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Birgit Krenn - "Lasst die Schreib-Spiele beginnen!"

Birgit Krenn (Poesiepädagogin) | Foto: Birgit Krenn
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Etwas Besonderes hat sich die Poesiepädagogin Birgit Krenn für die mit „Erlebnis Sprache“ verbundenen AutorInnen aus Graz und dem Oberen Murtal ausgedacht. Um auch in einer Zeit der äußeren Trennung durch die Corona-Krise innere Verbundenheit entstehen zu lassen, lud Birgit Krenn dazu ein, Gemeinschaftstexte zu schreiben.
Elf AutorInnen waren mit Begeisterung dabei – und so entstanden elf ganz unterschiedliche Geschichten und Betrachtungen. Jeder durfte einen Text mit einem Absatz beginnen und auf die Rundreise schicken, auf der der Text jeweils um einen Absatz erweitert und schließlich vom „Starter“ vollendet wurde.

„Schreiben beginnt, wo man sich gerade befindet“, ist das Motto der Poesiepädagogin. Egal, ob man als Neuling zu ihren Kursen stößt oder schon zu den „alten Hasen“ gehört, man beginnt immer neu – und am besten dort, wo man sich sprachlich, gedanklich oder in der menschlichen und schriftstellerischen Entwicklung befindet.
Das war auch die Vorgabe für die Texte. Aus diesem einen Gedanken entstanden elf Texte, die so unterschiedlich sind wie die Menschen, die sie schrieben. Der hier angefügte Beispieltext „Der Smodog“ zeigt wunderschön, wie aus einem einfachen Aufwachen am Morgen nach und nach eine Fantasy-Story mit einem dramatischen und spannenden Schluss entsteht.

Jeder ist an seiner Sprache zu erkennen, sie ist unverwechselbar und tief verwurzelt in dem, der sie als Instrument seines Schreibens benutzt. Die Ideen entstammen der Fantasie und dem eigenen Denken und Erleben. Aber das Handwerk des Schreibens ist etwas, das man lernen kann.

Nimmt jemand Ton in die Hand, kann er ihn formen, aber nur dann, wenn er die Handwerkstechnik beherrscht, wird er aus Ton keramische Kunst schaffen. So ist es auch mit dem Schreiben. Man muss lernen, wie man Texte beginnt und beendet, wie man interessante Figuren schafft, wie man Spannung aufbaut und Handlungen vorantreibt. Wie man den „Ton“ der Sprache zu Texten gestaltet, lernt man bei „Erlebnis Sprache“ in Kursen und SchreibTreffs, aber auch online.

Die Freude am Erzählen, Erfinden und am Miteinander stand bei all den im Rahmen dieses Projekts entstandenen Texten im Vordergrund, nicht die literarische Perfektion.

Wer die literarischen Werke der AutorInnen hören will, ist herzlich eingeladen, am 13.September 2020 um 11h in den kunstGarten in Graz zu einer Lesung zu kommen.

Doch nun viel Freude beim Lesen des Textes, an dem Katrin Adler, Claudia Kranawetter-Lange, Michaela Schwamberger, Harald Letonja, Judith Bärnthaler, Ursula Markovic-Weiler, Ulrike Janics, Tamara Kapus, Dina Muminovic, Birgit Krenn und Ulrike Walner mitgeschrieben haben!

Er heißt:

DER SMODOG

Der Schmerz in meinem Körper lässt mich unsanft aufwachen, es fühlt sich an als hätte ich diese Nacht zum Erklimmen sämtlicher Berge genutzt, die auf meiner To-do-Liste stehen, seit Jahren unerfüllt und verdrängt bäumen sie sich unausweichlich vor mir auf, selbst das Verschließen der Augen hilft nichts mehr. Schatten huschen durch den Raum und ich kann sie nicht begreifen. War es Pegasus, der durch das Zimmer streifte oder sind es die wirren Gedanken in meinem Kopf?

