So viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie nötig
CORONA AUF RUMÄNISCH - Das Erfolgsmodell der Dezentralisierung

Foto: Harald Luckerbauer
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Rumänien hatte zu keiner Zeit die Baumärkte geschlossen. Bars und Restaurants waren zu Beginn der Pandemie geschlossen, sind aber seit dem 1. Juni 2020 bis heute durchgängig zumindest auf den Terrassen, in weiten Teilen Rumäniens auch in den Innenräumen geöffnet.

Und Not machte erfinderisch. Die Terrassen wurden mit Folien hermetisch abgeriegelt und mit Elektrostrahlern beheizt. Und weil es sich bei einer Terrasse um einen Bereich im "Freien" handelt, ist auch das Rauchen erlaubt.

Echte Lockdowns, sogenannte "Quarantänen" wurden nur auf einzelne Bezirke und Städte begrenzt, die üblicherweise nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betroffen haben und deren Ausreise aus stark betroffenen Regionen beschränken.

Momentan sind nur Timișoara, die zweitgrößte Stadt Rumäniens, und einige kleinere Gemeinden betroffen - gerade mal 2%der gesamten Bevölkerung Rumäniens. Es wird zwar einmal mehr und einmal weniger, aber die rumänische Corona-Strategie ist dezentral, sehr selektiv, und darauf bedacht unproblematischen Zonen die größtmögliche Freiheit zu gewähren. 

Im restlichen Land, in den restlichen 98% laufen die Schilifte auf Hochtouren, und Hotels dürfen Gäste unbeschränkt beherbergen. Bäder sind zwar bis auf wenige Ausnahmen, die Kinos meistens, sowie Hochzeitssäle durchgängig geschlossen. Aber Veranstaltungen waren seit neun Monaten bis 50 Personen im Freien erlaubt. Eugen, ein langjähriger Freund, konnte die Hochzeit seines Sohnes im letzten Sommer würdig und in romantischer Umgebung in einem kleinen Dorf nördlich des Mureș-Tals feiern.

Rumänien beschließt die Quarantänen je nach den Fallzahlen und nach dem individuellen Ermessen der Bundesländer. Z.B. sind hier in Orăștie alle Geschäfte, die Fitnessstudios sowie die Bars und Restaurants auf der Terrasse bis 21 Uhr geöffnet, obwohl wir uns in einer "roten" Zone befinden. Wären wir orange dürften wir auch drinnen sitzen. Und im 25 Kilometer entfernten Deva könnten wir auch im Innenraum eines Restaurants speisen - weil Deva ist nicht rot.

Timișoara ist unter "Quarantäne", aber die Einkaufszentren sind Montags bis Freitags geöffnet und waren nur zu Beginn der Pandemie für wenige Wochen geschlossen. D.h. z.B. auch alle Schuh- Kosmetik- und Kleidungsgeschäfte können während einer "Quarantäne" offen gehalten werden.

Kleine Kommunen, also Gruppen von Dörfern, haben allerdings das Problem, dass sobald auch nur ein einziger Corona-Fall auftaucht die gesamte Kommune in Quarantäne muss, da bei wenigen hundert Einwohner sofort die geforderte Inzidenz überschritten wird. D.h. man sitzt im Dorf fest und alles was einem bleibt ist der lokale Greißler.

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"Kinder sitzen mit Masken zu Hause vor den Bildschirmen, weil ihre Eltern Corona-Paranoid geworden sind"


Und nun zu den unlogischen Maßnahmen: Wie überall auf der Welt wurden auch die Schulen über lange Zeit geschlossen gehalten, und manche Kinder sind mit Masken zu Hause vor den Bildschirmen gesessen, weil ihre Eltern Corona-Paranoid geworden sind - obwohl parallel dazu Shopping-Center und Bars geöffnet waren. Wenn Eltern beginnen ihren Kindern zu Hause Masken aufzusetzen um sich selbst vermeintlich vor Corona zu schützen ist wohl einiges schief gelaufen.

