Weihnachtsgeschichte: Kulinarisches Zwischenspiel

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Unweit meiner Geburtsstätte liegt das kleine Innviertler Dorf, in dem das Elternhaus meines Vaters steht. Unter „klein“ verstehen wir im Innviertel eine Ansammlung von Wohnhäusern, die sich um eine – meist erhöht stehende – Kirche scharen. Sodann hat es zwei Wirtshäuser, die sich folgendermaßen unterscheiden. Der „obere Wirt“ beziehungsweise „Kirchenwirt“ steht, wie der Name schon sagt, oben neben der Kirche. Seine Stammkundschaft rekrutiert sich hauptsächlich aus der ansässigen, katho- lischen Bauernschaft. Der „untere Wirt“, Sie ahnen es schon, liegt auf geringerer Seehöhe als sein Gegenstück und bildet das Zentrum der örtlichen Geschäftswelt. Dieses besteht aus einer dem Wirtshaus angeschlossenen Fleischhauerei, genannt „Fleischbeng“, also Fleischbank (warum auch immer), einem Postamt, genannt „Wähleramt“ (hier saß früher das Postfräulein und stöpselte die wenigen im Dorf vorhandenen Fernsprecher zusammen), und einem Kaufhaus. In dem pflegte meine Großmutter immer mein Weihnachtsgeschenk zu kaufen.

Es bestand – jedes Jahr – aus einer Riesentafel Milka-Schokolade (Weihnachtssonderedition) und einer Bubenunterwäschegarnitur der Marke „Huber Trikot“. Weiß mit farbigen Einfassungen und ebensolchem Hahnentrittmuster. Da ich mich jedes Jahr – wie mir aufgetragen – darüber sehr freute, bekam ich auch jedes Jahr dasselbe. Lediglich die farblichen Applikationen der Dessous wechselten. Ich besitze sie noch heute in Blau, Rot, Gelb (einmal sogar – die Oma war schon sehr alt – in Rosa), in jeder erdenklichen Farbe. Und wäre ich diesen Schmuckstücken nicht längst entwachsen, ich würde sie noch heute gerne tragen.

Doch ich entwuchs ihnen sehr schnell. Dafür sorgten die Bewirtungskünste der Oma. Unsere Besuche bei den Großeltern gestalteten sich nämlich wie folgt: Nachdem wir aus taktischen Überlegungen das Frühstück ausfallen ließen, machten wir uns auf den Weg. Gegen elf Uhr vormittags angekommen, begrüßten wir artig Großeltern, Tanten, Onkel und Cousinen, um uns so- gleich an den verlängerten Küchentisch zu setzen. „Setzts eich hie, jetzt gibts wos z’essn!“, sagte die Oma und trug auf. „A Gansl gibts, und fia de, de’s ned megn, hob i a Bratl dazua gmocht.“ Nach dem Genuss der bereits sättigenden echten Rindssuppe mit Nudeln, Rindfleisch und Karotten (münzgroße Fettaugen zeugten von der Echtheit der Suppe) machten wir uns also über den Hauptgang her: Gänsekeulen, gebratenes Bauchfleisch, Surfleisch, der Vollständigkeit halber einige Koteletts, begleitet von Krautsalat, Kartoffeln, Knödeln (wegen des Bratls), Blau- kraut und Kroketten (wegen der Gans), Sauerkraut (wegen der Koteletts) und etlichen Grillwürsteln („Fois se d’Kinder nix findn!“). Nachdem wir all diese Köstlichkeiten verdrückt hatten und mehrmals von der Oma getadelt wurden – „Schmeckts eich leicht ned? Es hobts ja gor nix gessn! Geh, nimm da nu a Wi- aschtl, Bua!“ –, durften wir uns erheben.

