"Früher war alles besser"
Vom Kreidemantel zu künstlicher Intelligenz

- Direktorin Gerda Lichtberger mit Schulsprecher Felix Kager und Stellvertreterin Zoe Faulend bei ihrer Pensions-Antrittsfeier 2024.
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Unter dem Motto "Früher war alles besser" schlägt das Redaktionsteam von MeinBezirk Deutschlandsberg eine Brücke, um diesem Klischee auf den Zahn zu fühlen. Diesmal nehmen wir das Thema Bildung in den Fokus und haben dazu Persönlichkeiten aus dem Schulwesen im Bezirk befragt.
BEZIRK DEUTSCHLANDSBERG. So wie sich die Anforderungen an unsere Gesellschaft mit allen ihren sozialen und wirtschaftlichen Belangen stetig ändern, so gehen auch die Veränderungen im Bildungswesen mit diesem Wandel der Zeit einher. Wie hat sich das Unterrichtsmaterial verändert? Wie der Zugang zu Lerninhalten? Und vor allem: Wie haben sich die Schülerinnen und Schüler und die Lehrerinnen und Lehrer mit der Zeit verändert? Ob dabei früher wirklich alles besser gewesen ist, beleuchtet MeinBezirk gemeinsam mit Persönlichkeiten aus dem Bezirk, die es eben wissen müssen.

- Persönliche Texte als Erinnerung: Pensionsfeier von Peter Nöhrer als Direktor der damaligen Neuen Mittelschule Stainz im Jahr 2017
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So etwa Peter Nöhrer, den man seit seiner Pensionierung als umtriebigen Kulturmanager und Tausendsassa nicht nur in Stainz kennt. Insgesamt 42 Jahre war er im Schuldienst, davon ein Jahr als Lehrer an der Polytechnischen Schule in Wies, 13 Jahre als Lehrer an der Polytechnischen Schule Stainz und stolze 28 Jahre Direktor an der Hauptschule, dann Realschule und jetzt Mittelschule Stainz bis zu seiner Pensionierung 2017.
Was aus seiner Sicht die gravierendsten Veränderungen in dieser langen Zeit gewesen sind?
"Zu Beginn meiner Unterrichtstätigkeit war vor allem das Schulbuch als Grundlage für den Unterricht vorrangig. Es wird zwar heute noch immer verwendet, doch wird es durch zahlreiche digitale Angebote bereichert bzw. zum Teil völlig ersetzt", so Peter Nöhrer.

- Ein letztes Mal mit Kapitänsmütze: Schulleiterin Barbara Klinser und Peter Nöhrer.
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Als „Dienstkleidung“ diente ihm dabei noch ein weißer Arbeitsmantel. "Da ja nur mit Kreiden auf der Tafel geschrieben worden ist, hat dieser auch als Schutzkleidung vor dem Kreidenstaub gedient. Arbeitsblätter wurden mit der Schreibmaschine auf Matrizen ganz ohne Korrekturmöglichkeit geschrieben und dann mittels eines Spiritusdruckers vervielfältigt. Overhead-Projektoren waren dann schon eine große Errungenschaft, Tablets und KI lagen noch in weiter Ferne."
Heute gibt es in fast allen Klassen Beamer und Leinwände, bzw. interaktive Smartboards.
"Als große Errungenschaft waren wir stolz darauf, erstmals Computerkurse auf Commodore 64 Geräten anbieten zu können", erinnert sich Nöhrer. Heute verwenden die Schülerinnen und Schüler Notebooks und Tablets oder Smartphones für digitales Lernen und haben so auch unmittelbaren Zugriff auf das World Wide Web.
Die Klassenzüge wurden abgelöst von den Leistungsgruppen. "Im Schulversuch Realschule waren wir Vorreiter für das Unterrichten im Team im zwei-Lehrer-System und für die Anwendung von offenen Lernformen", so Nöhrer.
Dieses System wurde mit der Einführung der Neuen Mittelschule in alle Schulen übernommen.
Im Rahmen der Umgestaltung von den Neuen Mittelschulen in Mittelschulen werden nun wieder verschiedene Formen der Leistungsdifferenzierung angewandt.
Zwischen Respekt und Entertainment
Was war früher besser als heute? "Das Maß an Respekt der Schülerinnen und Schüler gegenüber deren Lehrerinnen und Lehrern war früher sicher um einiges höher. Dies wurde auch von den Erziehungsberechtigten sehr unterstützt", zieht Nöhrer Bilanz.
"Zum Teil werden Lehrerinnen und Lehrer heute vor allem als Entertainerinnen und Entertainer angesehen. Die Aufmerksamkeitsspanne der Schülerinnen und Schüler war auch viel größer – durch den Überkonsum von digitalen Medien haben manche der jungen Leute heute nur mehr die Aufmerksamkeitsspanne eines Tik-Tok Videos."
Peter Nöhrer war insgesamt 42 Jahre im Schuldienst
Was hat sich im Laufe der Zeit zum Besseren gewandelt? "Im Großen und Ganzen gibt es sicher mehr Empathie in der Beziehung zwischen den Unterrichtenden und den Schülerinnen und Schülern. Die jungen Leute werden ganzheitlich wahrgenommen. Dazu gibt inzwischen viel mehr Unterstützungsangebote für die psychische Gesundheit der Schülerinnen und Schüler, Stichwort Schulsozialarbeit, Schulassistenz, u.a.", ist Nöhrer überzeugt
Fokus auf das Bundesschulzentrum
Von 2016 bis 2024 war Gerda Lichtberger Direktorin am BG/BORG Deutschlandsberg und zeigte sich auch für die Verwaltung des gesamten Bundesschulzentrums verantwortlich. Im Vorjahr hat sie die Pension angetreten: "Eigentlich war ich über 50 Jahre in der Schule – mit meiner eigenen Schullaufbahn als Schülerin inklusive", so Lichtberger auf Anfrage von MeinBezirk.

