Streitgespräch
Öxit-Befürworter und EU-Fan rufen zur Wahlbeteiligung auf

Paul Schmidt, Generalsekretär Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE), Christian Ebner (links), Maria Jelenko-Benedikt, Chefredakteurin MeinBezirk.at | Foto: Roland Ferrigato
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Christian Ebner, Kopf des Bündnisses „Öxit-EU-Austritt für Österreich“, von 2010 bis 2011 Generalsekretär des BZÖ, und Paul Schmidt, Generalsekretär Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE), ein parteipolitisch unabhängiger Verein auf sozialpartnerschaftlicher Basis, diskutierten über Für und Wider eines Austritts Österreichs aus der EU sowie Vor- und Nachteile unserer Mitgliedschaft.

ÖSTERREICH. Würde Österreich aus der Europäischen Union austreten, so wäre nicht nur der wirtschaftliche Schaden enorm, ist Paul Schmidt von der Gesellschaft für Europapolitik überzeugt. Und untermauert dies mit realen Zahlen. Unserem Land würde es viel besser gehen, wären wir nicht mehr Teil der EU, meint hingegen Christian Ebner, dessen Plattform sich für einen Austritt Österreichs aus der EU starkmacht. MeinBezirk.at lud die beiden politischen Kontrahenten zu einem konstruktiven Streitgespräch ein.

MeinBezirk.at: Herr Ebner, Sie treten für einen Öxit ein, trotz, wie Sie auf X geschrieben haben, intensiver Bemühungen, hat Ihr Wahlbündnis nur 2.492 Unterstützungserklärungen erhalten. Sie hätten 2.600 gebraucht. Trotzdem gibt es in Österreich eine beachtliche Gruppe an Befürwortern eines Öxits. Ziel Ihrer Bewegung war eine Kandidatur bei der EU-Wahl. Warum wollten Sie bei der EU-Wahl antreten, wenn Sie für Österreichs Austritt aus der Gemeinschaft sind?
Christian Ebner: Das ist im Wesentlichen die Strategie von Michael Farage in Großbritannien. Das EU-Parlament ist ein Sprungbrett, um das Thema Öxit aufs Tapet und in den Nationalrat zu bringen. Denn hätten wir es ins EU-Parlament geschafft, hätten wir bessere Chancen gehabt, auch in den Nationalrat zu kommen. Als außerparlamentarische Gruppe ohne Budget ist die Aufmerksamkeit gering. Sitzt man im EU-Parlament, ist die Aufmerksamkeit da.

2019 nahmen 59,8 Prozent der Wahlberechtigten an der EU-Wahl teil, in Belgien waren es 88 Prozent, Dänemark 66 Prozent, Deutschland 61 Prozent. Wie hoch, glauben Sie, wird die Teilnahme bei dieser Wahl sein?
Paul Schmidt: Von 2014 mit 45 Prozent auf 2019 mit knapp 60 Prozent haben wir einen großen Sprung gemacht. Wir sehen in unseren Daten, dass jetzt das Interesse und die Bereitschaft, zur Wahl zu gehen, um neun Prozentpunkte höher als 2019 ist. Das hat sehr stark mit der aktuellen Polarisierung zu tun. In den Umfragen steht die FPÖ derzeit an erster Stelle, während die Partei früher ihr Wählersegment nicht für die EU-Wahl motivieren konnte. Aktuell sehe ich hier einen Widerspruch. Einerseits lehnt man die europäische Integration ab oder möchte sie rückabwickeln, und andererseits versucht man die eigenen Leute zu motivieren, zur Wahl zu gehen. Wenn die anderen Parteien kein Debakel einfahren möchten, müssen sie sich anstrengen, auch ihre Wählerschaft besonders zu aktivieren. Aber es gibt ein gewaltiges Frustrationspotenzial bei vielen großen, ungelösten Fragen, und auch eine gewisse Verunsicherung.

Christian Ebner: Die Situation eines FPÖ-Wählers ist anders als die eines Öxit-Wählers. Die FPÖ will nicht aus der EU austreten, sondern nur eine völlig andere EU als die bestehende. Das betrifft auch die anderen antretenden Parteien, nur haben sie völlig unterschiedliche Visionen hinsichtlich dessen, in welche Richtung sich die EU verändern soll. Bei manchen ist die Vision relativ klar, bei anderen widersprüchlich und unehrlich. Die FPÖ will zurück zur EWG (Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Anm.), also will eine Wirtschaftsunion, dafür weniger Kompetenzen für die EU, um es ganz vereinfacht zu sagen. Auch die NEOS – unser ideologischer Widerpart – sind in ihrer Position klar: Sie wollen die Vereinigten Staaten von Europa, und die Neutralität abschaffen. Das kann ich zumindest als Gegner respektieren.

