Runde der Regionen
Pflegeberufe sind bei der Jugend unbeliebt

Expertinnen und Experten diskutierten im Rahmen der „Runde der Regionen", was  in der Pflege passieren muss.   (v.l.n.r.) Martin Nagl-Cupal, stv. Vorstand des Instituts für Pflegewissenschaft an der Uni Wien, Daniel Peter Gressl, DGKP, Vizepräsident des ÖGKV, Ö-Nurse,Maria Jelenko-Benedikt, RMA-Chefredakteurin, Markus Wieser, Präsident der AK NÖ und Gründer des Vereins Kinderreha, Ines Stilling, Generalsekretärin im Sozialministerium, Karin Martin, "Hausarzt"-Chefredakteurin. | Foto: Markus Spitzauer
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  • Expertinnen und Experten diskutierten im Rahmen der „Runde der Regionen", was in der Pflege passieren muss. (v.l.n.r.) Martin Nagl-Cupal, stv. Vorstand des Instituts für Pflegewissenschaft an der Uni Wien, Daniel Peter Gressl, DGKP, Vizepräsident des ÖGKV, Ö-Nurse,Maria Jelenko-Benedikt, RMA-Chefredakteurin, Markus Wieser, Präsident der AK NÖ und Gründer des Vereins Kinderreha, Ines Stilling, Generalsekretärin im Sozialministerium, Karin Martin, "Hausarzt"-Chefredakteurin.
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Im Rahmen der „Runde der Regionen" luden die Regionalmedien Austria (RMA) heuer bereits zum zweiten Mal zum Thema Baustelle Pflege ein. „Wie kann der Pflegeberuf attraktiviert werden?" – Die Experten waren sich einig, dass es einen gemeinsamen Schulterschluss aller und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen braucht. Auch junge Menschen müssen für den Beruf gewonnen werden – hier gibt es durchaus Potenzial, wie ein Umfrage der Arbeiterkammer zeigt. 

ÖSTERREICH. Bis 2030 fehlen österreichweit bis zu 78.000 Fachkräfte. Dass der Hut brennt ist mittlerweile bekannt. Was es braucht, um den drohenden Pflegenotstand abzuwenden, darüber diskutierten bei der sechsten „Runde der Regionen" folgende Gäste: Ines Stilling, Generalsekretärin im Sozialministerium, Markus Wieser, Präsident der AK NÖ und Gründer des Vereins Kinderreha, Daniel Peter Gressl, DGKP, Vizepräsident des ÖGKV, Ö-Nurse, Martin Nagl-Cupal, stv. Vorstand des Instituts für Pflegewissenschaft an der Uni Wien. Moderiert hat die Runde RMA-Chefredakteurin Maria Jelenko-Benedikt und „Hausarzt"-Chefredakteurin Karin Martin. 

Laut einer Befragung durch die Arbeiterkammer Niederösterreich entscheiden sich viele Jugendliche wegen Arbeitsverdichtung, körperlicher Belastung und geringer Dienstplansicherheit gegen den Pflegberuf. Entlastung sollen ab 1. Oktober Community Nurses bringen. "Wir müssen die Arbeitskräfte, die wir haben, im Beruf halten und auch junge Menschen für den Pflegeberuf begeistern", mahnte AK NÖ-Präsident Markus Wieser. Nur 17 Prozent der 14-18-Jährigen können sich vorstellen, im Pflegeberuf zu arbeiten. Für die Ausbildung fordert er 1.700 Euro im Monat – gleich viel, wie Exekutivbeamte. Laut Ines Stilling, Generalsekretärin im Sozialministerium, könnte eine Bezahlung über einen Ausbildungsfonds erfolgen. Noch im Herbst will die Regierung die Ausbildung attraktivieren, Rahmen- und Arbeitsbedingungen verbessern, kündigte sie an. Derzeit herrschen nicht nur große regionale Unterschiede, sondern auch punkto mobiler und Langzeit-Pflege – und zwar monetär, und in der Wertschätzung. Zentrales Problem der knapp 19.000 freiberuflichen Pfleger sei, dass sie viele Leistungen nicht mit der Kassa abrechnen können, beklagte Peter Gressl von der Gebietskrankenkasse, der auch als als "Ö-Nurse" tätig ist, und für den Pflegeberuf eine Stimme vermisst. Martin Nagl-Cupal vom Institut für Pflegewissenschaft betonte, dass bei Karrieremöglichkeiten zwar noch Luft nach oben sei, man aber auch "Karriere am Krankenbett" machen könne. 

