Gesundheitsminister Rauch
E-Card statt Kreditkarte für die Patienten!

Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) im Gespräch mit MeinBezirk.at | Foto: Roland Ferrigato
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Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) verteidigt im Gespräch mit MeinBezirk.at die Gesundheitsreform als Hebel gegen Privatisierung. 

ÖSTERREICH. Viel Aufregung gab es in den letzten Monaten rund um die Gesundheitsreform der Bundesregierung, die die Handschrift von Gesundheitsminister Rauch trägt. In einem kritischen Gespräch wollte MeinBezirk.at vom Minister wissen, ob nicht die Gefahr besteht, dass unser Gesundheitssystem durch die Reformen erst recht auf dem Prüfstand der Privatisierung steht. Rauch weist dies zurück – er glaubt, dass, im Gegenteil, durch die Maßnahmen dem Versorgungsmangel an Kassenärzten ein Riegel vorgeschoben werde und sie dazu führen, dass Österreich wieder in Richtung öffentliche, effiziente medizinische Versorgung geht.

MeinBezirk.at: Herr Minister, Österreich braucht bis 2030 rund 80.000 zusätzliche Pflegekräfte. Die SPÖ fordert zusätzlich zu den im Pflegepaket enthaltenen Gehaltserhöhungen für Beschäftigte in der Pflege und den Ausbildungszuschüssen weitere finanzielle Besserstellung, etwa analog zu Polizeischüler*innen während der Ausbildung 2.300 Euro brutto im Monat, gratis Klimaticket, Abschaffung der Fachhochschulbeiträge für die Ausbildung von diplomiertem Pflegepersonal, die Anerkennung des Pflegeberufs als Schwerarbeit. Ist mit dem Pflegepaket das Kapitel beendet, oder wird es weitere Besserstellungen geben?
Johannes Rauch: Natürlich ist es nicht beendet. Wir haben ziemlich große Schritte gemacht. Mit der Pflegereform haben wir eine Milliarde Euro auf den Weg gebracht, um die Menschen, die in der Pflege beschäftigt sind, besser zu bezahlen und die Ausbildung zu attraktivieren. Dazu zählen Pflege-Stipendien von 600 Euro und eine Unterstützung für Umsteiger:innen von 1.400 Euro. Wir haben uns bei allen Maßnahmen an drei Grundsätzen orientiert: Diejenigen, die im Beruf sind, zu halten. Wir brauchen jede einzelne Person. Heißt: bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung. Dazu müssen wir alle an einem Strang ziehen, vom Bund über die Länder bis hin zum Leitungspersonal in den Einrichtungen, damit die Arbeitszufriedenheit steigt. Zweiter Punkt: Ausbilden, was geht! Das geschieht mit der Akademisierung des Berufes, aber auch damit, dass wir die Durchlässigkeit der unterschiedlichen Pflegeberufe verbessert haben. Dritter Punkt: aktive Anwerbung von Pflegepersonal im Ausland.

Wenige Pflegerinnen und Pfleger kommen aufgrund der Einstellung der ÖVP und der FPÖ gegenüber Nicht-ÖsterreicherInnen freiwillig nach Österreich. Sie haben sich für „Willkommenscenter“ in allen Bundesländern ausgesprochen, mit Unterstützung bei der Suche nach Wohnungs- und Kindergartenplatz. Gibt es da konkrete Pläne? Und wird es einheitliche Anwerbestellen für ganz Österreich geben?
Es wird nicht gehen ohne die zusätzliche Anwerbung in Drittstaaten. Das heißt, wir müssen dafür Zuwanderung nicht nur erlauben, sondern aktiv fördern. Wer eine Festung Österreich errichten will, wie die FPÖ das propagiert, der muss den Menschen auch dazu sagen, dass in dieser Festung keine angemessene Pflege stattfinden wird. Die 80.000 Pflegekräfte werden wir nicht allein in Österreich finden. Wir befinden uns in einem Wettbewerb mit anderen europäischen Staaten. Europa ist ein alternder Kontinent, Österreich ein alterndes Land. Und wenn bei uns eine Kultur herrscht, die signalisiert: „Du bist nicht willkommen“, dann wird sich niemand dafür interessieren.