Paul Schmidt: Für mich als Beobachter und Analyst ist nicht klar, was die FPÖ möchte. Da hat es immer wieder eine „Kakofonie“ von unterschiedlichen Stimmen, und auch immer wieder die Idee eines Austritts gegeben. Hat man strategisch gesehen, dass der Austritt bei den WählerInnen nicht zieht, so hat man die Position geändert, ähnlich wie bei Le Pen in Frankreich. Das heißt nicht, dass diese Vision nicht doch noch da ist. Wenn ich etwas rückabwickele, dann kann es auch implodieren. Das kann zu einer Öxit-Konsequenz führen.

Christian Ebner: Ich beobachte eine Unehrlichkeit in der Kommunikation. Denn die FPÖ möchte eine Festung Europa. Die kann es gar nicht geben, solange wir in der EU sind. Weil aufgrund der EU-rechtlichen Grundlagen sind die Grenzen in der EU offen. Die SPÖ sagt, sie will eine Neutralität im vereinigten Europa. Auch das ist zutiefst unehrlich, weil spätestens seit dem Lissabon-Vertrag haben wir in den EU-Verträgen die Beistandspflicht. Und die steht im grundsätzlichen Widerspruch zur Neutralität. Und auch die ÖVP ist unehrlich. Weil sie weniger Bürokratie fordert, und will das Verbrennerverbot rückgängig machen. Dabei hat die ÖVP für all das gestimmt – obwohl das Rückgängigmachen in der EU ganz schwierig ist. Das ist auch ein demokratisches Defizit. Bei der Wahlbeteiligung werden wir bei 65 Prozent liegen. Das kann man am Interesse bei unseren Infoständen, die wir vor den Gemeindeämtern hatten, sehen.

International komplexe Probleme, wie Pandemie oder Klimawandel, können laut Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas, nur im europäischen Verbund gemeistert werden. Trotzdem ist der Glaube an eine Lösungskompetenz der Politik in Österreich relativ gering. Und in keinem anderen Mitgliedsstaat ist die EU-Skepsis so groß wie in Österreich. Woran liegt das?
Paul Schmidt: Laut Euro-Barometer bewerten 41 Prozent der Österreicher eine EU-Mitgliedschaft positiv, nur 21 Prozent negativ. Dazwischen gibt es eine relativ große Gruppe, die diese Frage neutral sieht. Beim negativen Wert liegen wir allerdings im Spitzenfeld, obwohl diese Zahl zwischen 2010 und 2017 schon höher war – nicht nur in Österreich. Für die Skepsis gibt es gibt mehrere Gründe: die FPÖ, die schon über jahrzehntelang stark ist und sich gegen die EU positioniert bzw. nicht als besonders integrationsfreundlich bekannt ist, und lieber blockiert. Diese Eigenheit ist in anderen Ländern ein sehr junges Phänomen. Zudem gibt es bei uns eine starke mediale Boulevarddurchdringung mit einer sehr kritischen Berichterstattung über weite Strecken. Ein dritter Grund ist, dass wir mit hohen Standards als reiches, wohlhabendes Land in die EU eingestiegen sind. Das war ein Fenster für Populisten, die vor den Gefahren, vor dem Wettbewerb und dem Druck auf den Arbeitsmarkt etc. gewarnt haben. Und schließlich haben es etablierte Parteien und Regierungen jahrelang verabsäumt, den Österreicherinnen und Österreichern mitzuteilen, was sie selbst in Brüssel mitentschieden haben. Österreich ist ja bei jeder Entscheidung dabei und kann die EU-Politik mit guten Argumenten auch beeinflussen. Das Feld hat man aber einer wesentlich lauteren, kritischen Minderheiten überlassen. Deswegen gibt es diese große, stille Mitte der Gesellschaft, die der EU-Mitgliedschaft neutral gegenübersteht oder empfänglich für Kritik ist.

