Tag gegen Gewalt an Frauen
"Eine Ermordung passiert nicht einfach so"

Am 25. November ist der Tag gegen Gewalt an Frauen. | Foto: Symboldbild stock.adobe/asiandelight
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Am 25. November ist der Tag gegen Gewalt an Frauen. Österreich weist hier eine traurige Bilanz auf: Im Jahr 2022 wurden bislang 28 mutmaßliche Femizide durch (Ex-)Partner oder Familienmitglieder verübt. Woran das liegen könnte, erklärt Birgit Wolf, Gender- und Antigewaltexpertin sowie Krisenberaterin bei der Frauenhelpline des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF), im Gespräch mit den RegionalMedien Austria.

ÖSTERREICH. Der Tag gegen Gewalt an Frauen ist kein Freudentag, sondern ein trauriges Mahnmal an ein Problem, das in den letzten Jahren einen starken Anstieg erlebt hat. Bereits seit Jahren ist die Zahl an Femiziden viel zu hoch, alleine dieses Jahr wurden 28 mutmaßliche Femizide verübt.

Als Femizid gilt die vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts, aber auch aufgrund von "Verstößen" gegen traditionelle, von der Gesellschaft aufgezwungene Rollenvorstellungen für Frauen. Ein Femizid wird auch als Hassverbrechen eingestuft. Doch auch Gewalt gegen Frauen ohne Todesfolge hat stark zugenommen, immer mehr Frauen suchen Hilfe. Was die Gründe für diesen Anstieg sind, welche Auswirkungen die aktuellen Krisen haben und was jede und jeder von uns tun kann, das erklärt Birgit Wolf von den AÖF im Gespräch mit den RegionalMedien Austria.

RegionalMedien Austria: In Bezug zur Corona-Pandemie: Haben sich Anfragen an die AÖF vermehrt im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie? Haben Sie da eine bestimmte Entwicklung feststellen können? Haben sich die Inhalte der Anfragen stark verändert?
Birgit Wolf: Ja, auf jeden Fall, im ersten Jahr der Pandemie, also 2020, hatten wir in den Monaten März, April und Juni ein Plus von 71 Prozent an Anrufen bei der Frauenhelpline. Dieser hohe Anstieg von durchschnittlich 21 auf 38 Anrufe täglich ist zwar etwas zurückgegangen, aber immer noch höher als vor der Pandemie und liegt jetzt bei 26-30 Anrufen täglich. Gewalt und psychischer Druck haben sich sehr erhöht, bei Frauen und auch bei Kindern, das zeigt sich in der Beratungstätigkeit bei der Frauenhelpline und in den Frauenhäusern. Aber auch die Frauen- und Mädchenberatungen berichten davon. Die Corona-Maßnahmen haben sich sehr negativ auf die gesamte Situation von Frauen und auch Kindern ausgewirkt.

Was sind die Folgen?
Das erzeugt zusätzlich Druck und Belastung in den Beziehungen bzw. Familien und verstärkt Gewaltverhältnisse. Sehr viele Frauen wenden sich an die Frauenhelpline, weil sie systematischen Psychoterror ihres Partners erfahren und nicht mehr können. Gleichzeitig verursachen Drohungen, wie zum Beispiel „es wird dir niemand glauben“, „wenn du gehst, mach ich dich fertig“ oder „dann nehme ich dir die Kinder weg“, dass es für Frauen noch schwieriger ist, aus der Gewaltspirale herauszukommen.

Im Zuge des Ukraine-Krieges haben wir eine große Fluchtbewegung von ukrainischen Frauen und ihren Kindern erlebt, sowie eine Teuerungswelle, die viele Existenzängste auslöst. Ist das bei den Anrufen bei der Frauenhelpline oder in den Frauenhäusern auch spürbar?
Auf jeden Fall, zum einen rufen uns geflüchtete Frauen an, die oft gut Englisch oder auch Deutsch sprechen. Wir beraten sie zum Gewaltschutz in Österreich oder auch wo sie regional Unterstützung und Anlaufstellen finden. Viele werden aber auch schon von den Frauenberatungen der Flüchtlingseinrichtungen unterstützt, deren Mitarbeiter*innen sich dann zum Beispiel mit Detailfragen an uns wenden. Viele Frauen kommen jedoch alleine nach Österreich, sodass sich noch nicht so ein deutliches Bild abzeichnet, auch in den Frauenhäusern sind eher vereinzelt Frauen aus der Ukraine. Das hat jedoch ganz unterschiedliche Gründe.