Welche konkreten Pläne verfolgen Sie da?
Wir befinden uns in einem fortlaufenden Austausch mit deutschsprachigen Staaten. Eine Konkurrenz macht weder unter den EU-Staaten noch unter den Bundesländern Sinn. Gemeinsam mit Bundesminister Martin Kocher gibt es dazu ressortübergreifende Anstrengungen zur strategischen Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland mit Einbindung von Anwerbeagenturen. Ergebnisse soll es noch vor Ende der Legislaturperiode geben. Willkommenskultur umfasst aber auch Familiennachzug, Kinderbetreuung, Wohnen, Spracherwerb, um den Einstieg bei uns so attraktiv wie möglich zu machen.

24-Stunden-Betreuung: Die Gewerkschaft vidaflex fordert mehr Wertschätzung, eine Teilbefreiung von SVS-Beiträgen, weil sie durchschnittlich nur sechs Monat arbeiten, aber zwölf Monatsbeiträge zahlen, Schaffung eines „Bleib-da-Bonus“ 2.0 und eine Ombudsstelle in der SVS. Wird es hier Adaptierungen geben?
Die wichtigste Maßnahme war, dass die Schengen-Bestimmungen gegenüber Rumänien und Bulgarien gelockert worden sind. Der größte Teil der Menschen will so lange wie möglich zu Hause gepflegt und betreut werden. Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen umgesetzt, um das besser zu ermöglichen: Indem wir die verpflichtenden Qualitätskontrollen von einmal auf viermal im Jahr erhöht, das Angebot für die pflegenden Angehörigen verbessert haben. Und wir haben die Anerkennung der Berufsausbildung im Ausland stark vereinfacht.

Nach der Debatte um die Corona-Impfpflicht lassen sich weniger Menschen als früher gegen andere Krankheiten wie gegen HPV, Diphterie, Keuchhusten, oder Influenza impfen, bzw. ihre Kinder, gegen Masern oder Röteln. Wie wollen Sie das ändern?
Mein Appell an alle: Wir müssen wieder auf den Boden der Wissenschaftlichkeit und der Medizin zurückkehren! Niemand kommt auf die Idee, einen Beinbruch mit einem Entwurmungsmittel oder Globuli zu behandeln. So sollte es auch bei Kinderkrankheiten sein. Man sollte seine Kinder nicht der Gefahr aussetzen, an Mumps, Masern oder Röteln zu erkranken bzw. sich selbst der Gefahr aussetzen, schwer an Covid oder Influenza zu erkranken, indem man sich nicht impfen lässt. Das heißt, sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin und vertrauen Sie ihnen!

Kürzlich wurde kritisiert, dass viele Krankenhäuser ihre Post Covid-Stationen zusperren. Wann kommt das geplante Referenzzentrum für postvirale Erkrankungen? (Long/Post Covid oder das Chronische Fatigue-Syndrom ME/CFS)
Die europaweite Ausschreibung soll noch im Februar rausgehen und bis Jahresmitte vergeben werden. Auch ein eigener Aktionsplan soll bis zum Sommer stehen. Da geht es um die Vorgangsweise bei der Einsetzung von Ambulanzen, der Ausarbeitung von Maßnahmen und die Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten was die Diagnosen angeht. Diese Punkte, die auch vom Obersten Sanitätsrat empfohlen worden sind, werden jetzt in Angriff genommen.

Mit dem Finanzausgleich wurde der Zugang zu Kassen- und selbständigen Ambulatorien – auch für gewinnorientierte Konzerne – erleichtert. Wird damit nicht der Privatisierung des Gesundheitssystems "Tür und Tor" geöffnet, wenn solche Investoren, wie etwa die deutsche Fresenius-Gruppe, die auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet sind, über Österreichs mit Sozialversicherungsbeiträgen finanziertes Gesundheitssystem herfallen?
Das Gegenteil ist der Fall! Wir haben mit dem Primärversorgungsgesetz und der Gesundheitsreform die Voraussetzungen geschaffen, dass es für Kassenärzte und -ärztinnen attraktiver ist, in dieses System einzusteigen. Seit wir das Primärversorgungsgesetz vereinfacht haben, die Veto-Möglichkeiten der Ärztekammer und die Bürokratie beseitigt haben, ist der Andrang deutlich gestiegen. Von rund 30 Primärversorgungszentren im Frühjahr 2022 auf mittlerweile 60. Wir spüren jetzt auch bei jungen Ärztinnen und Ärzten einen massiven Andrang, weil sie dort im Team arbeiten können, sie können vor Ort mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten, können längere Öffnungszeiten anbieten und bekommen die Grundvoraussetzungen, eine öffentliche Dienstleistung zu erbringen. Da besteht überhaupt nicht die Gefahr, dass sich private Konzerne da großartig einmischen.