Es hilft nichts, ich muss aufstehen. Ein Blick aus dem Fenster verrät mir: Bald wird es Tag. In der Nacht hat es geschneit. Das heißt, der Weg in die Dorfschule ist gefährlicher als sonst. Wenn es tatsächlich Pegasus war, den ich vorhin im Zimmer sah, heißt das nichts Gutes. Er lässt sich nur blicken, um mich vor drohenden Gefahren zu warnen. Ich mache das Bett, ziehe mich an und stolpere die steile Holztreppe hinunter, wo mich Loki, der schwarze Nordwolf winselnd und an der Tür kratzend erwartet. Ich öffne sie ihm. Er stürzt hinaus, bleibt abrupt stehen, fletscht die Zähne und knurrt. Mit gesträubtem Fell sieht mein geliebtes Schmusetier gefährlich aus. Ich bin unsicher. Soll ich ihm folgen und nachsehen oder lieber Fenster und Türen verrammeln? Da höre ich ein fernes Grollen, der Holzboden unter meinen Füßen bebt, die Hütte vibriert, der Nordwolf flüchtet mit eingeklemmter Rute an mir vorbei hinter den Ofen. Nun ist es still. Zu still, und erst jetzt fällt mir auf, dass ich heute noch keinen einzigen Vogel singen hörte.

Aber wieso sollte ich auch? Es ist Winter und die Vögel sind gegen Süden gezogen. Ins Warme geflüchtet, dorthin, wo es keine Kälte, kein Eis und kein Grollen vom Donnerberg gibt.
Mir fehlen die Vögel, mir fehlt der Sommer. Wie sehr wünsche ich mir, wieder mit Loki durch den Wald zu streifen, das Moos unter meinen Fußsohlen zu fühlen, die Pilze zu riechen, die süßen Wildhimbeeren zu schmecken und den eisigen Winter nur mehr als dunkle Erinnerung schemenhaft hinter ein paar dicken Baumstämmen sich verstecken sehen.

Die Stille, die gegen meinen Kehlkopf drückt, ist aber nicht nur das Fehlen der Vögel, des Grollens, auch nicht die Abwesenheit des Raschelns der Blätter im Wald oder des Schmatzens der Füße im feuchten Moos. Abwesenheit setzt voraus, dass vorher etwas da war. Diese Stille ist anders, sie ist ein Vakuum. Sie liegt nicht als klingende Triangel auf meinen Ohren, sie ist das lautlose Auge eines Hurrikans, und jedes Kind weiß, wie schnell ein Hurrikan sich bewegen kann. Und mit ihm sein Auge.

Die Schule! Die Kinder. Sie werden warten. Ich hauche gegen das Fensterglas und reibe die feuchte Stelle mit meinem Ärmel. Eine Luke gibt den Blick in den dunklen Wintermorgen frei. Der Wind pfeift durch die Ritzen. Die Föhren singen ein düsteres Lied. Die Wanduhr tickt aufdringlich. Es bleibt dunkel. Ich schleppe mich zum Holzherd. Mit starren Fingern greife ich nach den Buchenholzscheiten, die in einer Schachtel neben dem Herd liegen. Ich werfe sie in den Herd und stopfe altes Zeitungspapier dazu. Ein Blatt fällt zu Boden. Auf dem mit Fettflecken übersäten Papier schimmert eine Schlagzeile durch.

Die Schlagzeilen ließen alles in mir erstarren. „Smodog, der Höllenhund ist ausgebrochen“, stand in großen Lettern da. Ein Dämon der Finsternis, den alle fürchteten, war wieder unterwegs. Mit mörderischer Inbrunst hat er sich eine Schneise des Untergangs geschlagen. Alles, was sich ihm in den Weg stellte, wurde vernichtet. Allein sein ätzender Atem war schon tödlich. Seine zehn Zentimeter großen scharfen Krallen, mit Widerhaken versehen, bohren sich in die Eingeweide seiner Opfer. Sechs Jahre lang war es geglückt, ihn gefangen zu halten. Sechs Panzerglastüren verriegelten sein Gefängnis. Niemand weiß, wie ihm der Ausbruch geglückt war. Die Panzerglastüren standen einfach unversehrt offen. Ich muss zu den Kindern in die Schule. Aber wie? Das Risiko war zu groß, sich nur mit Loki auf den Weg zu machen. Pegasus musste dabei helfen, denn Smodog konnte uns in der Luft nichts antun. Pegasus konnte mich auf seinen breiten Schwingen zur Schule bringen. Ich müsste gerade jetzt bei den Kindern sein. Zugleich ließ mich der Gedanke der drohenden Gefahr nicht los. Ich erinnerte mich, wie erleichtert ich war, als mir die Nachricht überbracht wurde, dass Aschra, die Fuchshündin, Smodog mit List in die Falle gelockt hatte.