Brigit Wolf, Krisenberaterin bei der Frauenhelpline des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF): "Wir wissen aber: Eine Ermordung passiert nicht einfach so – da gab es immer schon Gewalt vorab." | Foto: Bettina Fenzel
  • Brigit Wolf, Krisenberaterin bei der Frauenhelpline des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF): "Wir wissen aber: Eine Ermordung passiert nicht einfach so – da gab es immer schon Gewalt vorab."
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Die da wären?
Zum Beispiel, dass sie in der Grundversorgung sind oder alleinstehend nach Österreich kommen. Was jedoch insgesamt deutlich zu spüren ist, sind die Folgen der Krisen, der finanzielle Druck, die Teuerungen, die existenziellen Ängste, das spielt der toxischen Männlichkeit in die Hände und führt zu noch mehr Kontrolle, psychischer und physischer Gewalt in Beziehungen. Ein großes Problem stellt auch der Bereich der Obsorge- und Kontaktregelungen dar, wo aufgrund von struktureller und institutioneller Gewalt Männer auch nach der Trennung Frauen tyrannisieren und Kinder manipulieren zu ihren Zwecken. 

Sehen Sie einen Anstieg an Frauen, die in den Frauenhäusern Zuflucht suchen?
Bei den autonomen Frauenhäusern zeichnet sich wie bereits im Vorjahr eine Fortsetzung der hohen Auslastung ab, mit regionalen Unterschieden, zum Beispiel wie lange die Frauen im Frauenhaus bleiben. Bei manchen der autonomen Frauenhäuser liegen die Anfragen von Betroffenen jetzt schon über dem Vorjahr.

Haben Sie eine Einschätzung, woran es liegen könnte, dass Femizide in den letzten Jahren so stark angestiegen sind? Was könnte die Politik tun, um hier gegenzusteuern?
Die Forderungen an die Politik sind seit Jahren gleich, mehr Geld in die Hand nehmen für den Gewaltschutz, Richter*innen, Staatsanwaltschaften, Familiengerichte, Familiengerichtshilfe entsprechend schulen, die Istanbulkonvention konsequent umsetzen. Ein großes Problem sehen wir darin, dass viel zu wenig ermittelt wird. Es gibt eine zu hohe Einstellungsrate bei Anzeigen, zu wenig Verurteilungen und zu wenig Verhaftungen, vor allem U-Haftverhängungen bei besonders gefährlichen Gewalttätern. Rechtsexpertinnen verdeutlichen immer wieder, dass die Verurteilungsrate relevant ist – denn sie ist es, die abschreckend wirkt, nicht das Gesetz oder das Strafausmaß. 

Wir wissen aber: Eine Ermordung passiert nicht einfach so – da gab es immer schon Gewalt vorab.

Was würden Sie Frauen raten, die sich in einer Situation befinden, wo sie Angst haben und sich nicht in ihrer Umgebung sicher fühlen?
Ich würde sagen, dass sie auf jeden Fall auf ihr Gefühl hören sollen, und nicht auf die Manipulationen und Drohungen des Partners. In so einer Situation ist es wichtig, sich jemandem anzuvertrauen, die Frauenhelpline 0800 222 555 anzurufen oder sich an ein Gewaltschutzzentrum oder die regionale Frauenberatung zu wenden, dort finden sie auch Unterstützung bei Gewalt. Verletzungen und Gewaltvorfälle dokumentieren, Krankenhaus, Arzt oder Ärztin aufsuchen und bei akuter Gefahr die Polizei rufen oder in ein Frauenhaus flüchten.

Was würden Sie Angehörigen raten, die das Gefühl haben, dass eine Frau in einer unsicheren bzw. gewalttätigen Beziehung lebt?
Wir bieten bei der Frauenhelpline auch Angehörigenberatung, wenn eine nahestehende Person das Gefühl hat, dass da etwas nicht stimmt, eine Veränderung im Verhalten oder mehr und mehr Rückzug feststellt, dann können dies Hinweise auf eine Gewaltbeziehung sein. Signalisieren, dass man da ist, unterstützt und hilft, auch bestärken, dass jede Frau eine Beziehung ohne Angst verdient. Wir beraten individuell je nach Situation Freund*innen, Dienstgeber*innen, Geschwister, Eltern.

Gewalt in der Beziehung betrifft 20 Prozent der weiblichen Bevölkerung. Es ist wichtig, dass wir alle an einem Strang ziehen und betroffenen Frauen und Kindern zeigen, dass es keinen Grund gibt sich zu schämen und dass sie nicht alleine sind.

Die Frauenhelpline 0800 222 555 steht rund um die Uhr, anonym und kostenlos zur Verfügung und bindet betroffene Frauen* an die regionalen Beratungsstellen, Gewaltschutzzentren und Frauenhäuser an.

Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser

Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser - AÖF ist der Dachverband von 13 Autonomen Frauenhäusern in Österreich. Derzeit gibt es 29 Frauenhäuser in ganz Österreich.

Sowohl Betroffene als auch Angehörige von Betroffenen finden auf www.aoef.at alle Informationen über die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser.

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