Braucht es nicht ein enormes Startkapital, um eine PVE zu gründen?
Es gibt Fördermittel der Europäischen Union, 100 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Für die Einrichtung von derzeit 100 Kassenstellen gibt es eine Möglichkeit, Förderungen abzuholen, das sind bis zu 100.000 Euro pro Ordination. Medizinische Dienstleistung auf hohem Niveau muss mit der E-Card möglich sein. Und nicht mit der Kreditkarte. In Kassenstellen, in Primärversorgungszentren, und nicht bei Wahl- oder PrivatärztInnen.

Warum nicht ein Hausarzt-Plus System bzw. Mini-PVE schaffen und den Hausärzten die Möglichkeit geben, andere Gesundheitsberufe bei sich anzustellen und dafür Förderungen zu bekommen?
Für Hausärzte gibt es eine ganze Reihe von Erleichterungen und Verbesserungen, wir schaffen beispielsweise den „Facharzt für Allgemeinmedizin“, was eine massive Aufwertung des Berufes ist. Die Österreichische Gesundheitskasse kann endlich einen Gesamtvertrag mit der Ärztekammer abschließen, in dem die Leistungen besser abgegolten, die Arbeitsbedingungen verbessert werden und es insgesamt attraktiver wird, eine Kassenstelle in Anspruch zu nehmen. Diese Möglichkeit haben wir mit der Gesundheitsreform geschaffen. Wir werden auch über die ELGA sicherstellen, dass für Patientinnen und Patienten Daten, Rezepte und Befunde digital verfügbar sind, und sie nicht mehr von A nach B laufen müssen. Auch bezüglich Terminvergabe wird es Verbesserungen geben, dass man nicht mehr eine halbe Stunde in der Warteschleife verbringen muss. Über die Gesundheitsnummer 1450 wird man schneller zu ÄrztInnen vermittelt, aber auch digitale Angebote sollen dafür geschaffen werden.

Laut Österreichische Gesellschaft für Allgemeinmedizin (Ögam) werden die 120 geplanten PVE nur wenige Prozent der Bevölkerung versorgen. Für diese wenigen Patienten werde viel Geld investiert, die restliche Versorgung, wo es keine PVE gibt, also dünn besiedelte Regionen, stiefmütterlich behandelt, die Patient:innen rutschen in eine Zweiklassen-Medizin, warnt die Ögam. Wie soll dieses Problem gelöst werden?
Das Gegenbeispiel ist, dass sich mit den neuen Möglichkeiten auch in ländlichen Regionen und abgelegenen Gebieten Primärversorgungseinrichtungen bilden, weil es auch dort attraktiv ist, sich zusammenzuschließen. Die Nachfrage steigt dort gerade massiv. Das wird einen wesentlichen Beitrag leisten, dass die medizinische Versorgung besser wird. Das ist der Anspruch der Gesundheitsreform. Dafür gibt es Geld: eine Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich.

Ist ein Rechtsanspruch auf Arzttermine realistisch? Also dass man innerhalb einer bestimmten einen Termin bekommen muss, und dies auch einklagen kann? Die SPÖ fordert, dass man WahlärztInnen gesetzlich dazu verpflichtet, KassenpartientInnen zu nehmen, wenn es keine Alternative gibt. Ihre Position dazu?
Da würde ich der SPÖ raten, sich mit der Gesundheitsreform zu beschäftigen, die gerade da ansetzt. Unser Problem ist nicht, dass wir zu wenige Ärztinnen ausbilden. Unser Problem war und ist, dass zu viele Ärzte in die Wahlarztpraxis gehen und nicht eine Kassenarztstelle annehmen oder im Spital bleiben, weil dort der „sicherere“ Job ist. Wir haben nun die Möglichkeit geschaffen, Teilzeit im Spital weiterzuarbeiten – als Grundabsicherung – und gleichzeitig draußen tätig zu sein, aber in einer Kassenordination und nicht in der Wahlarztpraxis. Oder, dass wir jetzt die Verpflichtung für WahlärztInnen geschaffen haben, sich an die digitale Gesundheitsakte anzubinden. Wir müssen die Arbeitsbedingungen für junge Ärzte und Ärztinnen – Medizin wird auch weiblicher – so gestalten, dass sie auch in der Lage sind, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Das geht nicht, wenn sie die Anforderung erfüllen müssen, alleine in einer Ordination bis zu 100 Patienten pro Tag abzuarbeiten. Das geht in anderen Konstruktionen, wie Primärversorgungszentren, deutlich besser.