Christian Ebner: Die Medien in Österreich sind doch tendenziell eher EU-freundlich eingestellt. Die EU-Kommission hat einen hervorragenden PR-Apparat. Sie machen Ihre Sache auch sehr gut, muss ich sagen. Man kann Skepsis auch auf verschiedene Wege abfragen. Für die Skepsis gibt es immer zwei Gründe. Einerseits die Inhalte, die Politik und ihre Konsequenzen. Und es geht um die Art und Weise der Politik, also die mangelnde Ehrlichkeit, die wir vorher angesprochen haben. Bei den Inhalten ist es so, dass gerade für wohlhabende Länder wie Österreich die Nachteile der EU besonders schwer zum Tragen kommen. Erstens, wir sind ein kleines, wohlhabendes Land. Das heißt, tendenziell wird über uns darübergefahren, etwa wie zuletzt wieder beim Transit. Das Zweite ist, als wohlhabendes Land sind wir Nettozahler. Das heißt, wir zahlen viel mehr ein, als wir zurückbekommen. Und das Dritte ist, als wohlhabendes Land sind wir von der ultralockeren Asylpolitik der EU besonders betroffen, weil die vielen Asylwerber, die in die EU hineinkommen, bleiben nicht im erst besten armen Land, sondern wandern natürlich in die Länder ein, wo der Sozialstaat besonders gut ausgebaut ist. Und da ist Österreich auf der Route das erste wohlhabende Land.

"Wären wir nicht EU-Mitglied, so wäre Österreich pro Kopf um acht Prozent ärmer, als es jetzt ist."

Paul Schmidt: Sie sagen: Über die Kleinen wird darübergefahren. Luxemburg – ein Land, das wesentlich kleiner als Österreich ist, zeigt gut auf, dass das nicht passiert, weil es sehr viel erreicht hat, in puncto Gestaltung der europäischen Integration. Österreich blockierte alleine, mit Veto, die Schengen-Erweiterung. Außerdem gibt es weltweit betrachtet in Europa keine großen Länder mehr, auch nicht Deutschland. Für Österreich als eine offene Volkswirtschaft ist der Binnenmarkt entscheidend. Darum haben wir auch von diesem wirtschaftlich überproportional profitiert. Erst heute kamen WIFO-Zahlen heraus, die beweisen, wie nützlich für Österreich die EU-Mitgliedschaft ist: Wären wir nicht EU-Mitglied, so wäre Österreich pro Kopf um acht Prozent ärmer, als es jetzt ist.

Christian Ebner: Das bestreite ich. Ich bin Wirtschaftswissenschafter.

"Die EU-Mitgliedschaft bringt der Bevölkerung in Österreich laut WIFO pro Kopf 4.000 Euro jährlich – die Nettozahlungen an die Europäische Union machen dagegen 152 Euro pro Kopf pro Jahr aus."

Paul Schmidt: Die EU-Mitgliedschaft bringt der Bevölkerung in Österreich zudem laut WIFO pro Kopf 4.000 Euro jährlich – die Nettozahlungen an die Europäische Union machen dagegen 152 Euro pro Kopf pro Jahr aus. 4.000 Euro versus 152 Euro – kein schlechtes Investment! Und das betrifft nur die Finanzen. Es gibt andere Beispiele, bei denen Österreich überproportional profitiert, wir haben im Verhältnis zur Bevölkerung zum Beispiel fast die meisten Erasmusstudenten, die ins Ausland gehen. Das ist zwar wirtschaftlich nicht direkt messbar, aber trotzdem ein Riesen-Vorteil. Und ich möchte noch ein Gegenbeispiel bringen. Laut Internationalem Währungsfonds hat Großbritannien seit 2016, also seitdem der Brexit konkret wurde, um neun Prozent weniger BIP pro Kopf als die EU-27.

Christian Ebner: Deswegen sieht unser Öxit-Konzept vor, dass wir nicht nur, im Unterschied zu Großbritannien, aus der EU austreten, sondern auch wieder der EFTA beitreten und somit wieder in den Genuss der Freihandelsverträge kommen. Bei diesen ganzen Berechnungen wird das nicht berücksichtigt. Vergleichen wir Österreich mit der Schweiz, so war 1945 der Wohlstandsvorsprung der Schweiz ein sehr großer, weil Österreich nach dem Krieg zerstört, die Schweiz hingegen gut aufgestellt war. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Österreich langsam aber sicher aufgeholt. Dann kam der EU-Eintritt 1995. Insbesondere seit 2009 zeigen die wirtschaftlichen Zahlen Schweiz versus EU-Länder, dass sich der wirtschaftliche Vorsprung der Schweiz gegenüber den EU-Nachbarländern Schritt für Schritt vergrößert. 1994 habe ich leider für einen EU-Beitritt gestimmt, weil die EU damals aus meiner Sicht ok war. Aus unserer Sicht hat sie sich dann in die falsche Richtung entwickelt, etwa was das Maß an Überregulierung in der EU angeht. Das fehlt in der Schweiz – daher der Wettbewerbsvorteil.

