Zukunftsforscher Daniel Dettling
Liegt die Zukunft im ländlichen Raum?

Die Zukunft liegt am Land: Der Berliner Forscher Daniel Dettling setzt auf ländliche Entwicklung und digitale Teilhabe. | Foto: Dettling
  • Die Zukunft liegt am Land: Der Berliner Forscher Daniel Dettling setzt auf ländliche Entwicklung und digitale Teilhabe.
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ÖSTERREICH. Er lebt in Berlin, ist Jurist und Politikwissenschaftler und hat "re:publik", das Institut für Zukunftsforschung gegründet. Genügend Gründe also, Daniel Dettling zu fragen, wie er die Entwicklungen auf der Welt, in Europa und in Österreich sieht – wir haben ihn zum Interview gebeten.

Sie beschreiben die "Glokalisierung" (Synthese aus Global- und Lokalisierung) als neuen Trend – woran krankt die Globalisierung?
Daniel Dettling: Die Globalisierung wurde als Siegeszug der liberalen Demokratie und der liberalen Marktwirtschaft gesehen. Man glaubte, dass alle davon profitieren werden und es keine Verlierer geben wird. Es profitieren nicht alle von der Globalisierung, viele sehen sich als wirtschaftliche, soziale und kulturelle Verlierer. Die große Mehrheit der Bürger will beides: Globalisierung und lokale Verwurzelung, Heimat und Regionalität. „Glokalisierung“ ist die Antwort auf eine Globalisierung, die den Menschen das Gefühl von Kontrolle und Heimat nimmt. Die Alternative ist ein aggressiver und undemokratischer Populismus.

Wo zum Beispiel?
Vor allem in Osteuropa, besonders in Russland, aber auch in Asien. Dort meint man, dass der Markt zwar seine Freiheiten braucht, aber dass der Staat wichtiger ist als das Individuum. Dort setzt man auf Protektionismus und Populismus – denn um die Bevölkerung bei Laune zu halten, braucht es eine starke Erzählung. Ein Narrativ, das den Menschen das Gefühl gibt, dass sie Teil einer auserwählten Gemeinschaft sind. In Russland denken nach wie vor viele, dass sie Teil eines besseren Russlands sind und wollen daher nicht des dekadenten Westens sein.

Und was geschah in Europa?
Etwas, was bis dato niemand glauben wollte: Dass in einer sich zunehmend globalisierenden Welt Länder ausscheren können. Länder, die sagen, wir glauben diese Geschichte der Globalisierung so nicht mehr, dass es immer nur Gewinner geben wird und alle profitieren werden., England kämpft mit dem Brexit, die USA mit einem unberechenbaren Präsidenten Donald Trump.

Hat das mit Personen zu tun?
Ja, das lebt stark von Personen. In China weniger. Hier hat der Glaube, ein auserwähltes Volk zu sein, seinen Ursprung in dem Bild der großen Familie. In Russland hängt es aber stark an Putin, in der Türkei mit Erdogan.
Putin etwa sagt sich: Wir werden ökonomisch nie so erfolgreich sein wie der Westen. Aber wir werden alles dafür tun, dass der Westen auch verlieren wird, weniger erfolgreich sein und an seinen eigenen Werten verzweifeln wird. Das ist ihm erfolgreich gelungen, einerseits mit seinen Medienkampagnen, er ist da ja auch im Westen vertreten, etwa mit „Russia Today“ und mit Fake News, Trollen und Co., um die Öffentlichkeit zu manipulieren. Er erzählt allen, dass der Westen dekadent ist und keine Werte vertritt, es ist antiwestlich, antisemitisch, aber es wird geglaubt. Putin betont die Opferrolle und suggeriert damit, dass die russische Nation gegen den Westen zusammenhalten muss.

"Emotionen werden wichtiger als Fakten, deshalb spricht man vom postfaktischen Zeitalter. Das ist eine Gegenbewegung zu der aufgeklärten liberalen Gesellschaft."


Wie kann so etwas funktionieren? 

Emotionen werden wichtiger als Fakten, deshalb spricht man vom postfaktischen Zeitalter. Das ist eine Gegenbewegung zu der aufgeklärten liberalen Gesellschaft. Die Frage ist: Entsteht jetzt eine neue Aufklärung? Mit Hilfe der Digitalisierung etwa, mit Hilfe von neuen Gemeinschaften? Eine Aufklärung, die wärmer ist, die erste Aufklärung war ja eine sehr technokratische: Wir müssen eigentlich nur politische Freiheiten haben, eine unabhängige Justiz und eine kartellregulierte Marktwirtschaft. Das war Teil eins der Aufklärung in der Globalisierung. Die Frage ist, ob jetzt eine zweite kommt, quasi als Synthese für die Globalisierung hin zum Populismus.

Wie kann so etwas aussehen?
Das kann eine Strömung sein, in der man die soziale Frage stellen muss. Es gibt eben auch Verlierer und die müssen wir mitnehmen. Menschen in Branchen, wo die Jobs flöten gehen, es braucht konkrete Angebote an Verliererregionen. Es braucht Innovation und Umverteilung von den großen Städten in die Regionen. Das war ja der Denkfehler, dass Globalisierung automatisch zu Urbanisierung führt: Alle gehen in die Städte und haben’s dort gut, der ländliche Raum wird zu riesigen Freizeitparks – das hat sich als Irrtum herausgestellt. Die Menschen sind doch sesshafter, sind doch regionaler als angenommen.