Zusatzversicherer proklamieren das System privater Zusatzversicherungen für Privatspitäler und Privatärzte, auch mit der Begründung, dass damit das öffentliche und auf Kassen basierende Gesundheitssystem entlastet wird. Sehen Sie das auch so?
Nein, wir sind eine Solidargemeinschaft, zahlen Krankenversicherungsbeiträge, und diese gehen an die Sozialversicherung. Ein öffentliches Gesundheitssystem muss eine qualitativ hochwertige und für alle leistbare medizinische Versorgung anbieten können. Egal, wo ich wohne und egal, wie hoch mein Einkommen ist. Eine gute medizinische Versorgung darf nicht von der Postleitzahl abhängig sein. Sie muss auch mit einer e-card verfügbar sein. Ich halte nichts davon, dass ich mir Zusatzleistungen, die ich über Versicherungsbeiträge bezahle, über Privatversicherungen holen muss.

Für die Anfang des Jahres ausgeschriebenen 100 samt Startbonus von je 100.000 Euro gab es zwar einen großen Andrang, laut Ärztekammer fehlen aber dann immer noch 200 Stellen. Woher holt man die und bekommen die auch eine Startbonus?
Die Sozialversicherung bekommt nun erstmals 300 Millionen Euro pro Jahr aus dem Steuertopf, und ist aufgefordert, damit zwei Dinge umzusetzen: zusätzliche Kassenstellen zu schaffen, und einen einheitlichen Leistungskatalog und einen Gesamtvetrag für die Ärzteschaft zu erarbeiten, damit wir nicht mehr in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Leistungen haben.

Soll mit erweiterten Leistungen Kassenärzten das Modell schmackhaft gemacht werden?
Das ist die Aufgabe der Sozialversicherung, das mit der Ärzteschaft zu verhandeln. Ich erwarte da ein Ergebnis im nächsten Jahr, weil das eine komplexe Angelegenheit ist.

Das neu geschaffene Medikamentenboard, das für die einheitliche Medikamentenbeschaffung zuständig ist, wird kritisiert, weil hier sowohl die fachmedizinische Expertise fehlen würde als auch sind die Patient:innen nur mit einer Person vertreten. Es. heißt, bereits jetzt wird die Verfügbarkeit von möglicherweise lebenswichtigen Therapien verzögert, der ökonomische Aspekt steht bei der Bewertung im Vordergrund. Warum generell nicht eine formale Verankerung der PatientInnenteilhabe mit Sitz und Stimme in allen Entscheidungsgremien gemäß EU-Vorgabe?
Ich habe mich mit vielen Kritikern getroffen, diese Bedenken sind ausgeräumt. Derzeit hat jedes Landeskrankenhaus seine eigene Beschaffung und eigene Verträge mit der Pharmaindustrie. Es geht darum, dass Transparenz geschaffen wird und dass die besten am Markt verfügbaren Medikamente auch tatsächlich in allen Bundesländern zur Verfügung stehen. Die Letztentscheidung liegt immer beim behandelnden Arzt oder der Ärztin. Mit der Einheitlichkeit bekommen wir auch insgesamt bessere Verhandlungsmöglichkeiten gegenüber der Pharmaindustrie.

Bei Engpässen werden dann die Wirkstoffe von 23 Standorten in ganz Österreich an den Apotheken verteilt. Gibt es da einen bestimmten Schlüssel für diese Aufteilung?
Es ist sicherzustellen, dass die Wirkstoffe flächendeckend verfügbar sind. Um Engpässe künftig zu verhindern ist auch eine europäische, gemeinsame Strategie in Ausarbeitung, weil klar ist, es wird nur als gesamteuropäischer Kontinent in Konkurrenz zu den USA oder zu China gehen, also zu den großen Playern. Zu glauben, dass Österreich oder ein Bundesland allein verhandeln kann, das geht sich nicht aus.