- Gerda Lichtberger als junge Lehrerin.
- Foto: Lichtberger
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Nach dem Lehramtsstudium hat Lichtberger verschiedene Rollen im Schulwesen ausgefüllt: als Lehrerin, Schulleiterin am Gymnasium der Ursulinen in Graz, Landesschulinspektorin für die AHS und schließlich als Direktorin des BG/BORG Deutschlandsberg.
"Mein Ziel war stets, die bestmögliche Bildung herbeizuführen", so Lichtberger. War früher alles besser? "Nein – es war anders, geprägt von der jeweiligen Zeit.", bringt es die ehemalige Direktorin auf den Punkt.
"Zum Glück hat sich Vieles verändert, aber ich bleibe dennoch Visionärin einer Schule, welche noch ein Stück mehr die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler unterstützt, die mehr an Eigenverantwortung für das eigene Lernen der Kinder und Jugendlichen fördert und die selbst- und verantwortungsbewusste Menschen aus der Schule entlässt."
Gerda Lichtberger war von 2016 bis 2024 Schulleiterin am BG/BORG Deutschlandsberg
Heute ist laut Lichtberger Schule offener, vielfältiger und individueller. Gleichzeitig haben Bildungsstandards, Testungen und die Zentralmatura dazu geführt, dass das Schulsystem insgesamt vergleichbarer geworden ist.
"Ich persönlich sehe aber, dass es für kreative Projekte weniger Zeit und Raum gibt, um den Standards Genüge zu tun. Und das ist für mich schade, da wir kreative Köpfe für unsere Zukunft brauchen", betont Lichtberger.
Unterricht zwischen Tafel und Tablet
Eine große Herausforderung sei die Digitalisierung, die durch die COVID-Pandemie einen enormen Schub in der Schule erhalten hat. Besonders spannend werde die Frage sein, wie sich künstliche Intelligenz auf den Unterricht auswirken wird. Die Lehrerinnen und Lehrer sind laut Lichtberger gut ausgebildet, eigentlich immer Lernende und stellen sich den Anforderungen - mit der Ausstattung der Schulen ist es noch etwas schwierig.

- Vorzeigebeispiel: Die Mittelschule Deutschlandsberg ist seit dem Vorjahr KI-Pilotschule.
- Foto: Büro LR Amon
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Schule ist neben der Familie aber auch ein wichtiger Ort zur Entwicklung sozialer und emotionaler Kompetenzen. Gerade in einer sich rasant verändernden Welt wird es immer bedeutsamer, dass junge Menschen tragfähige Werte und Werthaltungen entwickeln und in der Schule Stabilität erfahren. Kinder und Jugendliche seien zunehmend persönlichen Herausforderungen ausgesetzt und das schlägt sich in der Schule nieder.
In diesem Sinne betont Gerda Lichtberger: "Ein zentrales Anliegen war mir immer der Blick auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler, also nicht nur als Lernende, sondern vor allem als Menschen. "
Mehr Unterstützung für Pädagoginnen und Pädagogen
Pädagoginnen und Pädagogen sind bisweilen ganz schön gefordert und auch überfordert. Schulen bräuchten laut Lichtberger mehr Schulpsychologen und Unterstützung in diesem Bereich.