Das Feuer im Herd brennt endlich. Für ein warmes Frühstück bleibt jetzt keine Zeit mehr, aber wenigstens bleibt die Stube ein wenig überschlagen, bis ich zurückkehre. Wann wird das sein? Werde ich die Hütte jemals wiedersehen? Mir wird übel vor Aufregung. Ich muss einen kühlen Kopf bewahren. Schnell schlinge ich ein paar Bissen Brot hinunter, trinke den kalten Tee von gestern. Mit leerem Magen sollte man sich keinem Kampf stellen. Pegasus kann nicht weit sein, ich habe ihn doch heute schon schwach wahrgenommen. Es muss jetzt schnell gehen. Ich ziehe die schwere Tischlade heraus, sie kracht auf den Boden. Ganz hinten, im Geheimfach, finde ich das, was ich brauche, um mit Pegasus fliegen zu können. In einem weichen Tuch ist alles gut verpackt. Das Grollen wird stärker und kommt näher. Ich stecke noch ein paar runzelige Äpfel in meine Manteltasche und trete vor die Türe.

Kalte Morgenluft schlägt mir ins Gesicht. Ich blicke in den Himmel, wo sich Wolken grollend zu einer grauen Masse formieren. Ich ziehe das Halfter hervor, spüre die alten Runen, die man sorgfältig ins Leder geschnitzt hatte. Ich sammle meine Gedanken und schicke den Ruf aus, so wie ich es von meinem Vater gelernt hatte. Hinter meinen Augen beginnt es zu Pochen und der Schmerz des Rufes bohrt sich in meinen Kopf. Doch ich lasse nicht nach, schicke ein weiteres Mal den Ruf aus und dann beginne ich seine Anwesenheit zu spüren. Meine Augen sind geschlossen, wie es das Ritual verlangt, und ich sende ein drittes Mal den Ruf. Dann öffne ich die Augen und sehe, wie sich dunkle Schwaden tanzend zu Knochen, Muskeln, Haut verdichten. Pegasus steht schnaubend vor mir und rasch streife ich ihm das Halfter über. Solange er das Halfter trägt, verflüchtigt er sich nicht, verwandelt sich nicht wieder in den dunklen Rauch meiner Gedanken. Er breitet seine gewaltigen Schwingen aus und ich schwinge mich auf seinen Rücken. „Zur Schule“, flüstere ich, mehr für mich selbst als für ihn. Dann erheben wir uns in den kalten Himmel.

Die kalte Luft durchbohrt meine Augen, wie tausend kleine Nadeln, ich kann sie kaum offen halten. Während ich mit der rechten Hand das Halfter zu halten versuche, verdecke ich mit der linken Hand meinen Mund und atme den Lederhandschuh, um die Luft, die meine Lunge durchströmt, etwas aufzuwärmen. Ich spüre, wie sich warme Tränenflüssigkeit auf meinem Gesicht verteilt und innerhalb von Sekunden kleine Eiszapfen auf meinen Wimpern und Augenbrauen entstehen. Trotz Eiseskälte merke ich, wie mir kalter Schweiß den Rücken hinunterrinnt. In meinem Brustkorb macht sich Angst breit. Ich versuche mich zu beruhigen, denn dafür ist jetzt keine Zeit. Ich muss in die Schule und die Kinder in Sicherheit bringen. Die meisten sind bestimmt schon dort und sitzen nichtsahnend auf ihren Plätzen.

Es tröstet mich, dass Freya und Lif bei ihnen sind. Die Prüfung kommt zwar lange vor ihrer Zeit, aber letztendlich kann sich niemand aussuchen, wann er seinem Schicksal begegnet. Ich muss ihnen einfach vertrauen. Sie werden wissen, was zu tun ist. Für den Kampf sind sie zu jung und unerfahren, aber sie sind weder hilflos noch ohnmächtig. So wie ich selbst das Wissen meines Vaters bereits in mir trug, noch bevor er mich alles gelehrt hatte, so wie er sein Wissen von seinem Vater geerbt hatte, habe ich es an meine Töchter weitergegeben, mit jedem Atemzug, mit jedem Schluck meiner nährenden Milch. Sie sind stark. Sie werden in der Lage sein, die anderen Kinder zu schützen. Den Smodog nicht bekämpfen, aber ihn verwirren, ihn ablenken und zumindest so lange aufhalten, bis ich da sein kann. 