Paul Schmidt: „Die Schweiz ist Nettozahler, ein Mitglied ohne Stimmrecht.“ Das ist ein Zitat von einem Schweizer Diplomaten. Die Schweiz hat einen Ansatz, der heißt autonomer Nachvollzug. Alles, was auf europäischer Ebene entschieden wird und binnenmarktrelevant ist, muss die Schweiz nachvollziehen, ohne dabei mitbestimmen zu können.

Christian Ebner: Der Großteil der ganzen irrwitzigen Überregulierung der EU betrifft die Schweiz nicht. Es gibt kein Verbrennerverbot, es gibt keine Gebäudeverordnung. Über die Lieferkettenrichtlinie wurde in der Schweiz abgestimmt und dann wurde dagegen gestimmt.

Viele Österreicher, vor allem im Bereich Handel und Gewerbe, aber auch Landwirtschaft („Entwaldungsverordnung“), spüren in vielen Bereichen eine Überregulierung (Handelsobmann Rainer Trefelik spricht von einer „Belastungsorgie“). Wie kann man der überbordenden Bürokratie mit den vielen Auflagen entgegenwirken?
Paul Schmidt: Es gibt wirklich viel Bürokratie. Da kann man sicherlich effizienter werden. Wie ich aber vorher schon gesagt habe, gibt es keine einzige Entscheidung, bei der Österreich nicht mit am Tisch sitzt. Und wenn es gute Argumente gibt und wenn man Mehrheiten findet, und das ist in einer Demokratie so, dann kann man die Integration in die eine oder andere Richtung lenken. Es gibt keinen einzigen Vorschlag, der umgesetzt wird, wenn die Mitgliedstaaten nicht zustimmen.

Christian Ebner: Aber man kann de facto nichts mehr rückgängig machen.

Paul Schmidt: Zuerst muss man etwas verhandeln bzw. bei etwas zustimmen. Da war Österreich immer dabei. Da hat Österreich Erklärungsbedarf. Es ist aber eine Übertreibung, von einem „Bürokratiemonster“ zu sprechen. So schlecht läuft es nach wie vor nicht. Die Wettbewerbsfähigkeit ist ganz entscheidend. Wirken die Regeln nicht, dann gibt es einen Review-Prozess, wo das überarbeitet und noch mal angesehen wird. Bei der Entscheidung zum Beispiel, dass es ab 2035 in der Neuzulassung nur noch emissionsfreie Autos geben soll. Auch hier gibt es einen Review-Prozess, um zu sehen, ob dieses Ziel erreichbar ist. Eine Änderung ist hier mit Mehrheit natürlich möglich. Wir waren bei allen Entscheidungen dabei und wenn es gute Argumente gibt, dann lassen sich diese demokratisch ändern.

"Die Überregulierung ist meiner Ansicht nach in der EU systemimmanent". 

Christian Ebner: Die Überregulierung ist meiner Ansicht nach in der EU systemimmanent. In der Gesetzgebung der EU hat die Zentralbürokratie, die EU-Kommission, ein Alleinvorschlagsrecht. Das heißt, nur die EU-Kommission kann vorschlagen, bestehende Regulierungen zu ändern oder abzuschaffen. Das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten haben nur die Möglichkeit, den Vorschlägen der EU-Kommission zuzustimmen oder diese abzulehnen. Sie haben nicht die Möglichkeit, eigene Anträge zu machen. Und klar ist, keine Zentralbürokratie der Welt will weniger Regulierung.

Paul Schmidt: Wie kommen denn Legislativvorschläge der EU-Kommission eigentlich zustande? In der Wirklichkeit schaut das so aus, dass es eine Gruppe von Ländern gibt, die ein Problem hat, dass gelöst werden soll. Die EU-Kommission würde doch realpolitisch nicht etwas vorschlagen, wo sie das Gefühl hat, man kann hier keine Mehrheiten schaffen. Sonst diskreditiert sie sich damit selbst. Da werden die Themen vorher natürlich abgesprochen, und dann schaut sich die Kommission diese Themen an, macht einen Vorschlag, der zwischen Parlament und Rat, also den Mitgliedstaaten, verhandelt wird. Und es stimmt nicht, dass man nur zustimmen oder ablehnen kann, sondern das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten einigen sich auf einen Kompromiss, den sie untereinander ausgehandelt haben und darüber wird dann abgestimmt. That's the way it is.

Christian Ebner: Aber wenn eine neue Mehrheit im EU-Parlament eine Serie von Beschlüssen rückgängig machen wollte, die in der letzten Periode beschlossen worden sind, dann kann sie das nicht, ganz einfach, weil die EU-Kommission keinen entsprechenden Vorschlag machen will. Und die EU-Kommission hat sehr wohl eine eigene politische Agenda.