Mit dem Gefühl, nie wieder etwas essen zu können, schleppten wir uns in das sogenannte „untere Wohnzimmer“. Es gab also auch ein im ersten Stock gelegenes „oberes Wohnzimmer“, das jedoch nicht benutzt wurde. Dort waren in zahlreichen Vitrinen sorgsam mit Haarspray konservierte Brautsträuße, Hochzeits- torten und besonders prächtige Schokoladenikoläuse ausgestellt. „Vui z’schod zun Essn!“, pflegte die Oma zu sagen. Aber zurück zum „unteren Wohnzimmer“. Dort ließen wir uns in die Couchgarnitur fallen und gedachten, uns der Verdauung hinzugeben. Doch die Großmutter war schneller. „Jetzt gibts an Kaffee!“

Der geflieste Wohnzimmertisch wurde etwas höher gekurbelt und mit „a weng wos zun Kaffee dazua“ bestückt. Gugelhupf in Marmoriert und Unifarben, Cremetorte (sehr viel Creme, sehr wenig Torte), diverse Fruchtschnitten, natürlich alles aus eige- ner Produktion und alles andere als diabetikergeeignet. „Und fia d’Kinder hob i nu a Eis – da Schlog kummt glei!“, sagte die Oma und legte uns vor. „Geh, den muasst a nu probiern – schmeckts eich leicht ned?“ Tapfer bewiesen wir ihr, dass es uns schmeckte.

Alsdann wurde abgeräumt und der Fernseher angemacht. Ski- springen, Formel-1 oder ein früher Hans-Moser-Film. Kaum war das Fernsehgerät warmgelaufen, kam die Oma aus der Kü- che zurück und fragte: „Wer mog a Bier zur Jausn?“ Zur „Jausn“ sei nur bemerkt, dass die örtliche Fleischhauerei von einem mei- ner hiesigen Onkel geleitet wurde. „De Koibsbrotwiaschtln hot da Hansi soiba gmocht, gons wos Feins!“ Tapfer aß ich zwei, drei Paar (natürlich mit Sauerkraut) und kostete auch von den fünfzehn Sorten Festtagsaufschnitt je ein Blatt.
Gurkerl, Zwieberl, Bauernbrot – gekochte Eier („Megts an Most?“) – Erdäpfelkäs und Wurstsalat – und die Oma rennt und rennt, bringt „nu an Radi“ („Brauchts an Senf?“). – „Da Le- berkäs is a glei ferti!“„Puh! Oma ... i kann nimma!“ – „Geh, Bua, schmeckts da leicht ned?“

Keine Frage, Essen spielt eine zentrale Rolle im Innviertel. Man lebt eben gern, und da ist das Lebensmittel etwas, dem besondere Bedeutung zukommt. Frisch muss es sein, möglichst aus der Region sollte es stammen und Zeit, es in Ruhe zu genießen, muss vorhanden sein. Ein Feinspitz ist er so gesehen nicht, der Onkel Franz, jedoch ein Genießer. Ein Genießer der Gemütlichkeit und Gastlichkeit des Innviertels, seiner Heimat. Kulinarisch sehr wohl verwöhnt, und zwar von seiner Frau, der Tante. Niemals hätte sie es gewagt, ihm eine Packerlsoß’ vorzusetzen (heute sagt man wohl „Convenience“). Auch die berühmte Flasche Maggi, die da und dort noch so manchen Wirtshaustisch ziert, sucht man vergeblich in den Küchenkasteln der Tante. Und glauben Sie mir, liebe Leser, wenn Sie einmal die Kochkünste einer gestandenen Innviertler Hausfrau genossen haben – ihr Gulasch, ihre Krautfleckerl, die Rindsrouladen –, dann tut sich so manches Gasthaus oder Restaurant schwer, Ihren Ansprüchen zu genügen.

Gleichsam als Kontrast zu Ländlich-Bodenständigem wollen wir in folgender Geschichte nun kurz einen Blick auf urbanere Seiten des Innviertels werfen.

Information zu Autor und Buch

Klaus Ranzenberger

geboren 1964 in Braunau am Inn, ebendort Friseurlehre, Meisterprüfung. Betreibt seit 1990 in Braunau einen Salon. Beschäftigt sich seit frühester Jugend mit Karikatur, Malerei und dem Schreiben. Wenige Veröffentlichungen von satirischen Kurzgeschichten in Studentenzeitungen. Mehrere Lesungen aus dem noch nicht veröffentlichten „Onkel Franz“, einer zeitgenössischen Innviertler Entsprechung von Torbergs Tante Jolesch.

Informationen zum Buch

ISBN: 978-3-7025-0767-1
Umfang: 160 Seiten
Preis: € 22,00

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