozent der Fälle, erläutert Haller. Dabei sei aber "ganz wichtig zu betonen: Damit will ich keine Täter-Opfer-Umkehr betreiben". Vielmehr wolle er erklären, was in den Tätern vorgeht, um da mit der Prophylaxe anzusetzen.

Anders als bei den Femiziden im Frühjahr, handelte es sich im Oktober fast ausnahmslos um erweiterte Morde, bei denen sich die mutmaßlichen Täter ebenfalls umbrachten oder es versuchten. | Foto: Barbara Schuster/RMW
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Männerbild als großes Problem

Für den Experten sei klar, dass der Opferschutz vorgehe - es müsse eine Selbstverständlichkeit sein, dass Frauenhäuser und unterstützende Anlaufstellen ausreichend finanziert sein müssen.

"Ich glaube damit allein lässt sich das Problem aber nicht lösen, weil ja die Täter die schlimmen sind. Die Täter sind die, bei denen man die Tat auch verhindern muss."

Es gehe aber vor allem auch um ein differenziertes Männerbild: "Dass Männer auch schwach sein dürfen, auch versagen dürfen, auch damit zurechtkommen müssen, dass sie nicht mehr geliebt, angehimmelt und bewundert werden und vor allem auch, dass Männer Schwächen zeigen und Hilfe in Anspruch nehmen dürfen", meint Haller. Frauen seien zudem therapiefreudiger, wogegen Männer sich schwer damit tun, professionelle psychologische Hilfe anzunehmen. Das ende oft fatal, denn allein werden sie auch nicht damit fertig und reagieren dann "derartig primitiv und aggressiv – anders kann ich es nicht bezeichnen".

Überblick der Fälle im Oktober

In Wien wurden zwei Frauen unabhängig voneinander innerhalb von 24 Stunden Anfang Oktober getötet aufgefunden. Im 23. Wiener Gemeindebezirk fand man die Leiche einer 34-Jährigen Anfang Oktober. Unter Verdacht stand der 63 Jahre alte Partner, der nach einem anschließenden Suizidversuch in Lebensgefahr schwebte.

Nur wenige Stunden später ereignete sich ein Mordfall in der Leopoldstadt. Der Ehemann soll seine 54-jährige Frau mit Stichen getötet haben. Der 64-Jährige sprang anschließend aus dem Fenster, der Wohnung im zweiten Stock. Die Einsatzkräfte konnten ihm das Leben nicht mehr retten.

Der Tod einer weiteren Frau war am 13. Oktober in Hietzing, Wien zu bekunden. Nach langem Streit mit der Familie soll der Vater seine Tochter erschossen und sich dann selbst gerichtet haben. Ein Angehöriger fand den 73-Jährigen und seine 51-jährige Tochter in der Wohnung.

Eine mit Stichwunden zugerichtete Frau in Laakirchen entkam dem Tod am 29. Oktober nur knapp. Der 66-jährige Mann soll die 60-Jährige versucht haben zu töten und nahm anschließend Tabletten, um auch sein Leben zu beenden. Die Einsatzkräfte konnten beide retten. Motiv soll der von der Ehefrau angedrohte "Rauswurf" aus der gemeinsamen Wohnung sein. Der 66-Jährige wurde in die Justizanstalt Wels überstellt. Dabei handelt es sich um den jüngsten Fall eines (versuchten) Femizids.

Mit den drei weiteren Frauenmorden in Wolfsberg, im Bezirk Zwettl und in Strasshof beläuft sich die Zahl im Oktober 2023 auf sechs Femizide und einen Versuch.

In allen genannten Fällen gilt die Unschuldsvermutung.

Die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) zählen bisher 24 Femizide und weitere mutmaßliche Femizide.

Frauennotrufe in Österreich


Solltest du Opfer von Gewalt sein oder Gewalt wahrnehmen, wende dich jederzeit an den Polizeinotruf – 133

Weitere Anlaufstellen

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Österreichweite Krisentelefone & Notrufnummern


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Telefonseelsorge Österreich: 142

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Frauenhelpline 0800 222 555 - Rund um die Uhr, anonym und kostenlos. Informationen, Hilfestellungen, Entlastung und Stärkung – auch in Akutsituationen

ö3 Rotes Kreuz Kummernummer: 116 123 - aus allen Netzen zum Nulltarif erreichbar, absolut anonym; täglich von 16 bis 24 Uhr. Die Ö3-Kummernummer ist eine Erstanlaufstelle für alle Menschen in persönlichen Notlagen


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