- Das Bundesschulzentrum Deutschlandsberg soll bis zum Schuljahr 2026/27 um rund 100 Millionen Euro brutto komplett saniert und ausgebaut werden.
- Foto: Simon Michl
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Ein positiver Fortschritt ist ihrer Meinung nach der veränderte Blick auf den Raum Schule: Er wird nicht mehr nur als Gebäude, sondern als pädagogischer Faktor verstanden, der das Lernen unterstützt. Lichtbrger: "Umso mehr freue ich mich auf den Umbau des Bundesschulzentrums, der diesen modernen Zugang weiter fördern wird."
"Ich habe meinen Beruf immer geliebt und war sehr gerne in der Schule. Wenn man Kinder und Jugendliche schätzt, stellt sich nicht die Frage der Vergleichbarkeit der Zeiten, man lebt immer im Jetzt und im Moment."
Gerda Lichtberger
Die nächste Lehrer-Generation
Was meint die nächste Lehrer-Generation? Anna-Lena Wetl arbeitet seit 2021 als Lehrerin an der Volksschule Wies und absolviert derzeit berufsbegleitend das Masterstudium. Sie sieht die größte Änderung im Bereich der Digitalisierung: „Es ist unsere Aufgabe als Lehrpersonen, den Kindern beizubringen, wie man das Internet bestmöglich und sicher nutzt.“ Die Dinge seien heute einfach anders. „Es ist wichtig, Veränderungen anzunehmen und das Beste daraus zu machen.
Früher und heute im Vergleich
Die Landesstatistik Steiermark gibt – auf der Basis der Statistik Austria – einen statistischen Einblick in das Schulwesen in den steirischen Bezirken. Während die aktuellsten Zahlen aus dem Schuljahr 2022/23 angeführt sind, gehen die Daten zurück bis in das Jahr 1990/91. Wir haben einen Vergleich hergestellt – die Zahlen richten sich jeweils nach dem politischen Bezirk des Schulstandortes.
Im Schuljahr 2022/23 gab es insgesamt 7.236 Schüler im Bezirk Deutschlandsberg, 1990/91 waren es noch 9.534 Schüler. Betrachtet man die Schülerzahlen in den Volksschulen des Bezirks, wurden im Schuljahr 2022/23 nur 2.189 Schüler gezählt, im Schuljahr 1990/91 jedoch 3.207. Auch in der nächsten Schulstufe zeichnet sich ein ähnliches Bild: 2022/23 wurden 1.808 Kinder in den Mittelschulen unterrichtet, 102 in der AHS-Unterstufe, im Schuljahr 1990/91 hingegen 2.904 in den Hauptschulen. Und während laut aktuellsten Zahlen nur 25 Schüler eine Sonderschule besuchten, waren es damals 105.
Besonders drastisch ist die Änderung an den Polytechnischen Schulen: im Jahr 2022/23 besuchten 53 Jugendliche diese Bildungseinrichtungen, 1990/91 ca. viermal so viel, nämlich 214. Im Schuljahr 2022/23 besuchten 335 Schüler die AHS-Oberstufe und 97 sonstige allgemeinbildende (Statut-)Schulen. Im Jahr 1990/91 wurden 398 Schüler in allgemeinbildenden höheren Schulen unterrichtet. 2022/23 besuchten 1.700 Schüler Berufsschulen, 1990/91 waren 1.706 in berufsbildenden Pflichtschulen. Vor fast zwei Jahren waren 294 Schüler in berufsbildenden mittleren Schulen und 599 in berufsbildenden höheren Schulen. Im Schuljahr 1990/91 waren es 411 in berufsbildenden mittleren Schulen und 589 in berufsbildenden höheren Schulen.
Übrigens: Im Jahr 2022/23 gab es insgesamt 733 Lehrer im Bezirk Deutschlandsberg, im Schuljahr 1990/91 waren es allerdings noch 872.
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Früher war alles besser
Unter dem Motto „Früher war alles besser“ hinterfragt das MeinBezirk-Redaktionsteam Themen wie Sicherheit, Bildung und Verkehr.
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