Wie kann Integration gelingen?
Deutschkurse künftig an Jobs anpassen

Diskussionsrunde zum Thema: Wie kann Integration gelingen?" v. li.: Traude Kogoj, Gender- und Diversity-Beauftragte des ÖBB-Konzerns, Maria Jelenko-Benedikt, Chefredakteurin der RegionalMedien Austria, Integrationsministerin Susanne Raab, Josef Balber, Bürgermeister Altenmarkt/Triesting, Martin Wurzenrainer, Geschäftsführer des Wiener Integrationshauses. | Foto: Markus Spitzauer
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  • Diskussionsrunde zum Thema: Wie kann Integration gelingen?" v. li.: Traude Kogoj, Gender- und Diversity-Beauftragte des ÖBB-Konzerns, Maria Jelenko-Benedikt, Chefredakteurin der RegionalMedien Austria, Integrationsministerin Susanne Raab, Josef Balber, Bürgermeister Altenmarkt/Triesting, Martin Wurzenrainer, Geschäftsführer des Wiener Integrationshauses.
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Der Umgang mit geflüchteten Menschen rückte 2022 wieder verstärkt ins Zentrum der politischen und öffentlichen Debatte. Darum haben MeinBezirk.at gemeinsam mit dem Gemeindebund eine "Runde der Regionen" veranstaltet, bei der es darum ging, wie Integration gelingen kann. Fazit: Nicht nur Werte spielen eine große Rolle, sondern die Rahmenbedingungen für Geflüchtete gehören geändert – Integration ins Arbeitsleben soll schon während der Deutschkurse passieren, und diese müssen an die jeweiligen Jobs angepasst werden.

ÖSTERREICH. Wie sieht erfolgreiche Integration aus, welche Voraussetzungen müssen für Geflüchtete geschaffen werden, und welche Anforderungen sollte und kann man an sie stellen?

In einer "Runde der Regionen" wurden diese und andere Fragen von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP), Traude Kogoj, Gender- und Diversity-Beauftragte des ÖBB-Konzerns, Josef Balber, Bürgermeister Altenmarkt/Triesting, sowie Martin Wurzenrainer, Geschäftsführer des Wiener Integrationshauses, diskutiert, moderiert von Maria Jelenko-Benedikt, Chefredakteurin der RegionalMedien Austria. Leserinnen und Leser waren aufgerufen, im Vorfeld Fragen an die Runde zu schicken.

50 Prozent Frauen bei Asyl? 

Auf die Frage von Leserin Eva Oechsler aus Jenbach, Tirol, ob eine Frauenquote 50/50 bei der Gewährung von Asyl denkbar wäre, meint Raab, dass der Großteil der illegalen Migration tatsächlich aus Männern bestehe, zu Spitzenzeiten 80 Prozent. Gleichberechtigung von Mann und Frau sei oft nicht einfach, weil diese Männer anders sozialisiert seien, Frauen hätten etwa punkto Arbeit und Bildung nicht den Stellenwert in der Gesellschaft, wie in Europa üblich. Jedoch, so Raab: Bei Asyl handle es sich nicht um Zuwanderung mit gesteuerter Migration, sondern laut Genfer Flüchtlingskonvention haben Asylsuchende das Recht auf individuelle Prüfung, ob ein Mensch verfolgt wird, oder nicht. 50/50-Regelungen seien deswegen nicht denkbar. 

Geflüchtete Frauen gezielt fördern

ÖBB-Integrationsbeauftragte Taude Kogoj merkte an, dass man in ihrem Unternehmen versuche, vor allem junge geflüchtete Frauen punkto Ausbildung zu fördern, ja, man sogar gezielt nach ihnen suche. Damit wolle man auch einen Ausgleich schaffen, z. B. was die Lehrlingsausbildung betreffe. 

Potential von Migrantinnen nicht ausgeschöpft 

Kogoj appellierte an die Gesellschaft, die Potenziale, die Migrantinnen und Migranten mitbringen, besser einzusetzen: Unternehmen seien gut beraten, die vielfältigen Kulturen zu nützen, und auf Communities aktiver zuzugehen. Bei den ÖBB, wo in den nächsten fünf Jahren rund 17.000 neue Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter gebraucht werden, freue man sich jedenfalls auch künftig über viele multinationale Bewerbungen, um kreativere, produktivere und innovativere Zusammenarbeit zu ermöglichen. Der Arbeitsmarkt hätte mit den vielen Kulturen eine Ressource, die wir in Österreich erst teuer zukaufen müssten, so Kogoj.

"Wir wissen aus allen Studien, dass gut qualifizierte Frauen, die nach Österreich kommen, zu 30 Prozent in Hilfskräfte-Jobs landen, wenn sie einen akademischem Abschluss haben ." (Traude Kogoj, Gender- und Diversity-Beauftragte des ÖBB-Konzerns)

Frauen verdienen darüber hinaus nochmals erheblich weniger, als Männer mit Migrationsgeschichte. Wurzenrainer will angemerkt haben, dass Frauen, die nach Österreich kommen, zusätzlich nicht über das gleiche Sozialnetz verfügen, wie Österreicherinnen, und daher zusätzliche Probleme mit Kinderbetreuung haben. 

