Sexarbeiterinnen
"Wir waren zum Warten verdammt"

Bis 1. Juli konnten Sexarbeiterinnen nicht ihrer Tätigkeit nachgehen, aber auch danach wurde sie verunmöglicht: Es gab nicht ausreichend Termine für die gesetzlich verpflichtende sechswöchige Untersuchung und somit fehlte ihnen der Stempel im sogenannten "Deckel", der die Prostitution legalisierte. | Foto: Laiminger
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  • Bis 1. Juli konnten Sexarbeiterinnen nicht ihrer Tätigkeit nachgehen, aber auch danach wurde sie verunmöglicht: Es gab nicht ausreichend Termine für die gesetzlich verpflichtende sechswöchige Untersuchung und somit fehlte ihnen der Stempel im sogenannten "Deckel", der die Prostitution legalisierte.
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  • hochgeladen von Agnes Czingulszki (acz)

Corona ist wie ein Brennglas für unsere Gesellschaft. Auch beim Thema Sexarbeit war das zu spüren. Seit dem 1. Juli ist in Österreich die Sexarbeit wieder möglich. Eine nächste vermeintliche Verschärfung der Maßnahmen jagt den Sexarbeiterinnen aber jetzt schon einen Schrecken ein. Bei einem Gespräch, der vom ibus (Innsbrucker Beratung und Unterstützung für Sexarbeiter*innen) initiiert wurde, klärten zwei Sexarbeiterinnen über das auf, was ihnen im Lockdown widerfahren ist.

INNSBRUCK/WIEN/BERLIN. Polizeiwillkür, Existenzangst, Hoffnungslosigkeit: Mademoiselle Ruby (Berlin) und Thorja von Thardor (Wien) erzählten am Mittwoch in der Bäckerei von den Vorfällen und Ängsten, die sich unter dem Lockdown in ihrer Arbeitswelt ergeben haben. Sie sind beide nicht nur Sexarbeiterinnen, sondern auch Aktivistinnen und wollen Prostituierten, Escort-Girls und anderen, die in der Erotikbranche tätig sind, eine Stimme geben. 

Prostituierte wird zur Verkäuferin

Der Lockdown war für die meisten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eine große Herausforderung und musste oft mit viel Kreativität gelöst werden. Einzelne Sexarbeiterinnen konnten von ihren finanziellen Reserven leben, trotzdem, war die Unklarheit darüber, wann die Sexarbeit gesetzlich wieder ermöglicht wird, das größte Dilemma. Auch gab es für Sexarbeiterinnen so gut wie keine Förderungsmöglichkeit. Ihre Arbeit läuft in prekären Grauzonen, wie auch die Bezahlung und die Versteuerung. So sträuben sich viele Banken, Sexarbeiterinnen eine Kontoeröffnung zu ermöglichen – ein Beispiel für einen der vielen Gründe. In Österreich gibt es im heurigen Jahr 8.000 registrierte Sexarbeiterinnen. Die letzten Zahlen aus Tirol stammen aus dem Jahr 2007: Damals gab es 160 registrierte Sexarbeiterinnen. Zum Vergleich: 2007 waren es Österreichweit 5.150 Personen.

Die "Zwangsuntersuchung" und der "Deckel"

Österreich war zwar eines der ersten Länder, in dem ab 1. Juli die Sexarbeiterinnen wieder ihrer Arbeit nachgehen konnten, trotzdem bekam man den fahlen Beigeschmack nicht weg. "Österreich ist eines der wenigen Länder in Europa, welches eine vaginale, behördlich angeordnete Untersuchung gesetzlich vorschreibt. Diese Zwangsuntersuchung muss alle sechs Wochen vom Amtsarzt durchgeführt werden. Wer im Pass für Prostituierte, dem sogenannten 'Deckel', nicht regelmäßig die Stempel vorweisen kann, befindet sich in der Illegalität", erklärt Thorja im Gespräch. Viele Sexarbeiterinnen waren genötigt entweder Nebenjobs anzunehmen, Mademoiselle Ruby füllte Regale auf und arbeitet beim Bäcker, oder wurden in die Illegalität getrieben. "Es gab viele Anfragen auf ungeschützten Geschlechtsverkehr und viel Erpressung ist passiert", schildert die Berliner Sexarbeiterin, Ruby, im Videogespräch.

Polizei ging rigoros gegen Sexarbeiterinnen vor

Auch die Polizei ging in dieser Zeit rigoros gegen die Sexarbeiterinnen vor, kontrollierte die Straßenstriche und griff auch zu bedenklichen Mitteln. "Polizisten gaben sich als Kunden im Darknet aus und da der 'Deckel' nicht mehr gültig war, wurden die Frauen entweder zu hohen Strafen verurteilt oder in ihre Herkunftsländer abgeschoben", so Thorja. Da es bis Ende Juni keine behördlichen Untersuchungen möglich waren, war jede Sexarbeiterin in der Illegalität. Im Dschungel der Verordnungen die Grenzen zu erkennen und trotzdem arbeiten zu können, war sehr risikoreich. Es reichte als Beweis schon Kondome und Feuchttücher in der Tasche zu haben, um eine Anzeige von der Polizei zu bekommen. 

Hass im Netz gegen Sexarbeiterinnen

Die Frauen sprachen am Mittwochabend auch über den Hass im Netz, der plötzlich auf die Sexarbeiterinnen einbrach: "Ich war schockiert, wie uns die Schuld am Coronavirus in die Schuhe geschoben worden ist. Der scheußlichste Kommentar, den ich gelesen habe, war jener, der mich ans Mittelalter denken ließ, wo Prostituierte für Syphilis und Pest herhalten mussten:'Wer heute noch eine Anzeige mit sexuellen Dienstleistungen veröffentlicht, gehört an das Scheunentor genagelt.'"

Kommentar zur Diskussion

Die Diskussion bot zwar tiefe Einblicke in das Leben und die bürokratische Verunmöglichung der Sexarbeit – mit und ohne Corona – gleichzeitig ließ sie auch erahnen, was das größte Problem der Sexarbeiterinnen ist: Ihnen fehlt eine starke, einheitliche Stimme.

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