Wegbegleiter mit Würde und Gefühl
Siegfried Muhry ist Bestatter am Grazer Zentralfriedhof. Dabei hatte er als Bub große Angst vor Toten. Vom Sinn des Lebens und der inneren Haltung.
Die gelben Birkenblätter wiegen sich im Wind, die Grabsteine ruhen und Siegfried Muhry braucht einen Moment Stille: „Ich muss die richtige Stimmung finden“, sagt der Mann mit den blauen Augen und den sanften Falten auf der Stirn. Schnell ein Foto machen für den Zeitungsbericht – so geht das nicht.
Muhrys Blick wandert in die Baumwipfel oder doch hinter die blassgrauen Wolken? Dann umfasst er die Urne im dunkelroten Samttuch mit den Händen und nimmt Haltung an – auch im Inneren. „Gut“, sagt er. Er ist bereit.
Muhry ist Bestatter und Zeremonienmeister am Zentralfriedhof Graz. Der 58-Jährige trägt hier jede Urne Schritt für Schritt von der Bestattungshalle zum Grab. Und er begleitet die Hinterbliebenen auf diesem Weg der Verabschiedung von Anfang an. Er organisiert die Aufbahrung, arrangiert etwa die dunkelgrünen Lorbeersträucher und Kerzen in der Halle nebenan, und bespricht das Begräbnis mit den Angehörigen. Soll es einen Gottesdienst geben? Wann kommen die Blumenkränze? Fragen wie diese klärt er ab und zeigt den Trauernden, was man erledigen muss, in dieser schweren Zeit.
„Einen Menschen zu verlieren ist … “ , sagt er. Da fehlen die Worte und da gibt es auch nicht viel zu sagen. Oft hört er zu. „Manche Leute erzählen dir ihre ganze Lebensgeschichte.“ Etwa von 48 Jahren Ehe und den gemeinsamen Hobbys. Andere sagen nichts. „Ich selbst versuche nur, die Abläufe für die Hinterbliebenen so angenehm wie möglich zu gestalten.“
Seit 31 Jahren
Wie schwer wiegt diese Aufgabe? Muhry seufzt und nimmt einen Schluck Kaffee. Orange Ahornblätter ranken sich auf der Eckbank in seiner kleinen Stube nebenan. Eine Kerze brennt am Tisch. „Ich bin ein Mensch, der viel spürt“, sagt er. Da ist es auch wichtig, sich wieder zu distanzieren von den anderen und ihren Schicksalen. Was bleibt, ist diese Mischung aus Schwermut, Würde und Klarheit, die er verkörpert.
Bis zu zehn Begräbnisse gibt es pro Woche. Muhry arbeitet seit 31 Jahren bei der Bestattung, als 27-Jähriger ist er durch einen Bekannten hierher gekommen – und geblieben. Warum? „Jeder landet im Leben an dem Ort, den er braucht.“ Er selbst hatte als Bub bei Begräbnissen große Angst. „Ich habe mich vor den Toten gefürchtet“, sagt er. „Das liegt am Mythos rund um den Tod.“ Aber: „Man muss sich seinen Ängsten stellen.“ Und im Angesicht der Vergänglichkeit hat er viel gegrübelt und gelernt.
Das, was bleibt
„Das ganze Klimbim ist nichts wert“, sagt Muhry und wischt Träumereien von Luxus und Geld mit einer flotten Handbewegung beiseite. Was zählt? „Schöne Augenblicke mit Menschen, die man liebt.“ Religiös im klassischen Sinn ist Muhry nicht, aber gläubig auf seine Art. Irgendetwas gibt es nach dem Tod“, sagt er. Und: „Jeder muss im Leben seinen Sinn finden.“
Er selbst sieht sich als Wegbegleiter. Denn: „Wir alle müssen gehen“, sagt er. Und da ist sie wieder, diese innere Haltung, ohne dass er darüber nachgedacht hat.
AUF DEN GRAZER FRIEDHÖFEN
2.200 Beisetzungen organisiert die Bestattung Graz pro Jahr.
Zwölf Friedhöfe gibt es insgesamt in Graz, die von den Mitarbeitern der Bestattung betreut werden.Der Zentralfriedhof ist der größte, an zweiter Stelle folgt der St. Peter Friedhof.
Ein Zeremonienmeister ist an diesen beiden Friedhöfen vor Ort. Er ist die zentrale Ansprechperson für Hinterbliebenen und wird durch eine mobiles Team der Bestattung unterstützt.
70 Prozent der Beisetzungen erfolgen als Feuerbestattung, also in Form einer Urne. 30 Prozent sind Erdbestattungen.
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