Nach Meinung der WHO sollte in einem Gesundheitssystem sechs bis acht Prozent für Prävention ausgegeben werden. In Österreich sind es zwei Prozent. Warum passiert in der Vorbeugung nicht mehr, um nachher mehr einzusparen? Wie kann man die resistente Zielgruppe erreichen?
Das stimmt, wir sind im österreichischen System sehr fokussiert auf gesund oder krank. Vorsorge spielt, genauso wie Rehabilitation und Nachsorge, eine zu kleine Rolle. Auch das haben wir in der Reform geändert: Künftig fließen wesentlich mehr Mittel in die Gesundheitsvorsorge und in die Prävention.

Was spricht gegen ein rein steuerfinanziertes Gesundheitssystem – ohne Sozialversicherungsträger? Wäre das nicht billiger?
Wünschenswert wäre die Finanzierung der bestehenden Systeme aus einer Hand. Wir haben die Situation, dass die Finanzierung der Spitäler in Landeshand und die Finanzierung des niedergelassenen Bereichs bei der Sozialversicherung liegt, also in der Selbstverwaltung. Für die Finanzierung aus einem Topf bräuchte man eine Bundeststaatsreform, weil man damit in die Kompetenzen der Länder und die Selbstverwaltung der Sozialversicherung eingreift. Wir haben aber über die Gesundheitsreform und über das Gremium, dass die Gelder steuert, eine gemeinsame Planung und Vergabe der Finanzmittel hinbekommen. Es gibt zwar noch die unterschiedlichen Töpfe, aber wir können künftig viel stärker als bisher an einem gemeinsamen Strang ziehen: Bundesländer, Sozialversicherung und Bund, um im Sinne der Patientinnen und Patienten zu einer besseren Steuerung des Systems zu kommen, das auch effizienter ist.

Warum wird das österreichische Gesundheitssystem ständig krank gejammert, anstatt aktiv zu kommunizieren, dass Ö immer noch das beste Gesundheitssystem der Welt hat?
Ich betone immer, dass wir eines der besten Systeme der Welt haben. Wir haben die höchste Ärztedichte in Europa und eine immer noch hohe Spitalsbettendichte. Jüngste Zahlen der OECD zeigen auch, dass wir bei nicht gedeckten medizinischen Kernleistungen von Kindern bei unter einem Prozent liegen. Auch das ist eine Spitzenzahl. Hätten wir die Gesundheitsreform nicht auf den Weg gebracht, dann würde es mit dem System irgendwann bergab gehen. Ich habe die Voraussetzungen geschaffen, dass wir unser Niveau halten können. Das war mein Hauptanliegen: Ich wollte nicht, dass wir in ein paar Jahren Ausgaben kürzen und Spitäler geschlossen werden müssen.

Die Situation heuer wird der Nationalrat neu gewählt. Die Gesellschaft ist seit stark gespalten. Wie kann man den sozialen Zusammenhalt in Österreich stärken?
Das macht mir als Sozialminister am meisten Sorgen. Daher haben wir in den vergangenen zwei Jahren viele Maßnahmen gesetzt, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken: über 40 Milliarden Euro, um die Auswirkungen der Teuerung abzufedern, Sozial- und Familienleistungen werden automatisch an die Teuerung angepasst, armutsgefährdete Familien erhalten 60 Euro pro Kind und Monat. Mein Appell ist: in Zeiten vieler Krisen bei der Wahl genau darauf zu schauen, welche Parteien in der Lage und willens sind, einen Grundkonsens zu schaffen. Wenn es uns nicht gelingt, den Zusammenhalt, den Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg immer ausgezeichnet hat, einigermaßen zu halten und ein Zusammengehörigkeitsgefühl bei allen Auseinandersetzungen, die wir haben, zu bewahren, dann werden wir fulminant scheitern.
Es geht auch um die Frage der Demokratie: Wollen wir unser Leben als aufgeklärte, liberale Gesellschaft gestalten oder gehen wir in Tendenzen, wie sie in Ungarn oder in Polen der Fall sind, die zwar theoretisch noch Demokratien sind, dort aber keine Demokratie mehr stattfindet. Über diese Dinge müssen wir diskutieren, auch streiten. Aber wir müssen aufhören, uns beispielsweise über soziale Medien, mit dieser Flut an Hasskommentaren, und Beschimpfungen auszutauschen. Das bringt uns keinen einzigen Millimeter weiter. Bei aller Unterschiedlichkeit der Auffassungen müssen wir auf Basis der Vernunft und des Respekts miteinander kommunizieren.

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