Und als Kuriosität gibt es eine in den Stadtzentren großteils beachtete Maskenpflicht auf öffentlichen Bereichen, sowohl innen als auch außen. Dies sieht dann üblicherweise so aus, dass wenn man einen Bekannten auf der Straße trifft, man sich umsieht, die Maske runterzieht, sich die Hände schüttelt, und nach dem Gedankenaustausch mit aufgesetzter Maske wieder von Tannen zieht.

Oder dass eine "Batrana", eine alte Frau, mit aufgesetzter Maske mutterseelenalleine durch das halbe Dorf hinkt, um dann beim lokalen Dorfgeschäft neben einer Gruppe von sieben Männern mit 50 cm-Abstand und Bier in der Hand ein Brot einzukaufen.

An der rumänischen Grenze haben die Grenzwachebeamten bei meiner letzten Einreise keine Masken getragen - abgesehen davon, dass sie nicht einmal meinen Ausweis kontrolliert haben, geschweige mich nach meinem Gesundheitszustand befragt oder gar nach Dokumenten die mich von der vorgeschriebenen Quarantäne-Verpflichtung bei Einreise befreien würden.

Als ich auf einem Gemeindeamt nach einem bestimmten Beamten gefragt habe, gab man mir die lapidare Antwort: "Der ist krank, hat irgendwas auf der Lunge". Der Bürgermeister bei der Besprechung war sehr nett und zuvorkommend - aber ohne Maske, ebenso wie die Sekretärin. Und vom Hörensagen weiß man, dass man es dort mit der Maskenpflicht nicht ganz so ernst nimmt - wie auch in anderen Gemeinden am Land. Die Theorie und die Praxis der Maskenpflicht sind zwei sehr unterschiedliche Dinge.

Aber dafür gibt es beim örtlichen Notar einen in Desinfektionsmittel getränkten Fußabstreifer ...

...

Als ich auf einem Hügel in der Nähe eines Dorfes bei Lagerfeuer wieder einmal campen war kam um 10 Uhr abends die Dorfjugend gesammelt im Schutze der Dunkelheit vorbei, um beim Kastanienbaum am "Camp", am Rande der Äcker, eine " Fête" abzuhalten. Um vier Uhr morgens nach ausgelassenem Beisammensein bei Musik und Drunk hat sich dann die fröhliche Gruppe wieder aufgelöst.

Bei meinem Besuch eines alten Bekannten in einem Bergdorf auf 1.200 Meter Höhe ging das Gerücht herum, dass sich ein psychisch kranker Dorfbewohner aufgehängt hatte. Das war die Tatsache. Das Gerücht war, dass die Familie zwecks Deklaration als "Corona-Toter" 30 Millionen alte Lei, also umgerechnet 600 Euro bekommen haben soll. Wer Rumänien kennt, glaubt. Wer Rumänien kennt? Auf jeden Fall machen solche Geschichten mehrfach und mit ähnlichen Zahlen die Runde...

Vor vielen Jahren an einem Abend war ich mit meinem Jeep auf einer kleinen Nebenstraße unterwegs, als mich zwei Scheinwerfer aus der verkehrten Seite anleuchteten. Ein Auto hatte die Straße verfehlt und hatte eine Schneise ins Gebüsch geschlagen. Ein Auto? Es war eine Dacia 1310 Karosserie in Eigenregie auf einem ARO-Fahrwerk montiert, dem rumänischen Geländewagen, beides made in Romania aus Ceaușescu's Zeiten.

Der Fahrer sternhagelvoll, das Auto versteht sich, unangemeldet. Freundlich wie ich war habe ich den instabilen Hybrid-Wagen - der Fahrer saß konstruktionsbedingt immerhin gut einen Meter über dem Fahrwerk - wieder aus dem Graben herausgezogen. Also, alles und auch noch viel mehr ist möglich.

Vielleicht sollte man auch im Hinterkopf behalten, dass Ärzte einen "Bonus" für die Entdeckung bzw. Behandlung von Corona-Fällen erhalten. Sowohl niedergelassene praktische Ärzte als auch Spitalsärzte erhalten für rumänische Verhältnisse beträchtliche Summen - bis zu 500 Euro monatlich. Und auch dass die Bestechung von Ärzten in den Spitälern gang und gebe ist, nach dem Motto "Willst Du eine erfolgreiche Geburt, ein Kuvert hilft dabei".

