Erinnerungskultur
Der Reichenau-Prozess 1948 im Alten Landhaus

Bei der szenischen Lesung stellten die Darsteller die Vernehmung von Werner Hilliges nach. | Foto: Land Tirol
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Der Reichenau-Prozess war einer der größten Prozesse der alliierten Nachkriegsjustiz in Österreich. Eine szenische Lesung zum Reichenau-Prozess am Originalschauplatz von 1948 im Landhaus erinnert an das Verfahren.

INNSBRUCK. Das öffentliche Interesse an der Veranstaltung „Zeitgeschichte vor Gericht. Der Reichenau-Prozess 1948 im Alten Landhaus in Innsbruck“ war so groß, dass die szenische Lesung aus dem Prozessprotokoll zwei Mal am Originalschauplatz im Parissaal stattfand. Die Schauspieler Rainer Egger und Johann Nikolussi gaben die Vernehmung von Werner Hilliges aus dem Jahr 1948, also vor genau 75 Jahren, wieder: Der frühere Gestapo-Chef von Innsbruck war in der NS-Zeit für das Lager Reichenau zuständig, wo nachweislich weit über 100 Menschen ermordet wurden oder durch unmenschliche Behandlung den Tod fanden. Vor dem französischen Militärtribunal musste sich der gebürtige Berliner dann für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, unter anderem wegen der Ermordung von Egon Dubsky verantworten. Hilliges hatte den Besitzer der ersten Tiroler Essig-, Spirituosen- und Likörfabrik im Jahr 1943 erschossen. Die Lesung fand im Zuge des Veranstaltungsprogrammes zur aktuellen Ausstellung „Vom Gauhaus zum Landhaus. Ein Tiroler NS-Bau und seine Geschichte“ statt.

Auch Zeitungsberichte aus der Zeit des Prozesses wurden gezeigt. | Foto: Land Tirol
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Der Prozess

Vor 75 Jahren fand in Innsbruck der Prozess vor dem französischen „Tribunal Supérieur“statt. Angeklagt wurden

Werner Hilliges, Gestapochef in Innsbruck von 1940 und 1944. Hilliges hat im Lager am 2.6.1943 Egon Dubsky ermordet. Dubsky wurde am 7. Februar 1897 in Innsbruck geboren. Er war der Besitzer der ersten Tiroler Essig-, Spirituosen- und Likörfabrik. Die SS verwüstete seinen Betrieb in der Pogromnacht im November 1938 und verschleppte ihn in die Heil- und Pflegeanstalt Hall. Im Mai 1943 wurde er in das Arbeitserziehungslager Innsbruck-Reichenau gebracht. Dubskys Geschichte wird auch im Raum der Namen des Holocuat Denkmals Berlin erzählt. Hilliges hat mehrfach Menschen aus dem Lager, die kein Verbrechen begannen haben und von keinem Gericht verurteilt wurden, hängen lassen. Angeklagt wurden auch Max Nedwed, Gestapocheif 1944 bis 1945, Josef Rauscher, Wachmannschaft, Mathias Köllemann, Lagersanitäter, Erwin Flach, Waffen-SS Lagerdienst, Johann Payr, Waffen-SS Lagerdienst und Hermann Harm, Wachmannschaft.

Die Urteile

Werner Hilliges wurde zu lebenslänglichen Gefängnis mit Zwangsarbeit verurteilt. Hilliges wurde am 3.12.1955 begnadigt und begann 1956 Selbstmord. Max Newdwed wurde zu 20 Jahren Gefängnis mit Zwangsarbeit. Nedwed wurde nach einer Amnestie am 14.7.1954 aus dem Gefängnis entlassen. Matthias Köllemann wurde zu 15 Jahre Gefängnis mit Zwangsarbeit verurteilt und am 26.5.1955 frühzeitig aus der Haft entlassen. Josef Rauschers Verfahren wurde vom Reichenauer-Prozess getrennt und Rauscher wurde 1949 zu einem Jahr Haft verurteilt. Erwin Falch bekam 10 Jahre Gefängnis mit Zwangsarbeit und wurde am 15.7.1952 entlassen, das Urteil für Johann Payr lautete 7 Jahre Gefängnis mit Zwangsarbeit und Payr wurde am 23.12.1950 aus der Haft entlassen, Hermann Harm bekam 4 Jahre Gefängnis mit Zwangsarbeit und wurde am 14.4.1949 frühzeitig aus der Haft entlassen.

Aufarbeitung der Geschichte

Auch LH Anton Mattle besuchte die Lesung, die von Matthias Breit, Leiter des Gemeindemuseums Absam, gestaltet wurde. Die musikalische Begleitung erfolgte durch Matthias Legner mit Kompositionen der beiden früheren Reichenau-Häftlinge Bert Breit und Peter Zwetkoff. Demnächst wird dieser Abend als Podcast des Gemeindemuseums Absam (www.absammuseum.at) zur Verfügung stehen. „Die Aufbereitung der NS-Geschichte auf unterschiedliche Art und Weise ist wesentlich, um Bewusstsein zu schaffen. Wir wollen auf Augenhöhe aufklären und bewusstmachen, wohin Intoleranz und Demokratiefeindlichkeit führen können, und uns gemeinsam gegen totalitäre Tendenzen stellen“, sagte LH Mattle. „Die Zeit hat die Gräueltaten des Nationalsozialismus verblassen lassen. Umso wichtiger ist es, dass wir mit der Ausstellung ‚Vom Gauhaus zum Landhaus‘ und den verschiedenen Veranstaltungsformaten gerade junge Menschen auf Augenhöhe erreichen“, führt der Landeshauptmann aus.

Die Veranstaltung fand im Parissaal im Landhaus statt. Auch LH Mattle war unter den Besuchern. | Foto: Land Tirol
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„Deserteure der Wehrmacht“

Die Ausstellung „Vom Gauhaus zum Landhaus“ im Landhaus 1 ist bis 4. Mai 2024 kostenfrei täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet, ausgenommen sind Sonn- und Feiertage. Zu beachten sind etwaige Schließtage rund um die Weihnachtsfeiertage. Um Wartezeiten zu vermeiden, ist für Gruppenbesuche eine Anmeldung auf der Website der Ausstellung notwendig. Unter dieser Webadresse ist auch das Vermittlungsangebot für Schulklassen abrufbar. Ebenso bis Mai 2024 läuft das Rahmenprogramm: Die erste Veranstaltung im neuen Jahr ist bei freiem Eintritt ein Vortrag des Zeithistorikers Peter Pirker über die Deserteure der Wehrmacht und ihre Helferinnen am 9. Jänner 2024 um 18 Uhr im Großen Saal im Landhaus 1.

Weitere Veranstaltungen finden sich unter www.tirol.gv.at/erinnern

Innsbruck stellt sich seiner Geschichte des Lagers Reichenau

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