Paul Schmidt: In Wirklichkeit ist es so, dass es im Europäischen Parlament politische Parteien gibt. Diese sind auch in den Mitgliedstaaten und daher in den Regierungen vertreten. Und wenn eine Mehrheit der Mitgliedstaaten der Meinung ist, da gibt es eine Regelung, die funktioniert nicht, die muss geändert werden, dann haben sie natürlich den Hebel, ihre Leute im Europäischen Parlament zu motivieren, da etwas zu machen. Und die EU-Kommission agiert ja auch nicht im luftleeren Raum. Sie zieht Vorschläge zurück oder schlägt Abänderungsinitiativen vor, auch auf Wunsch der Mitgliedstaaten.

Christian Ebner: Aber generell ist die EU-Kommission in einer extrem starken Machtposition, die wesentlich stärker ist, als die Machtposition jeder Regierung in jedem Mitgliedstaat. Die EU-Kommission kann nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit vom EU-Parlament mit Misstrauensantrag nach Hause geschickt werden. Und sie ist fast nie in der Geschichte per Misstrauensantrag nach Hause geschickt worden.

"Jeder Korruptionsfall ist natürlich ein Schlag in die Magengrube der Demokratie und bringt zusätzliche Frustration, Abneigung und Desinteresse gegenüber der Politik."

Viele Menschen fühlen sich nicht gehört, siehe Klimakleber. Was muss man tun, um ihnen Demokratie näherzubringen?
Paul Schmidt: Jeder Korruptionsfall ist natürlich ein Schlag in die Magengrube der Demokratie und bringt zusätzliche Frustration, Abneigung und Desinteresse gegenüber der Politik. Daher ist Grundvoraussetzung, dass Politik korrekt und transparent abgewickelt wird, und sich auf die Lösung von Problemen fokussiert und nicht ausschließlich auf die Probleme selbst. In der EU funktioniert das Erwartungsmanagement oft nicht wirklich. Da werden Versprechen von Mitgliedstaaten gegeben, die man vielleicht gar nicht erfüllen kann, weil die Themen einfach komplex sind. Außerdem braucht es mehr Dialog, mehr Kommunikation, mehr direkten Austausch, also mehr Politik zum Angreifen. Wir sehen an unseren Daten, dass die Ebenen, die am nächsten an den Bürgern sind, also Gemeinderäte, Landtagsabgeordnete, Landesregierungen, die höchsten Vertrauenswerte genießen. Je weiter Politiker entfernt sind, desto schwieriger wird es. Wenn Brüssel nicht der Sündenbock ist, dann ist es in den Bundesländern eben Wien. Für die EU-Wahl kann dieser notwendige Dialog nicht allein von den Kandidatinnen und Kandidaten kommen. Es braucht ein Zusammenspiel zwischen regionaler, bundespolitischer und europapolitischer Ebene. Und nicht ein Schuldzuweisen zur nächsten Ebene oder den Aufbau künstlicher Gegensätze. Das bringt uns nicht weiter. Man muss vielmehr auch Verantwortung dafür übernehmen, was eine Ebene darüber entschieden wurde. Da sind auch die regionalen Politiker gefordert, korrekt zu agieren. Denn diese können auch mitentscheiden, siehe aktuell die Renaturierungsrichtlinie.

"Das Ohnmachtsgefühl ist da, weil die Ohnmacht real ist."

Christian Ebner: Das Ohnmachtsgefühl ist da, weil die Ohnmacht real ist. Wenn ich jetzt das gegenüberstelle unserem Vorbild, auch demokratiepolitisch, der Schweiz, da habe ich eine direkte Demokratie, da kann ich mit rund 50.000 Unterstützungserklärungen eine Erfolgsabstimmung von der Basis her zwingen. Selbst wenn ich jetzt bei der repräsentativen Demokratie bleiben würde, wäre für mich der logische Schluss, dass ich sage, ich gebe den EU-Abgeordneten das Vorschlagsrecht, sowohl EU-Richtlinien als auch EU-Verordnungen abzuändern. Weil dann kann der EU-Abgeordnete, der sich vollmundig hinstellt und vor der Wahl erzählt, wo er aufräumen oder was er alles ändern wird, auch liefern.