...

Weiters gibt es in Rumänien eine sinn und zweck befreite Ausgangssperre ab 23:00 bis 5:00 morgens. Denn die lokalen Umtrunk-Spezialisten stehen Ausgangsbeschränkung hin oder her genau um 7:00 morgens vor dem unserer Straße gegenüberliegenden Mini-Markt, um sich den ersten Kaffee und ein Bier dazu zu kaufen. Sie sitzen dann stundenlang auf leeren Bierkisten herum und sind nach dem fünften Bier zu Mittag schon längst wieder zu Hause. Die lokalen Bars waren auch vor Corona gerade mal am Wochenende bis Mitternacht besucht. Wo ist nun der Nutzen dieser genialen Ausgangssperre?

Der Privatbereich? Das öffentliche Leben hat sich zu einem guten Teil in den Privatbereich verlagert. Die Nachbarn treffen sich nun nicht mehr über die Straße, sondern über den Hinterausgang über die Gärten genauso regelmäßig wie zuvor. Beim Einen brennt die halbe Nachbarschaft "Tuica", den rumänischen Schnapps, beim Anderen funktioniert das Fahrrad nicht und braucht dabei Hilfe, der Nächste lässt sich von einem Freund einen neun Fußboden verlegen, und last but not least bringt noch jemand Ziegenfutter vorbei.

Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass egal ob Umtrünke, Geburtstagsfeiern oder Grillparties en gros genauso wie vor der Corona-Zeit abgehalten wurden und werden, und kein Grund zum Feiern ausgelassen wird. Bis jetzt ist es mir noch kein einziges Mal untergekommen: "Wir feiern nicht, weil es Corona gibt." Kein einziges Mal.

Ein Volk dass sich durch ein halbes Jahrhundert Kommunismus durchgeschlagen hat, das nach dem Zerfall des Regimes in 89 erst richtig vom Regen in die Traufe gekommen ist, sitzt mit unverzogener Miene auf der Bank vor dem Haus.

Menschen die in Gefangenschaft aus den Knochensplittern in ihrer Suppe insgeheim Ikonen geschnitzt haben, was willst Du dem 94 jährigen Lupu, zu Deutsch Wolf, über das Leben erzählen? (Die letzten 3 Fotos im Anhang)

...

Und das Resultat im Vergleich zu Österreich oder Deutschland?

Nach drei scharfen Lockdowns steht momentan Österreich bei 95, Deutschland bei 87, und Rumänien bei 110 Corona-Toten pro 100.000 Einwohnern.

"Das Sechsfache an Gesundheitsausgaben + 3 Lockdowns = 14% weniger Tote."

Aber Österreich und Deutschland gibt für die Gesundheitmehr als 8,5%, Rumänien weniger als 5,5% des Bruttosozialproduktes aus - Österreich 8,5% aus 42.000 Euro, Rumänien 5,5% aus 11.000 Euro pro Kopf und Nase.

Also ein Verhältnis von in etwa 3.600 zu 600 Euro, dem Sechsfachen.

Das letzte Wort ist in dieser Pandemie noch nicht gesprochen, aber es erscheint nicht, dass Länder mit starken zentralisierten Beschränkungen und Lockdowns wie Österreich oder Deutschland gegenüber Ländern mit geringen, dezentralisierten Beschränkungen wie Rumänien oder Schweden die Nase vorn haben werden.

Die Dezentralisierung der Maßnahmen nach Inzidenzen könnte sich als der Schlüssel zum Erfolg bei der Bekämpfung und Einschränkung der Corona-Pandemie herausstellen:

"So viel Freiheit wie möglich,
so viel Einschränkung wie nötig"

war die Parole im April des letzten Jahres. Und auch dieForderung am Neujahrstag 2021 "Nicht jeden Todesfall per Gesetz verhindern" zu wollen. Was ist daraus geworden?

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Copyright © Harald Luckerbauer 2020
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