Die Welt ist eine Zweierbeziehung

Bachbett Ehrenhausen | Foto: KK
2Bilder

Die Liebe bekommt einen neuen Stellenwert, nicht nur zwischen Mann und Frau, sondern zu allen Menschen auf der ganzen Welt. Eine Heimbewohnerin erzählt.

Seit einem Monat ungefähr hat uns der Coronavirus auch in Österreich fest im Griff. Fast über Nacht hat sich für uns alles verändert. Der Virus, deren Ausmaß uns in den ersten Tagen noch nicht so bewusst war, ist sehr sensationsgeil. Bevor er noch richtig ausgebrochen war, die Bundesregierung in Pressekonferenzen Maßnahmen für ihr Land Österreich erteilte, hielten es viele Menschen für eine Panikmache. Wir im Heim wurden auch mit Einschränkungen konfrontiert, an die sich alle Heimbewohner bis heute zu halten haben. Kein Besuch, Ausgangssperre, 1,5 Meter Abstand halten zu allen anderen Personen. Somit ist unsere Freiheit nun sehr eingeschränkt. Kein Händedruck, keine zärtliche Berührung, mir blieb lediglich meine Katze für Streicheleinheiten. Dann passierte mir noch mein Sturz, wo ich mir meine rechte Schulter gebrochen habe. Für irgendetwas muss das auch einen Sinn haben, dass mir das gerade am Freitag den 13. passiert ist, als auch die Maßnahmen in den Krankenhäusern festgelegt wurden. Ein Unglück kommt selten alleine. An diesem Tag starb auch noch Franziska, die mich seit meinem 25. Lebensjahr begleitet hat und die zweitwichtigste Frau in meinem Leben war. Sie war eigentlich immer für mich da und der stete Wunsch, so eine fürsorgliche Mutter zu haben, die mir so viel Liebe gibt, erfüllte mir Franziska. Vom 13. März an, dem Freitag als ich stürzte und Franziska auch starb, bis heute zum Ostermontag, war eine sehr kurzlebige Zeit und durch diese Umstände sehr intensiv, sodass sich eigentlich wenige Momente fanden, um um Franziska zu trauern. Erst jetzt allmählich wechseln sich das Gefühl von Traurigkeit und Dankbarkeit ab und es ist so, als wäre sie noch da. Ihr Spruch war immer: „Die Toten sind unter uns!“ Der Virus hat mittlerweile viele Opfer auf der ganzen Welt gefordert und ein Ende der Pandemie ist nicht abzusehen. Weltweit werden die Menschen dazu angehalten, in ihren Häusern oder in ihren Wohnungen zu bleiben, um nicht andere anzustecken oder sich selbst zu infizieren. Krankenhäuser sind überfüllt, Ärzte und Schwestern an ihren Grenzen angelangt, die Menschen rund um den Erdball im Ausnahmezustand. Bilder fliegen an mir vorbei, die ich in den Medien gesehen habe. Massengräber, wo man die Menschen in Plastik eingepackt, in lange Gräben hineinwirft und schnell mit Erde bedeckt. Lastwägen im Konvoi fahren mit den Verstorbenen zu den überfüllten Krematorien, der Virus nimmt dem Menschen im Tod noch die Würde. Die überleben, sind teilweise im Hausarrest, nur Lebensmittelgeschäfte sind geöffnet. Langsam scheint auch die Wirtschaft zusammen zu brechen. An die Spätfolgen dieser Pandemie wagt keiner noch so recht zu denken. Ich kann es auch nicht, weil wir noch mittendrin sind, es leider nun auch schon wie eine Alltagssituation wird. Das ist gefährlich, weil die Menschen leichtsinnig werden und unvorsichtig. Manche muss man zwischendurch immer wieder wachrütteln, um die Intensität dieser unsichtbaren Gefahr von neuem bewusst zu machen. Wir sind jeden Tag mit dem Wettlauf der Angst und dem Versuch, am Fluss des Lebens teilzunehmen, konfrontiert. Im Wohnheim bestellt das Personal für uns einmal in der Woche besondere Lebensmittel, eigentlich Genussmittel, weil wir kein Bargeld haben, aber auch gar nicht einkaufen gehen dürfen. Auf