Gerade in den Gemeinden sieht man, wo überall die EU drinsteckt – von Radwegen, Bildungseinrichtungen, bis hin zu Förderungen für landwirtschaftliche Betriebe. Herr Ebner, warum anerkennen Sie nicht an, bzw. wird hier zu wenig getan, um das transparent zu machen?
Christian Ebner: Jedes System hat Vor- und Nachteile, das ist unbestritten. Aus unserer Sicht sind die Nachteile der EU mittlerweile viel gewichtiger als die Vorteile. Und das sehen mittlerweile viele Leute so. Bei unseren Info-Ständen haben wir Menschen gesehen, die sofort unterschrieben haben, andere haben uns den Vogel gezeigt.

Paul Schmidt: Das ist nicht korrekt.

Christian Ebner: Dann gab es jene, die tendenziell für die EU-Mitgliedschaft sind, aber sehen, dass das nicht funktioniert. Und dann gibt es die, die tendenziell mit dem Öxit sympathisieren. Die Interessantesten waren die Jungen, die noch keine vorgefasste Meinung hatten und die sich unvoreingenommen unsere Ansichten zum Öxit angehört haben. Sie haben nach den Gründen und Vorteilen gefragt. Und dann gibt es noch eine weitere Gruppe, die keiner von uns erreichen kann, die der Resignierten. Das sind die, die sagen, dass nichts mehr geht.

Die EU-Mitgliedsstaaten sind für unsere Wirtschaft die wichtigsten Handelspartner. Das Handelsvolumen mit Deutschland betrug 2022 ganze 127 Milliarden Euro. Unter dem Ranking der zehn wichtigsten Handelspartner Österreichs im Exportsektor entfielen fünf weitere auf die EU-Mitgliedsstaaten Italien (13,2 Milliarden Euro), Ungarn (7,7 Mrd. Euro), Frankreich (7,7 Mrd. Euro), Polen (7,4 Mrd. Euro), die Tschechische Republik (7,1 Mrd. Euro); Herr Ebner, wie stellen Sie sich die Alternative zu diesen Handelsvolumen vor?
Christian Ebner: Unser Austrittskonzept hat drei Elemente: Mit dem Austritt würden wir, wie Großbritannien, einen Freihandelsvertrag mit der EU abschließen. Das heißt, der Handel mit den EU-Staaten kann weitgehend ungehindert weitergehen. Zweitens: Wir würden wieder der EFTA beitreten. Damit wären wir gemeinsam mit Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island im Binnenmarkt der EFTA, und, wir würden auch sofort in den Genuss aller Freihandelsverträge der EFTA kommen. Und da die EFTA ausschließlich auf Wirtschaft und Freihandel fokussiert ist, hat die EFTA teilweise bessere Verträge als die EU. Zum Beispiel hat die EFTA erst vor Kurzem einen Freihandelsvertrag mit Indien abgeschlossen, den die EU noch gar nicht hat. Das andere ist die Deregulierung: Im Unterschied zu Großbritannien würden wir nicht pauschal das EU-Recht bei Austritt ins nationale Recht überführen, sondern wir würden das EU-Recht auslaufen lassen. Das heißt: Grundrechtecharta, Sozialcharta und EU-Verordnungen auslaufen lassen. Dadurch wäre der EU-Austritt der größte Bürokratieabbau in der österreichischen Geschichte, was Österreich sofort deutlich wettbewerbsfähiger machen würde. Und auf Basis der Richtlinien wurde eine Vielzahl österreichischer Gesetze beschlossen.  Diese würden in Kraft bleiben. Wir haben aber in der Folge wieder die Möglichkeit, diese Gesetze abzulehnen, was jetzt nicht möglich ist. Das ist ja auch ein Grundproblem der EU, dass so viele Richtlinien und Verordnungen beschlossen werden, dass in Wirklichkeit die Spielräume für unsere eigene Gesetzgebung immer kleiner werden. Da sind wir wieder bei der Ohnmächtigkeit, weil der Großteil von dem, was in Österreich beschlossen wird, eigentlich auf EU-Richtlinien basiert.

Paul Schmidt: Das ist alles vollkommen unrealistisch. Ich habe das Beispiel von Großbritannien gebracht, das seit 2016 neun Prozent weniger Wohlstand pro Kopf hat als die EU-27, und Großbritannien ist größer und anders positioniert, als es Österreich wäre. Österreich mit seiner kleinen, offenen Volkswirtschaft, die sechs von zehn Euro im Export verdient, würde dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, und wir wären aus dem Binnenmarkt draußen! Wollen wir nicht aus dem Binnenmarkt raus, dann müssen das die anderen 26 zunächst für uns entscheiden, und wir müssen das Regelwerk übernehmen, um im Binnenmarkt bleiben zu können. Großbritannien hat sich nach dem EU-Austritt dagegen entschieden, auch sich der EFTA anzuschließen, und hat nun Riesenprobleme damit, Freihandelsabkommen abzuschließen, weil es ein Unterschied ist, ob man ein Land mit 60 Millionen oder neun Millionen Einwohnern wie Österreich ist und Freihandelsabkommen verhandelt, oder ob man 450 Millionen Menschen repräsentiert, wie das in der EU der Fall ist. Also, ich halte das für vollkommen utopisch und irreal.