Ein weiterer Punkt für die Bundesregierung sei die Möglichkeit, dass die Menschen möglichst lange, bis ins hohe Alter im eigenen Zuhause verbleiben können. Während der Pandemie habe man zudem einen einen leichteren Zugang zu Nostrifikationen für Pflegekräfte, die aus dem Ausland kommen, eingeführt. „Das wird auch weiter beibehalten", versprach Stilling.

„Pflege braucht eine Stimme"

ÖGKV-Vizepräsident Peter Gressl ortet in der Entlohnung in der Pflege Defizite: „In den verschieden Bundesländern sind die Gehaltssprünge sehr unterschiedlich und auch die Personalbesetzung“. „In der Pandemie ist großartiges geleistet worden, monetär ist aber sehr wenig abgegolten worden“, kritisierte Gressl, der als Ö-Nurse tätig ist. Als wesentliche Herausforderung sieht er die Koordination und Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. "Man spricht zwar von Pflege- und Gesundheitsberuf, sie werden dann aber immer von einander getrennt". Pflege möchte über Pflege sprechen, betonte Gressl. "Pflege braucht eine Stimme. Es ist aber schwierig, die verschiedenen Akteure und Interessenvertreter von den Organisationen auf einen Nenner zu bekommen."

"Nur 17 Prozent der Jungen können sich Pflegeberuf vorstellen!" 

Dass wir einen Pflegenotstand haben, sei mittlerweile Realität, erläuterte Arbeiterkammer NÖ-Präsident Markus Wieser. Die Pandemie habe massive Probleme aufgezeigt, als tausende Pflegerkräfte nicht mehr über die Grenze konnten. „Es wurden in Abteilungen Betten geschlossen, weil das Personal nicht da ist", schilderte Wieser. 

Befragungen würden zeigen, dass die berufliche Belastungen durch Arbeitsverdichtung, körperliche Belastung und fehlende Dienstplansicherheit zunehme. „Es gibt einige, die überlegen, den Beruf zu wechseln". Wichtig sei, „dass wir die Arbeitskräfte die wir haben, im Beruf halten und auch junge Menschen für den Pflegeberuf begeistern", sagte Wieser. Die Arbeiterkammer hat dazu eine aktuelle Studie veröffentlicht: 500 Jugendliche im Alter von 14-18 wurden gefragt, ob sie sich vorstellen können, in den Pflegeberuf einzusteigen. Das Ergebnis ist ernüchternd. "Nur 17 Prozent haben angegeben, dass sie sich das vorstellen können", so Wieser. Knapp ein Viertel habe angegeben, sich das möglicher Weise vorstellen zu können. "Diese Gruppe zu holen, ist sehr wichtig", betonte Wieser. Immerhin über die Hälfte der Befragten habe bereits erste Erfahrungen mit Betreuung und Pflege gemacht – sei es in der Familie, bei den Eltern, Großeltern, aber auch den Geschwisterkindern. 

Finanzielle Gleichstellung mit Exekutive gefordert

In der Frage, was Jugendlichen im Beruf wichtig ist, steht gute Bezahlung ganz oben. AK-NÖ-Präsident Wieser fordert daher eine finanzielle Gleichstellung mit Exekutivbeamten für Auszubildende in der Pflege: „1.700 Euro, die Exekutivbeamte für ihre Ausbildung bekommen, ist auch für Auszubildende im Pflegebereich mehr als richtig“. 

Derzeit werde intensiv diskutiert, wie man einen Ausbildungsfonds kreieren könne, fügte Stilling hinzu. „Ich weiß nicht ob wir die 1.700 schaffen können“. Zumindest Praktika in der ´Pflege sollen aber besser entlohnt werden. „Personen im zweiten Bildungsweg sollen nicht an ökonomischen Gründen scheitern", sagte Stilling.
 

Karriere am Krankenbett

Martin Nagl-Cupal, stv. Vorstand des Instituts für Pflegewissenschaft an der Uni Wien würde der Ausbildung in der Pflege hierzulande nicht ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Eine Vereinheitlichung des Gehalts in den Bundesländern wäre aber wichtig. Der Pflegeberuf müsse als Beruf gezeigt werden, wo man Karriere machen könne. „Man kann auch Karriere am Krankenbett machen in der klinischen Pflege“, betonte Nagl-Cupal. Es müssten aber mehr Karrieremöglichkeiten geschaffen werden, „die gibt es nur zum Teil“. Im Ausland gebe es bereits zahlreiche Möglichkeiten zur klinischen Spezialisierung. „Das ist in Österreich noch in den Kinderschuhen. Hier braucht es einen großen Sprung nach vorne", betonte Nagl-Cupal.

