Wolfgang Sobotka
"Ärgerlich, dass eine Partei Masken rigoros ablehnt"

"Das Parlament sollte mit seinen 183 Abgeordneten Vorbild für die Bevölkerung sein." Nationalratsparlament Wolfgang Sobotka im Gespräch mit RMA-Chefredakteurin Maria Jelenko | Foto: Markus Spitzauer
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  • "Das Parlament sollte mit seinen 183 Abgeordneten Vorbild für die Bevölkerung sein." Nationalratsparlament Wolfgang Sobotka im Gespräch mit RMA-Chefredakteurin Maria Jelenko
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Nationalratspäsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) über Gebetsstunden und die mangelnde Disziplin beim Tragen von Masken im Parlament, die Pläne für den Umbau des Hohen Hauses und seine emotionalsten Momente im Corona-Jahr.

RMA: Regierungswechsel, Corona, Terror... Das war ein herausforderndes Jahr. Wie war das Jahr 2020 aus parlamentarischer Sicht? 
Wolfgang Sobotka: Das Parlament hat noch nie so viele Sitzungstermine absolviert, konkret über 230 Ausschuss-Sitzungen und 65 Plenarsitzungen. Es war aber wie für alle Österreicherinnen und Österreicher eine riesige Herausforderung: Abstand halten, Hygienemaßnahmen einhalten, gewohnte Riten mussten über Bord geworfen werden. Das Parlament musste zur Bewältigung der Krise unter diesen besonders schwierigen Rahmenbedingungen eine ungeheure Vielzahl an Gesetzen verabschieden. Über den Sommer konnten wichtige Gesetzesvorhaben einem Begutachtungsverfahren unterzogen werden, was wichtig für den demokratischen Prozess ist. Aber der parlamentarische Gesetzgebungsprozess ist nun mal aufwendig und komplex; bei der Vielzahl an zu fassenden Beschlüssen sind uns leider auch Fehler unterlaufen. Alles in Allem haben wir aber viel dazu gelernt. 

Was zum Beispiel?
Etwa die digitale Kommunikation zu forcieren, da haben wir sicher viele Jahre aufgeholt. Dafür haben wir viele Sachen verloren, etwa im sozialen Bereich. Wir haben aber auch andere Themen nicht liegen gelassen, wie etwa den Kampf gegen den Antisemitismus. Auch das Thema „politischer Islam“ wird näher – etwa im Wege von Studien – beleuchtet werden. Wissenschaftliche Themen wurden vorangetrieben. 

Wie hat das Jahr Sie persönlich emotional geprägt?

Die schwierigsten Momente waren, als in die Grund- und Freiheitsrechte eingegriffen werden musste. Ausgangsbeschränkungen, Beschränkungen des Versammlungsrechts, Beschränkungen des Wirtschaftslebens. Das macht einen schon nachdenklich.  

Hätte man das verhindern können?

Nein, viele Länder rund um uns haben restriktiver gehandelt. Wir sind mit großem Augenmaß vorgegangen. Mich persönlich hat es auch betroffen gemacht, dass Menschen gesundheitlichen Schaden davontragen, die normalerweise fit sind. Plötzlich liegen sie auf der Intensivstationen wegen Corona. Oder die Folgen, wenn Menschen in Altern- und Pflegeheimen infiziert werden. Und auch die wirtschaftlichen Auswirkungen machen mir Kopfzerbrechen. Was wird nach Corona sein? Was mich auch ärgert, ist, dass es uns nicht gelingt, im Parlament alle davon zu überzeugen, Maske zu tragen. Das wäre im deutschen Bundestag undenkbar. Eine Partei lehnt das Maskentragen rigoros ab, das ist für mich schwer nachvollziehbar. Ich denke darüber nach, wie man diese Abgeordneten doch noch überzeugen kann. Wir sollten der Bevölkerung mit gutem Beispiel voran gehen.

Aber das Parlament hat relativ spät reagiert, was das Tragen von Masken anbelangt...
Im Parlament wurden sehr frühzeitig eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, damit der Nationalrat und der Bundesrat handlungsfähig bleiben. Was ja auch gelungen ist.  

Was kommt 2021 auf uns zu?
Wir müssen Masken tragen, bis eine Impfung da ist, und Strukturen aufbauen, dass möglichst alle Menschen sich impfen lassen. Dem wirtschaftlichen Schaden muss mit langfristigen Maßnahmen begegnet werden, Arbeitsplätze schaffen, etc. Das Parlament sollte mit seinen 183 Abgeordneten Vorbild sein. Wenn in Tirol und Vorarlberg nur 30-40 Prozent testen gehen, stellt sich die Frage, wie man die Mehrheit der Bevölkerung dazu bringen kann, dem zu folgen. 

Wenn Sie sagen, dass das Parlament eine Vorbildfunktion hat, und nur 39 Prozent weibliche Abgeordnete im Parament sitzen, wie passt das zusammen?
Das ist Sache der Parteien, indirekt Sache der Wählerinnen und Wähler.  

A propos Umgang mit den Geschlechtern: Was sagen Sie zur Aussage von Ex-Parlamentspräsidenten Andreas Khol, der zu SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in Bezug zu den Massentests gesagt hat, sie habe danach gerufen, ihr eine aufzulegen?
Er hat sich bei ihr entschuldigt, es ist ihm etwas ausgerutscht, das war nicht körperlich, sondern politisch gemeint. Es ist aber eine absolute Entgleisung. 