Christian Ebner: Ich stimme zu, dass Großbritannien den EU-Austritt suboptimal vollzogen hat, weil es nicht der EFTA beigetreten ist und auch die Regelwerke der EU übernommen hat. Es ist aber nicht richtig, dass Großbritannien sich schlecht entwickelt hat. Laut Zahlen der OECD
War das Wirtschaftswachstum in Großbritannien seit dem Brexit höher als in Deutschland.

"Wir sehen es als Befreiung, das ist ein Vorteil, weil wir eben nicht mehr an die Fesseln des EU-Rechts gebunden wären und dadurch ein viel freieres und demokratischeres Land werden. "

Was würde Österreich ein Öxit bringen, außer dass wir dadurch politisch isoliert und auch handelspolitisch abgeschottet wären?
Christian Ebner: Durch den EFTA-Beitritt komme ich in die Freihandelsverträge der EFTA. Wir sehen es als Befreiung, das ist ein Vorteil, weil wir eben nicht mehr an die Fesseln des EU-Rechts gebunden wären und dadurch ein viel freieres und demokratischeres Land werden.
Wir könnten frei über unser Schicksal bestimmen. Ich möchte den Schilling wieder einführen – einen neuen Schilling, der im Verhältnis 1 zu 1 umgewechselt werden würde.

Paul Schmidt: Abgesehen davon, dass der Euro ein Schutzschild gegen Währungskrisen ist, können wir mitbestimmen und haben eine Stimme im EZB-Rat, wo geldpolitisch entschieden wird. Das hätten wir alles nicht. Und allein beim Handel, mit dem wichtigen Binnenmarkt: Mit einer eigenen Währung wären wir extrem geschwächt. Und würden immer eins zu eins nachvollziehen, was die EZB dann macht.

Christian Ebner: Nein, das ist falsch. Das würden wir nicht machen.

Paul Schmidt: Es wäre eine dramatische Schwächung, ein riesiger Wohlstandsverlust und ein Verlust von Mitbestimmung. Das wäre ein wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Albtraum.

Christian Ebner: Das Verhältnis 1:1 hätten wir nur am Tag der Einführung des neuen Schilling gegenüber dem Euro. Danach würde der neue Schilling frei floaten, so wie der Schweizer Franken gegenüber dem Euro. Als vor 25 Jahren der Euro eingeführt wurde, war der Euro noch 1,61 Schweizer Franken wert. Und jetzt ist der Euro nur mehr 0,96 Schweizer Franken wert. Also, der Euro hat gegenüber dem Schweizer Franken massiv an Wert verloren. Und das ist auch natürlich die Folge der verfehlten Geldpolitik der EU. Also der Euro verhält sich zum Schweizer Franken im Wesentlichen so wie früher die Lira zur D-Mark.

"In Wirklichkeit ist die EU-Verteidigungsunion, wie wir wissen, ein Papiertiger."

Wir haben gerade einmal 16.000 Berufssoldaten und 7.000 Grundwehrdiener … wer würde unsere Grenzen schützen, wenn Österreich nicht bei der EU wäre?

Christian Ebner: Also, ich rechne nicht damit, dass uns Liechtenstein und die Schweiz angreifen. Also gegenüber wem sollte uns die EU verteidigen? Die EU hat zwar eine Beistandspflicht, die der Neutralität widerspricht, aber in Wirklichkeit ist die EU-Verteidigungsunion, wie wir wissen, ein Papiertiger. In Wirklichkeit haben wir, gegenüber Finnland zum Beispiel, primär den Vorteil, dass wir von NATO-Staaten umgeben sind. Das heißt, wir profitieren von der NATO, bei der wir nicht Mitglied sind, und nicht von der EU. Also die EU ist militärisch irrelevant.

