WOCHE-Familienflüsterer
Patchworkfamilien sind die Zukunft

Patchworkfamilien sind laut Psychologen die Familienform der Zukunft. | Foto: pixabay.com
2Bilder
  • Patchworkfamilien sind laut Psychologen die Familienform der Zukunft.
  • Foto: pixabay.com
  • hochgeladen von Anna-Maria Riemer

Der Name Patchwork ist neu, das Thema alt. Früher wurden Patchworkfamilien, Stieffamilien genannt. Was ist damit gemeint und wie können sie gelingen? Familienflüsterer und Psychologe Philip Streit hat Antworten und Tipps. 

Unter einer Patchwork-/Stieffamilie versteht man, wenn ein Partner mit mindestens einem Kind auf einen neuen Partner trifft, um eine Familie oder eine Lebensgemeinschaft zu gründen. Patchwork, so sagen Psychologen und Soziologen, ist die Familie der Zukunft. Die Scheidungsrate liegt bei über 50 Prozent und trotzdem haben viele wieder Sehnsucht nach einer gemeinsamen Familie, einem Ort der Geborgenheit.

Schaffbare Herausforderungen

Die Patchwork-Herausforderungen sind zwar schaffbar, aber trotzdem kommen viele Fragen auf: Was werden meine Kinder zu der/dem Neuen sagen? Werden sie ihn/sie akzeptieren – Stichwort „du hast mir nichts zu sagen, zu bist nicht meine Mama/ mein Papa“. Was tun, wenn der/die Ex querschießt? Was, wenn die beiden neuen Partner ein leibliches Kind dazubekommen? Könnte der leibliche Vater/die leibliche Mutter ersetzt werden? Wie geht man jetzt mit der Erziehung um? Darf der/die Neue miterziehen?

Sieht man sich in der Ratgeberlandschaft um, so werden Sie mit tausenden Tipps überschwemmt, was Sie richtig oder falsch machen könnten. Meiner Meinung nach kommt es bei einer funktionierenden Patchworkfamilie allein auf drei Dinge an, die immer weiterentwickelt werden müssen:
Erstens, eine starke, sich immer wieder erneuernde Beziehung zwischen den beiden neuen Partnern. Zweitens, ein Klima der wechselseitigen Akzeptanz, des Unterstellens guter Motive und der Wertschätzung gegenüber allen Beteiligten. Und drittens, ein Zurückstellen beziehungsweise Verzichten auf eigene Bedürfnisse zu Gunsten des gelingenden Patchworks. Ausschluss, Nicht-Akzeptanz und Abwerten von anderen, die bisher schon da waren, sind ein No-Go.
Das geht allerdings nicht von heute auf morgen. Gut Ding braucht Weile!

Tipps

Hier nun einige Tipps, wie Patchwork gelingen kann.

1. Pflegen Sie täglich Ihre neue Beziehung durch Momente der Resonanz und durch kleine Gesten der Zuneigung und Liebe.
2. Gehen Sie Ihr Patchwork aktiv an, lassen Sie es nicht anstehen. Unterschätzen Sie die Komplexität der Herausforderungen nicht.
3. Respektieren, achten und schätzen Sie alle, die vorher da waren (z.B.: Ex-Partner) in Ihren Rollen. Unterstellen Sie Ihnen gute Motive, auch wenn es nicht so scheinen mag. Akzeptieren Sie den leiblichen Vater als Vater/ die leibliche Mutter als Mutter.
4. Rechnen Sie damit, dass Ihr Kind Sorgen haben wird. Es hätte am liebsten seine ursprüngliche Familie zurück. Seien Sie hier geduldig und verständig. Kommandieren Sie es nicht herum.
5. Hören Sie Ihrem leiblichen Kind zu. Lassen Sie es seine Sorgen und Anliegen erzählen.
6. Stellen Sie zugleich aber auch klar, wie die neue Familie ausschauen wird. Neuer Partner, „meine Kinder/deine Kinder“-Herausforderungen, eventuell ein neu dazukommendes Kind, brauchen ein dazugehöriges Regelsystem. Begleiten und unterstützen Sie Ihr leibliches Kind, damit es seinen Platz finden kann und damit Stiefgeschwister ihren Platz finden können. Reden Sie aber nicht drein und geben Sie ihnen Zeit.
7. Gehen Sie Ihr Patchwork Schritt für Schritt an und akzeptieren Sie, dass die leibliche Mutter/ der leibliche Vater den Stiefkindern näher ist als Sie selbst. Suchen Sie den richtigen Zeitpunkt sich gegenseitig kennenzulernen. Sie werden es spüren. Warten Sie als Hinzukommende/r bis Ihnen der leibliche Vater/die leibliche Mutter für ihren Kinder ein Recht zu Erziehen gibt. Erziehen Sie nicht einfach drauf los. Das verstehen weder Kinder noch die leiblichen Eltern.
8. Geben Sie den Kindern und der Patchworkfamilie Zeit und Platz sich an die neue Lebenssituation zu gewöhnen. Verbringen Sie vor allem dann, wenn ein Kind mit dem neuen Partner/ der neuen Partnerin dazukommt Qualitätszeit mit Ihren Kindern. Laden Sie auch Ihren neuen Partner/ Ihre neue Partnerin dazu ein.
9. Vertrauen Sie und seien Sie geduldig. Stiefkinder brauchen kleine Streitereien untereinander bis sie es einrichten. Beobachten Sie die Dynamik trotzdem wachsam.
10. Arrangieren Sie Familienfeiern, je nach Stand der aktuellen Situation. Manchmal ist es gut, wenn alle zusammen sind, manchmal nicht. Nehmen Sie und Ihr neuer Partner/ Ihre neue Partnerin sich Zeit dies sorgsam abzuwägen. Sie sind der entscheidende Part.

Nichts ist fix in einer Patchworkfamilie, bis auf das Gebot der Wechselseitigen Resonanz, Akzeptanz und den Verzicht für das größere Ganze. Suchen Sie das Schwingen untereinander, denn wenn es schwingt und Dinge in Resonanz sind, dann vergehen Vorbehalte und Unterschiede und Patchwork gelingt. Seien Sie immer wieder aufs Neue flexibel.

Der Experte 

Philip Streit ist klinischer Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut, Lebens- und Sozialberater.
Seit 1994 leitet er das „Institut für Kind, Jugend und Familie“ in Graz, das auch jetzt für Sie unter 0316/77 43 44 da ist. Die "Stark und Positiv – Gerade jetzt“-Hotline ist unter 0699 16030001 rund um die Uhr erreichbar.
Web: www.ikjf.at
Leser-Fragen bitte an: redaktion.graz@woche.at

Patchworkfamilien sind laut Psychologen die Familienform der Zukunft. | Foto: pixabay.com
Der Experte: Psychologe Philip Streit beantwortet jede Woche brisante Familienfragen. | Foto: Jorj Konstantinov
Push-Nachrichten auf dein Handy
MeinBezirk.at auf Facebook verfolgen
Die Woche als ePaper durchblättern
Newsletter deines Bezirks abonnieren

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.