Der Flug scheint endlos zu sein, obwohl er nur wenige Minuten gedauert haben kann. Die Stille liegt gespenstisch auf dem Schnee, aber in der Ferne dröhnt etwas, das an Donnergrollen erinnert, das die ganze Welt zu überrollen scheint. Pegasus schnaubt unruhig, als er zur Landung ansetzt. Ich ziehe ihm das Halfter ab und er sucht schnell das Weite. Auf der Erde hat sich eine Eisschicht gebildet, die unter meinen derben Schuhen knirscht und kracht, als ich vorsichtig den kurzen Weg zur Schule nehme. Ein schrilles Quietschen erschreckt mich: Ein Tier eilt an mir vorbei in den Wald, dessen Bäume schwarz und drohend in den Himmel ragen, der von schwefelgelben Wolken verwüstet wird. Der Schrei des Totenvogels gellt drohend in meinen Ohren. Die Schule liegt ruhig da und ich sehe den Schutzzauber, den Freya und Lif um sie errichtet haben. Die kleinen blauen Flammen umzüngeln das Gebäude und ich atme auf, denn noch hat Smodog das Gebäude nicht erreicht, noch hat er Ólafur nicht gefunden, den Auserwählten, den siebten Sohn des alten Herrschers, den dieser in meiner Schule versteckt hält.
Hastig will ich weitergehen, doch das Knurren des Höllenhunds lässt mich mitten im Schritt erstarren. Nun begreife ich, was das Donnergrollen in Wahrheit war. Ich blicke in gefletschte Zähne hinauf, die unter roten Augen leuchten, und in dem Moment bäumt sich eine Flammenwand zwischen der Schule und mir auf.

Das Unvermeidliche steht vor mir, nun wird sich zeigen, ob mein jahrelanges Training und die Kampferfahrenheit aus unzähligen vorangegangenen Gefechten und Schlachten uns zum Siege führen wird. „Bei aller Macht der Götter, Iduna – ich bitte dich, steh mir bei.“
Ólafur darf nicht sterben! Im nächsten Atemzug griff Helena an ihren Waffengürtel und schleuderte dem Höllenhund einen Wurfring entgegen, nur knapp verfehlte sie ihn am Hals. Das Geschoss kam zurück und das Getier setzte sich immer schneller werdend in Bewegung. Helena rannte, so schnell sie konnte, auf einen Baum zu, schwang sich hinauf und in der Vollendung der Bewegung landete sie mit einem Salto auf Smodog. Dieser versuchte sie abzuschütteln, als wäre sie ein lästiger Floh, stellte sich auf die Hinterpfoten nach ihr schnappend, sprang ruckartig wieder nach vorn und rannte tiefer in den Wald hinein. Seine Laute wurden immer aggressiver und unheimlicher. Helena krallte sich in sein langes, borstiges Fell und versuchte an den Dolch in ihrem Stiefel zu gelangen. Als sie ihn endlich ergreifen konnte, machte Smodog eine abrupte Kehrtwendung, sie verlor das Gleichgewicht und stürzte von dem massigen Körper des Tieres auf den sumpfigen Waldboden. Als sie sich berappelte und versuchte aufzustehen, entglitt ihr der Dolch und versank im Morast. Nachdem sie endlich wieder auf ihre Füße gekommen war, steckte sie bis zu den Knien in dem sumpfigen Untergrund. Panisch und orientierungslos suchte sie nach ihrer Waffe und hielt gleichzeitig Ausschau nach Smodog. In der Ferne erspähte sie ihn wutschnaubend und mit blutunterlaufenen Augen, wie er sich erneut für einen Angriff vorbereitete. Unter einem Getöse, wie es selbst die Götter noch nicht gehört hatten, rannte er auf sie zu. Kurz bevor er sie erreichte, öffnete er sein riesiges Maul, um sie damit zu packen. Just in dem Moment, als seine mächtigen Kiefer sie rechts und links in ihrer Körpermitte trafen, bekam sie ihren Dolch zu greifen. Unmenschliche Schmerzen durchzuckten ihren Leib, als sich seine Reißzähne in ihr Fleisch bohrten. Ihr Körper merkte, dass sie der letzte Odem verlassen wollte. Unter Aufbringen all ihrer Kräfte stieß sie dem Ungetüm den Dolch mitten zwischen die Augen. Smodog sank samt ihr in seinem Maul zu Boden. Sie spürte seinen letzten Atemzug im selben Moment, in dem ihr Herz ein letztes Mal schlug.

Birgit Krenn (Poesiepädagogin) | Foto: Birgit Krenn
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