Sprachenvielfalt
Wie zugewanderte Menschen am besten Deutsch lernen
Graz gilt als Stadt mit wachsender Diversität, die maßgeblich aus der internationalen Zuwanderung resultiert. Eine zentrale Herausforderung für Zugewanderte stellt das Deutschlernen dar. Im Gespräch mit MeinBezirk.at erläutert der Sprachlehrer, Vortragende und Buchautor Wilfried Krenn wichtige Voraussetzungen für ein erfolgreiches Zweitsprachenlernen und klärt weitverbreitete Irrtümer auf, die das Deutschlernen betreffen.
GRAZ. Obwohl Graz als Stadt der gelebten Sprachenvielfalt gilt, werden genaue Daten zur Erstsprachenverteilung kaum erhoben. Fest steht daher lediglich, dass rund 73 Prozent der Grazer Bevölkerung österreichische Staatsbürger sind, wohingegen jeweils ca. 3,1 Prozent eine kroatische oder rumänische Staatsbürgerschaft besitzen. 2,8 bzw. 2,1 Prozent der Grazerinnen und Grazer haben einen deutschen bzw. einen bosnisch-herzegowinischen Pass und rund 15 Prozent der Bevölkerung gehört einem anderen Staat an.
Diese Daten legen somit zwar nahe, dass neben Deutsch insbesondere Kroatisch, Rumänisch und Bosnisch zu den am häufigsten gesprochenen Erstsprachen in Graz zählen, wenngleich von der Staatsbürgerschaft nicht unmittelbar auf die Erstsprache geschlossen werden kann. Betrachtet man nur die Verteilung an den Grazer Pflichtschulen, gilt Türkisch mit 1.316 Sprechenden nach Deutsch als die häufigste Erstsprache. Danach folgen Arabisch und Bosnisch mit 791 bzw. 711 Schülerinnen und Schülern.
Sprachkontakt als Um und Auf
Gerade für zugewanderte Personen stellt das Deutschlernen vielfach eine große Herausforderung, gleichzeitig aber auch eine wesentliche Bedingung für eine gelingende Integration dar. Aus der Sicht von Wilfried Krenn, der selbst jahrelang als Sprachlehrer tätig war, sich im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an den Universitäten Wien und Graz aber auch aus einer wissenschaftlichen Perspektive mit dem Sprachenlernen beschäftigt, muss ein relevanter Sprachkontakt stattfinden, um ein erfolgreiches Zweitsprachenlernen anzuregen.
Seiner Erfahrung nach seien allerdings besonders am Anfang, wenn Menschen neu in das Land kommen, die Inhalte oft zu komplex und zu schwierig. Dabei gilt: "Wenn man nichts versteht, kann man auch nichts lernen", wie Krenn erläutert. Ideal wäre stattdessen, wenn der Input, den Lernende erhalten, knapp über der Kompetenz liegt, die sie selbst im Deutschen bereits erworben haben.
Muttersprachler sensibilisieren
Auf die Art des Sprachkontakts kommt es dagegen weniger an, da dieser auf vielen Ebenen passieren kann: Krenn nennt beispielsweise niederschwellige Kursangebote, die Konsumation von Nachrichten in einfacher Sprache oder auch den schulischen Unterricht, die zum Deutschlernen beitragen können. Zentral sei in allen Fällen jedoch, dass das Bedürfnis, andere zu verstehenund sich selbst mitzuteilen, befriedigt wird.
Dabei müssten jedoch auch Menschen, die Deutsch als ihre Erstsprache sprechen, sensibilisiert werden, welche Texte, Satzstrukturen oder Begriffe einfach oder schwierig sind. Denn obwohl der Kontakt mit Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern kein Ersatz für einen intensiven Sprachunterricht sein kann, ist ein solcher dennoch wichtig, um unter anderem Ausschluss und Ghettoisierung zu vermeiden. Daher hält es Krenn auch für notwendig, Erstsprechenden zu zeigen, wie man kommuniziert.
Mit Irrtümern aufräumen
Zur Sensibilisierung gehört auch die Aufklärung weit verbreiterter Irrtümer. Ein häufiger Trugschluss besteht beispielsweise darin, anzunehmen, dass man eine Sprache nebenbei lernt: "Viele Leute haben die Vorstellung, dass man eine Sprache automatisch lernt, wenn man im Zielsprachenland ist. Aber wenn wir jetzt eine China-Reise machen, haben wir zwar viel Sprachkontakt und hören einige Brocken, wir verstehen aber nichts und können die Sprache nicht lernen."
Ein zweiter Irrtum bestehe Krenn zufolge in der Annahme, dass man Lernmotivation erzwingen könne, indem man vorschreibt, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Deutsch gesprochen werden muss. In einem solchen Fall werde die Vorgabe formal zwar erfüllt, langfristig würde eine solche rein extrinsische Motivation aber zu Vermeidungsstrategien führen.
Bedeutungsvolles Lernen
Stattdessen könne man die Lernmotivation nur fördern, indem man einerseits die eigene Erstsprache als zusätzliche Fähigkeit begreift. Andererseits sollten die Inhalte etwas mit den Menschen persönlich zu tun haben: "Das größte Hindernis im Sprachenlernen ist die Entfremdung von den Lernenden: Lernen muss etwas mit einem zu tun haben, man muss es als signifikant ansehen, es muss bedeutsam und wichtig sein", erklärt Krenn.
Dieser Zielsetzung sieht sich Krenn auch in seiner Tätigkeit als Autor von Lehr- und Lernmaterialien verpflichtet: Deshalb steht am Anfang eines jeden neuen Buchprojekts die Überlegung im Zentrum, an welche Zielgruppe man sich eigentlich richtet und welche Inhalte für diese Adressatinnen und Adressaten wichtig sind. Diese Herangehensweise liegt auch dem neuesten Lehrwerk zugrunde, das im Dezember diesen Jahres erscheint und sich an Jugendliche richtet. Da sich diese Zielgruppe besonders für extreme Erfahrungen, Helden, Idole, Rätselhaftes, Wunder, darüber hinaus aber auch für die Suche nach Autorität und Wahrheit interessiert, wurden diese Inhalte in der Gestaltung des Textinputs berücksichtigt.
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