Integration über Veranstaltungen im Ort

Balber betonte, dass Asylwerberinnen und -werber neben Rechten auch Pflichten hätten, diese aber seinen Erfahrungen nach auch wahrnehmen würden. Anhand des Konzepts "Grenzenlos" erklärte der Bürgermeister, dass das Zusammenleben in Dorfgemeinschaften sehr gut funktioniere. In Altenmarkt mit seinen 43 Nationen werden auch christliche Feste wie Nikolaus gemeinsam gefeiert. Asylwerberinnen und -werber kochen gemeinsam mit den Einheimischen, wobei Gerichte der jeweiligen Nationalitäten zubereitet werden. "Da kommen wir einander wieder um einige Schritte näher", so Balber. Der Austausch zwischen deutschsprachigen und anderssprachigen Kindern funktioniere ebenfalls gut. Überhaupt ist der Bürgermeister der Meinung, dass die Sprache das "Um und Auf" sei. Der Bürgermeister von Altenmarkt, der aktuell über 200 Asylbewerberinnen und Asylbewerber aufgenommen hat, erzählte, wie es funktioniert:

"Bei uns wird eine Willkommensklasse gebildet, wo die Kinder vermehrt Deutschunterricht haben und mit den Eltern auch noch Deutsch lernen." (Josef Balber, Bürgermeister Altenmarkt/Triesting)

Deutschkurse an Jobprofile anpassen

Was Sprache angeht, meint der Chef des Wiener Integrationshaus, dass man bei Deutschkursen weg von Standardprogrammen und mehr auf die Kenntnisse eingehen müsse, die in den jeweiligen Berufsfeldern gesprochen werden, also "trainings on the job". Menschen, die einen positiven Asylbescheid haben, müsse man möglichst rasch weg vom Sozialsystem hin in die Selbstständigkeit bringen, bestätigte Raab. Dafür sei ein Umdenkprozess nötig: Statt zuerst Deutsch lernen und dann arbeiten, sei nun der Erwerb fachspezifischer Deutschkenntnisse nötig. Trotzdem müsse man diesen Menschen abseits von Sprache und sozialen Beratungen auch unsere Werte vermitteln, damit das Zusammenleben in der Zivilgesellschaft funktioniere. "Dabei sind Eigenmotivation und der eigene Antrieb das Wichtigste im Integrationsprozess", so Raab.

Arbeit schon während des Verfahrens?

Auf die Frage, ob man, wie Wiens Bürgermeister Michael Ludwig Anfang Dezember vorgeschlagen hatte, Asylwerberinnen und Asylwerber noch vor Beendigung des Asylverfahrens arbeiten lassen solle, sagte Babler, dass man sie in der Gemeinde Altenmarkt tatsächlich da und dort kleine Dienste verrichten lasse, auch während des Asylverfahrens, denn: "Ich sage mir, bevor sie irgendwo sitzen, helfen sie unserer Gesellschaft, und bekommen dafür a bisserl was." Heißt zum Beispiel: Schneeschaufeln für die Gemeinde gegen geringe Bezahlung, um sich neben der Vollversorgung ein Taschengeld dazu zu verdienen. Es sei offensichtlich, so Balber, dass die meisten Asylwerber auch arbeiten wollen. Bis zu 110 Euro Zuverdienstgrenze dürfen sie das auch, darüber würden sie ihren Anspruch auf einen Grundversorgungplatz verlieren.

Von 115 Euro im Monat zu leben, sei schwierig, meinte Wurzenrainer. Qualifizierte Beschäftigung sei gerade bei den langen Asylverfahren die größte Herausforderung, weil dadurch Disqualifizierung von mitgebrachten Kompetenzen passiere: das Verlernen von Kompetenzen, aber auch die Veränderung von Berufsbildern während der Verfahren. Darum plädiert der Chef des Integrationshaus für eine Arbeitserlaubnis von Menschen, die noch im Asylverfahren sind, wenigstens für Jugendliche. Darüber hinaus gehöre nicht nur  die Bildungspflicht von 18 Jahren ausgedehnt, sondern auch auf Asylwerber übertragen. Die Ministerin pflichtete dem bei: "Die Asylverfahren müssen so kurz wie möglich sein". Sie lehnt allerdings die Möglichkeit, Menschen während des Aslyverfahrens, arbeiten zu lassen, nicht überraschend entschieden ab. 

Kogoj, die bei den ÖBB mit 52 Nationen und über 90 unterschiedlichen Kulturen arbeitet, ortete hingegen Probleme am Arbeitsmarkt auch deswegen, weil die 110 Euro Zuverdienstgrenze ein Limit für den Arbeitsmarkt setze. Dass erst mit dem positiven Asylverfahren und entsprechenden Deutschkenntnissen die Chance, in die Arbeitswelt einzusteigen, existiere, sei schwierig. Die Peronal-Expertin sieht gegenseitiges Vertrauen und Kommunikation auf Augenhöhe als eine wichtige Voraussetzung für ein gelungenes Miteinander. Die Forderung “Du musst dich anpassen" sei nicht zweckdienlich. 

Kurze Asylverfahren ja, aber Werte lernen wichtig

Raab hingegen will auch Probleme mit Menschen, die zu kommen, was Werte anbelangt, nicht unerwähnt lassen:


"Das Werte-Fundament ist ja nicht etwas, das sie an der Grenze ablegen und die innere Sozialisation mit einem Kurs völlig aufgibt, sondern das erlernt man im Bildungssystem". (Integrationsministerin Susanne Raab)

Integration sei eine "Herkulesaufgabe", die nur funktioniere, weil "wir engagierte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister", und "einfach wahnsinnig viel zivilgesellschaftliches Engagement" und "gute Unternehmen" haben, die das schultern. Dass die Menschenrechte nicht verhandelbar seien, bestätigte Wurzenrainer, wünscht sich aber auch, dass Integrationspolitik eine politischen Teilhabe für Menschen zulässt, die hier bleiben.

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