Wie könnte man Gleichberechtigung im Parlament verankern?
Die Parlamentsdirektion ist von acht Diensten fünf mit Frauen und drei mit Männer besetzt. Wir haben mehrheitlich auch in den Führungspositionen Damen. Da sind wir sicher top. 

Zur Gebetsstunde im Parlament: Sollte man in einer modernen Demokratie nicht Staat und Religion trennen?
In Österreich gibt es die Tradition des parlamentarischen Gebetsfrühstücks bereits seit den 1980er-Jahren. Die Idee, dass sich gläubige ParlamentarierInnen verschiedenster Fraktionen zum gemeinsamen Frühstück und Gebet zusammenfinden, ist nicht neu und wird in ähnlicher Form in unzähligen europäischen Ländern ganz selbstverständlich praktiziert. Da das jährliche gemeinsame Gebetsfrühstück heuer Corona-bedingt ausfallen musste, wird die Veranstaltung dieses Jahr im Advent und großteils in virtueller Form stattfinden. Wir sind stets bemüht, die interkonfessionelle Feier überfraktionell zu gestalten. Zum Gebetsgedenken sind alle Religionen und Parteien eingeladen.

Ist das nicht überholt, so etwas abzuhalten?
Wir machen das aus einer zutiefst spirituellen Grundhaltung heraus, es ist niemand dazu verpflichtet. Für viele Abgeordnete ist der Glaube ein ganz zentraler Wert. Wenn jemand das nicht will, muss er nicht daran teilnehmen. Da wird aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Früher war das kein Problem, unter mir soll das plötzlich ein Problem sein.  

1,5 Prozent Gehaltsplus für alle Politiker, das betrifft auch die Nationalratsabgeordneten, die ein Plus von 136 pro Kopf. wäre es nicht ein Zeichen, darauf zu verzichten?
Bei Politikern fordert man immer, auf Geld zu verzichten. Fünf oder sechs Runden haben die Politiker darauf verzichtet. Wir haben heuer im Jahr im ÖVP-Parlamentsklub 150.000 Euro als Solidarbeitrag zur Corona-Krise an insgesamt sechs wohltätige Organisationen in Österreich gespendet. Die Politiker müssen ihre Pensionszahlungen selbst leisten, im Gegensatz zu anderen Berufen. Als die ÖVP-Politiker ein ganzes Gehalt gespendet haben, hat man darüber nicht geschrieben. 

Das Parlament wird die erste regionale Gastronomie bekommen: Wie sieht das Konzept dazu aus?
Ja, wir haben bei einer Neuausschreibung für die Gastronomie regionale und saisonale Produkte für die Bewerbungen als Bedingungen. Wir wollen mit dem Angebot, den heimischen Produktionsmarkt stärken. Woher die Produkte kommen, soll transparent sein, und wir wollen auch die Transportwege verkürzen, und den CO2-Fußabdruck verbessern. Die Ausschreibung beinhaltet Kaffeehäuser, sowie Parlamentsrestaurants. Das Parlament soll auch hier mit gutem Beispiel vorangehen. 

Wie sieht der Fahrplan für die Übersiedlung ins Parlamentsgebäude am Ring aus?
Vom heutigen Standpunkt aus peilen wir den Herbst 2022 an, also eine Verschiebung, weil die Corona-Krise dazwischen gekommen ist. Ich hoffe, der Fahrplan hält.
Bei den Kosten liegen wir jetzt bei 70 Millionen über dem Soll...
Das sind die 20 Prozent, die 2014 im Kostenrahmen festgelegt wurden. In diesem Rahmen bewegen wir uns nun. Allein zwei Jahre mehr Miete im Ausweichquartier kostet Geld. Außerdem sind Beauftragungen dazu gekommen, die nicht veranschlagt waren.

Zum Beispiel?
Die abhörsicheren Räume waren nicht veranschlagt, zudem brauchen wir für die Ausschüsse mehr Räume, und die Fassade, von der man glaubte, dass sie in Ordnung sei, weist einige Mängel auf. Das war 2014 nicht ersichtlich. Früher hatte man eine andere konservatorische Technik. Die Atmungsaktivität des Steins wird nicht unterstützt.

Die Fassade bröckelt...
Ja, man wird ja nicht verstehen, dass man die Fassade erst im Nachhinein macht, wenn der Umbau schon fertig ist. Die Fassade wurde zwar vor ein paar Jahren gereinigt, aber der Sandstein wird porös und bröckelt.

Wie werden Sie Weihnachten verbringen?
Wie immer daheim mit der Familie in Niederösterreich. Wir singen Lieder, wie im Advent, und es wird Klavier und Gitarre gespielt.

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"Das Parlament sollte mit seinen 183 Abgeordneten Vorbild für die Bevölkerung sein." Nationalratsparlament Wolfgang Sobotka im Gespräch mit RMA-Chefredakteurin Maria Jelenko | Foto: Markus Spitzauer
Wolfgang Sobotka (ÖVP) über das Nationalratsjahr 2020. | Foto: Markus Spitzauer

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