Freiberufliche Pflege mit Hürden

Wer in der Pflege freiberufliche tätig wird stößt in Österreich auf Hürden. Als Ö-Nurse würde Gressl die Freiberuflichkeit zwar weiter empfehlen, man müsse aber Erfahrung im Beruf mitbringen. "Jeder von uns kennt das Hausarztsystem – das sind im Endeffekt auch Freischaffende. Bei der Pflege ist das auch ein Thema, in der Pandemie haben wir gesehen, dass viele das System verlassen."

Die Freiberuflichkeit sei nach wie vor aber ein Stiefkind – trotz steigender Zahlen. "Im Jänner haben wir 3.000 freiberuflich Gemeldete gehabt, jetzt haben wir September und knapp 19.000", erklärte Gressl. Zentrales Problem sei die Abrechnung: "In meiner Freiberuflichkeit sind viele Leistungen privat. Ich kann mit der Kassa nicht abrechnen", so Gressl. 

Stilling will in der Frage nicht in die Hoheiten der Sozialversicherung eingreifen. Entlastung soll die Community Nurse bringen – das Pilotprojekt startet mit 1. Oktober. Die Community Nurses sollen Pflegekräfte mit pflegebedürftigen Menschen in den Regionen vernetzen. Oft geht es schnell, dass man in der Situation ist, dass man selber pflegebedürftig oder Angehöriger eine pflegebedürftigen Person ist. Betroffene wissen dann oft nicht wohin", so Stilling. 

Ausbildung bekannter machen

Bei der Ausbildung sieht Wieser den größten Fehler darin, dass man sich von dem dreijährigen Ausbildungssystem der Gesundheit- und Krankenpflegeschulen verabschiedet habe. „Es gibt die berufsbildenden höheren Schulen und die berufsbildenden mittleren Schulen, wo wir in jedem Bundesland mittlerweile Schulversuche haben, bei denen man neben der 'normalen' Ausbildung auch eine Pflegefachassistenz-Ausbildung absolvieren kann", entgegnete Stilling. „Wir haben die Akademisierung in dem Beruf gemacht weil wir festgestellt haben, dass es schwierig ist, sich mit 15 Jahren für einen Beruf zu entscheiden", so Stilling weiter. Wichtig sei, alle diese Möglichkeiten anzubieten."Ich glaube wir müssen bekannter machen, dass es diese Optionen gibt".

Gressl befürwortet die Akademisierung des Berufs. „Ich habe selbst die dreijährige Ausbildung gemacht. Wenn ich jetzt die Chance hätte, fände ich es gut, dass die Ausbildung durch die Akademisierung hochgehoben wäre." „Mir ist eine dreijährig Ausbildung für den gehobenen Dienst fast zu wenig", fügte Nagl-Cupal hinzu. Bei der Akademisierung müsse man die Kirche aber im Dorf lassen, ein Bachelor in der Pflege sei eine Grundausbildung. "Viele sagen, man hat wirklich wenig Zeit, für die Inhalte, die man theoretisch und praktisch lernen muss". 
  

Würden Sie den Beruf weiter empfehlen?

In der Frage, ob sie den Pflegeberuf weiter empfehlen würden, waren sich die Experten einig.  "Pflege ist ein enorm komplexer Beruf", sagte Nagl-Cupal.  "Wir müssen der Bevölkerung glaubwürdige Argumente liefern, warum Pflege ein wichtiger Beruf ist. Dann werden wir auch die jungen Leute gut erreichen."

Mann müsse  jungen Menschen zeigen, was Pflege alles bieten kann, so Wieser. „Besonders wünschen würde ich mir, dass wir nicht über Reformen sprechen, sondern sie jetzt endlich umsetzen", appellierte er.

Gressl wünscht sich einen gemeinsamen Schulterschluss aller Akteure in der Pflege – „Sei es von der Politik, von Interessensgemeinschaften, oder den Organisationen. Wir haben ein enorm großes Problem vor uns, und das können wir nur gemeinsam lösen." Der Beruf Pflege sei etwas Schönes, so Gressl weiter. "Ich kann es nur jedem jungen Menschen empfehlen. Man hat nur selten einen Beruf mit so großer Vielfalt."

Auch Stilling wünscht sich eine gemeinsame Sichtweise aller Beteiligten. Das Schöne am Beruf sei: "Man bekommt unmittelbar Feedback: Wenn Menschen Schmerzen haben kann man für sie da sein und sie lächeln einen an. Das gibt einem Kraft. Das kann keine Bezahlung dieser Welt ausgleichen, die Bezahlung sollte aber trotzdem stimmen. Ich würde den Beruf allen empfehlen."

Das ganze Gespräch findest du hier zum Nachlesen

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