Paul Schmidt: Es ist ja gar nicht so leicht voneinander zu trennen. Es gibt 23 EU-Länder, die auch NATO-Mitglied sind. Und es gibt diese Beistandsverpflichtung in der EU, die sehr wohl mit der Neutralität kombinierbar ist, weil sie eine Klausel enthält, nach der es gemäß der jeweiligen Verfassungsbestimmungen der Länder Ausnahmen von der Beistandsverpflichtung geben kann. Wir sind mit Bedrohungen konfrontiert, die nicht mehr nur heißen, ihr fahrt mit den Panzern von Russland über die Ukraine bis nach Österreich, sondern es gibt ja auch hybride und andere Arten der Kriegsführung. Diese Beistandsverpflichtung hat jedenfalls auch eine psychologische Komponente, die ganz wichtig ist. Allein können wir uns nicht verteidigen, gemeinsam können wir das. Die Beistandsverpflichtung ist ja reziprok – da stellt sich auch die Frage, inwieweit das militärisch neutrale Österreich in der solidarischen Hilfestellung gegenüber seinen EU-Partnerländern geht, falls ein Land angegriffen ist. Wir können, so wie jetzt auch, humanitäre Hilfe leisten, nicht letale Waffen oder medizinisches Equipment schicken. Aber: Es könnte ein Worst-Case-Szenario kommen, bei dem die Neutralität einfach vom Tisch gekehrt wird, weil sie in einem solchen Szenarium keinen Wert mehr hat, wenn Länder überfallen werden. Die Beistandspflicht ist eine psychologische Hürde für jeden, der uns angreifen möchte, wissend, dass, wenn er einen angreift, alle angegriffen werden.

Christian Ebner: Die NATO ist der entscheidende Militärpakt – ganz einfach deswegen, weil nicht nur 23 EU-Länder vertreten sind, sondern auch militärisch nicht ganz unwesentliche Länder wie die USA und Großbritannien aufgrund ihrer militärischen Stärke, Norwegen aufgrund der geografischen Position. Die NATO ist militärisch relevant, die EU nicht. Ich stimme insofern zu, als der konventionelle militärische Angriff auf Österreich in der derzeitigen Gegebenheit extrem unwahrscheinlich ist, weil wir von NATO-Ländern, Schweiz und Liechtenstein umgeben sind, aber durchaus werden wir uns vorbereiten müssen auf Bedrohungen, die von innen kommen. Islamistische Gruppen drohen etwa mit Drohnen, die Fußball-WM-Veranstaltungen angreifen. Da hilft uns die Beistandspflicht nicht, da müssen wir intern Polizei und Armee entsprechend wappnen, um gegen so etwas geschützt zu sein.

Paul Schmidt: Ein Artikel 42 Absatz 7 Beistandsverpflichtung schützt uns noch nicht. Das ist ein Papiertiger und muss einen Wirklichkeitstest bestehen. Seit dem 24. Februar 2022, seit diesem Aufwachen, müssen wir uns sicherheitspolitisch vollkommen neu aufstellen: gemeinsame Luftüberwachung, gemeinsamer Beschaffung sowie eine bessere Abstimmung der unterschiedlichen Militärkapazitäten, weil es vollkommen ineffizient ist, wenn jedes Land für sich investiert, ohne dass das koordiniert ist, wenn man schon so eine gemeinsame europäische Vorgehensweise wählt. Wir geben unverhältnismäßig viel Geld für das aus, was wir im Endeffekt haben. Wir haben einfach zu viele Waffen- und Panzergattungen, die inkompatibel sind. Da sind die Amerikaner ganz anders aufgestellt. Wenn 23 EU-Länder auch NATO-Mitglied sind, dann ist in einem wirklichen Worst-Case-Szenario die NATO hier auch im Boot.

Christian Ebner: Wenn alle EU-Länder gleichzeitig aus der EU austreten und der EFTA beitreten würde, ohne gemeinsamen Markt und Politik, dann würde sich sicherheitspolitisch in Europa nichts ändern, weil die NATO da ist.

Paul Schmidt: Es müsste sich etwas ändern. Weil es ineffizient ist und die Bedrohungsszenarien anders sind. Einen Markt ohne Politik, den gibt's aber nichts.

Christian Ebner: In der EFTA funktioniert es. Freiheit ist besser als Kollektivismus.

Paul Schmidt: Individualismus ist besser als Solidarität? Das glaube ich nicht.

Warum sollen die Österreicherinnen und Österreicher wählen gehen?
Paul Schmidt: Sie sollen wählen gehen, weil sie ihre Abgeordneten in einem Europäischen Parlament wählen, das immer wichtiger wird. In dem wir uns Regeln und Gesetze geben, und in dem die europäische Politik kontrolliert wird.

Christian Ebner: Sie sollen wählen gehen, damit auf EU-Ebene nicht noch mehr Schaden angerichtet wird.

Danke für das Gespräch.

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