Erhöht hat sich eigentlich nur der Pendleranteil, oder?
Genau. Weil die Menschen in den Regionen leben bleiben wollen und in die Stadt zum Arbeiten fahren. Es bleibt die eine Frage, ob man Industrie, ob man Dienstleistungen dezentralisieren, also regionalisieren kann. Die andere Frage ist, ob man im Zuge der Digitalisierung mehr von zuhause aus arbeiten kann.

Neue Arbeitsformen?
Ja, neue Möglichkeiten, Home office ist ein wesentliches Thema der Zukunft. Deutschland diskutiert gerade ein Home office-Gesetz. Vielerorts ist es derzeit ein Privileg der Eliten, der Journalisten, der Politiker, der Lehrer, die von zuhause aus arbeiten können.  Die Digitalisierung hat hier möglicherweise Antworten. In Zukunft werden immer mehr Arbeitnehmer von zu Hause oder unterwegs arbeiten können. Sie sparen so wertvolle Zeit.

Arbeitsplätze in die Region, neue Arbeitsformen?
Richtig. Die ewige lineare Urbanisierung wollen die Leute nicht mehr, sie ist auch zu teuer. Die Mieten und die Immobilienpreise steigen, der ländliche Raum wird entwertet, das wird für Unruhe sorgen.

Ist das noch umkehrbar?
Das ist wie in der Landwirtschaft, da haben wir auch vor 50 Jahren gesagt, das brauchen wir nicht mehr so stark, aber wir leisten uns das aus kulturellen und gesellschaftlichen Gründen. So ist es mit den Dörfern, dem ländlichen Raum: Wir brauchen das, wir leisten uns das, wir wollen nicht nur in Städten leben – das sind auch Sehnsuchtsorte. Daher müssen wir das ökonomisch in den Griff kriegen. Das ist eine Aufgabe der öffentlichen Hand, aus der Daseinsvorsorge wird eine Dableibe-Vorsorge. Es gibt ein Recht auf Heimat, das wird eingefordert, gerade in einer Zeit der Globalisierung und der digitalen Beschleunigung. Globalisierung wird nicht abgelehnt, aber man gibt dafür nicht seine Heimat auf, der Preis ist zu hoch.

Zwischen Stadt und Land liegen die "Speckgürtel" – wie sehen Sie das?
Den Speckgürtel müssen wir neu definieren. Einerseits erweitert er sich, andererseits wird er vom Speck- zum Sportgürtel, von dem immer mehr profitieren, wo sich immer mehr Menschen anhängen. Damit fühlt sich keine Region mehr abgehängt, sondern angeschlossen an diesen urbanen Gürtel. Die Grenzen werden fließend, der Gürtel wird zum gemeinsamen Raum.


Was sind die Aufgaben der Politik dabei?

Entscheidend sind Mobilität und Infrastruktur. Ohne digitale wird es keine soziale Teilhabe geben. Start-ups und Kreative können von den billigeren Preisen in den ländlichen Regionen profitieren. Durch die Digitalisierung können sie aus dem letzten Dorf Innovationen für die ganze Welt liefern. Regionen können sich neu erfinden und neue Wertschöpfung generieren. So etwas kann der Staat anschieben, durch steuerliche Erleichterung, durch Entbürokratisierung, durch schnelles Internet.

Welche Rolle können regionale Medien dabei spielen?
Medien wie das Ihre sind wichtige Nahversorger. Nicht nur mit Information, sondern auch mit der Vernetzung von Akteuren. Und als Plattform für Veränderung, für Wertschöpfung, für neue Bündnisse. Die Leser werden so zu Mitakteuren, zu Mitgliedern des Mediums, wo gemeinsam etwas gemacht wird. Da geht es nicht nur um Information und Konsumation, sondern auch um Kommunikation und darum Geschäfte zu machen.

Vom Redakteur zum Animateur?
Ja, zum konstruktiven Animateur, der nicht nur berichtet, sondern Anstöße liefert und wiederum wechselweise Input von den Lesern bekommt.

Wie definieren Sie konstruktiven Journalismus?

Man denkt mehr von den Lösungen her, nicht von den Problemen. Eben nicht zu schreiben, das ist das Problem und der Staat oder die Wirtschaft soll das mal lösen. Sondern die Frage zu stellen: Wie kann man das gemeinsam lösen? Da muss man die Politik ins Boot nehmen, wir haben halt nur die eine. Vielleicht verändert sie sich ja auch.


Vom Berichterstatter zum Gestalter?

Dafür braucht es einen Journalismus, der von den Regionen aus denkt und nicht von den Städten her. Beide, ländlicher Raum und urbaner Raum, haben ihre Besonderheiten und Stärken, die bewahrenswert und wichtig sind für ihre Bewohner.. Ich glaube, Innovationen, Disruptionen, Fortschritte werden künftig mehr aus dem ländlichen Raum kommen.

Wirklich?
Ja, Städte werden künftig eher zu Wohn- und kulturellen Stätten. Aber Innovationen und Produktionen finden dort immer weniger nicht statt. Weil Städte zu saturiert, zu nivelliert, zu homogen sind. Die Vielfalt im kreativen und produktiven Sinn wird im ländlichen Raum stattfinden. Schauen Sie sich an, viele Weltmarktführer jetzt schon in den Regionen zuhause sind.

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