Graz will keinen Flächenfraß mehr: Interview mit Stadtplanungschef Bernhard Inninger
Wird in Graz zu viel ge- und verbaut? Stadtplanungschef Bernhard Inninger gibt Auskunft.
Beinahe täglich erreichen die WOCHE-Redaktion Mails und Leserbriefe, die den wahrgenommenen enormen Bodenverbrauch und die zunehmende Verbauung von Stadtteilen zum Thema haben. Ist die Situation wirklich so prekär? Stadtplanungschef Bernhard Inninger steht im exklusiven Interview Rede und Antwort.
Viele Grazer haben das Gefühl, dass zu viel auf der grünen Wiese gebaut wird. Haben sie recht?
Bernhard Inninger: Kurz nach dem Jahr 2000 setzte auch in Graz ein starkes Bevölkerungswachstum ein. Bald war klar, dass die Ressource Boden irgendwann zu Ende gehen würde, wenn man diesem Trend mit der Ausdehnung des Siedlungsraumes begegnen würde. Daher setzt das Stadtentwicklungskonzept 3.0 (rechtswirksam seit 2013) auf Innenentwicklung. Seither wurde kaum mehr neues Bauland ausgewiesen. Daher befassen wir uns intensiv damit, wie wir dem Wachstum im bestehenden Siedlungsraum gerecht werden können.
Viele Menschen bekommen in ihrer Nachbarschaft dann neue Wohnbauten "hingesetzt". Verstehen Sie deren Sorgen?
Natürlich gibt es überall direkt betroffene Personen. Ein Teil der städtischen Strategie ist aber eben die Nachverdichtung im Bestand von bisher unternutzten Gebieten sowie die Forcierung kompakter und dichter Bebauungsstrukturen nahe an öffentlicher Infrastruktur. Manches Quartier verändert sich dadurch, was für die Bewohner mit Vor- und Nachteilen verbunden ist.
Bei den Betroffenen entsteht dann der Eindruck, dass alles versiegelt wird.
Wir analysieren das Baugeschehen laufend anhand exakter Daten, die aus Luftbildern der Stadtvermessung gewonnen werden. Die letzte Befliegung fand 2019 statt. Die versiegelte Fläche ist zwischen 2015 und 2019 um nur 1,23 Prozent, die Bebauung um 1,57 Quadratkilometer gestiegen. In diesem Zeitraum ist aber die Einwohnerzahl um fast 19.000 Menschen gestiegen! Das bedeutet, dass es gelungen ist, das Bevölkerungswachstum fast gänzlich von der Versiegelung zu entkoppeln. Nach wie vor sind knapp 70 Prozent der Stadtfläche unversiegelt.
Alles eitel Wonne also?
Natürlich nicht. Gerade weil in diesen Jahren viel gebaut wird, wollen wir bestmöglich steuern und suchen stets nach Optimierungen. Zum Beispiel wäre es sinnvoll, mehr Bestandsgebäude zu sanieren und zu nutzen. Wir möchten als Stadt aber auch in Sachen Versiegelungsgrad noch besser werden, im Hinblick auf den Klimawandel bei der Durchgrünung des Stadtraums noch mehr Fahrt aufnehmen. Viele Leute ärgern sich auch, dass alte Villen geschleift und schmucklose Bauten hingestellt werden. Als Stadt fördern wir zeitgenössische Architektur von hoher Qualität, z.B. durch Instrumente wie Architekturwettbewerbe oder den Fachbeirat für Baukultur. Es gibt auch aus den letzten Jahrzehnten durchaus gelungene Architektur.
Daten und Fakten
Bauland im Flächenwidmungsplan 2002: 5.605,72 Hektar
Bauland im Fläwi 2018: 5.820, 71 Hektar (+3,8 Prozent)
Versiegelte Flächen nach Bezirk: 1. Lend (39,37 Prozent), 2. Jakomini (35,91 Prozent), 17. Ries (7,01 Prozent), Graz-Schnitt 17,74 Prozent
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