einem Bestellschein können wir ankreuzen, was wir haben möchten. Die Auswahl ist nicht groß, aber trotzdem sehr begehrt. Bei dem Angebot befinden sich Schokolade, verschiedene Kekse, Salzgebäck, Getränke, die wir sonst nicht haben, wie Cola, Fanta, Orangensaft, Energiegetränke, Haltbarmilch, Kaffee und Pflegeprodukte. Von diesen Artikeln kann man jeweils zwei Stück, gegen Abbuchung von unserem Konto, bestellen. Das erinnert mich an meine Großmutter, wenn sie mir vom Krieg erzählte. Damals war sie noch ein eine junge Frau, als die Amerikaner, die Carepakete mit Lebensmitteln an die Europäer verteilten. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Aufbauprogramm nach dem Marshallplan. Obwohl wir jetzt nicht Hunger leiden müssen, haben diese Lebensmittel, die nebenbei bestellt werden, eine große Bedeutung für uns, so mancher verändert seine Einstellung zu seinem eigenen Konsum.Wir haben gelernt, wieder zu beten und auf den Nächsten zu schauen. Wie geht es dem Nachbarn, den ich durch die Anhaltung zu Hause, nur mehr vom Balkon aus, zuwinken kann? Gehört er vielleicht zur Risikogruppe und darf nicht einmal einkaufen gehen? Hat er genug zu essen, kann ich etwas tun für ihn? Telefone laufen heiß, Oma und Opa dürfen ihre Enkel nicht sehen, Kindergeburtstage werden nicht gefeiert, Tränen in den Augen der Kleinen, weil sie es nicht verstehen können. Der Mundschutz wird zum täglichen Accessoire und keiner regt sich mehr über eine Burka auf. Trotz Sicherheitsabstand sind sich die Menschen nun euphorisch nah, wie nie zuvor und eine Welle der Solidarität herrscht zwischen den Ländern. Am Anfang sagte man noch: „Hoffentlich geht er bald vorbei, dieser „Scheiß Virus!“ Doch jetzt haben wir Respekt vor ihm. Er macht etwas mit uns. Er lehrt uns etwas. Die Augen zu öffnen und sichtbar werden lassen die Dinge, die übrig bleiben, wenn man mit Geld nichts mehr anfangen kann, weil die Gesundheit nicht käuflich und der Virus nicht bestechlich ist. So beherrscht er uns, weil die Menschen immer glaubten, dass sie beinahe unbesiegbar sind und alles steuern können. In den eigenen vier Wänden, wo wir beinahe verdammt sind, uns ausschließlich aufzuhalten, wo uns schon die Decke auf den Kopf fällt, wir wie Fische nach Luft schnappen, haben wir genug Zeit, um nachzudenken, über das Leben, über den Tod. Wir fokussieren die Liebe wieder in die Mitte unseres Daseins. Wie gerne würden wir jetzt jemanden umarmen, wie gerne würden wir jemanden küssen, den wir lieben? Die digitale Welt erlaubt uns den Griff zum Telefon. Obwohl unsere Freunde, unsere Familien vielleicht räumlich weit entfernt von uns sind, spüren wir eine nie gekannte intensive Nähe. Auch zwischen den mir unbekannten Menschen, mit denen ich telefoniere, tut sich sofort eine Vertrautheit auf und es ist, als würde ich sie schon ewig kennen. Der neue Gruß ist: „Bleiben Sie gesund!“ Man spürt ein Lächeln am anderen Ende. Das ist nur meine Erfahrung, was der Virus aus uns gemacht hat. Es ist eine schöne und eine gute Erfahrung, solange man sich nicht selber infiziert und daran sterben kann. Die meisten Infizierten überleben, wenn sie nicht gerade zur Risikogruppe zählen.

Die ersten Blumen blühen, die Natur erwacht

Im Zeichen von Covid 19 dürfen die Heimbewohner nur ein paar Schritte vor das Haus gehen. Die kurzen Augenblicke auf unserer Terrasse, wo ich meinen Kopf der Sonne entgegenstrecke, bleiben lange, bis in die späten Abendstunden hinein, präsent. Ein kostbarer Moment der Freiheit, mein Haar zersaust vom Wind, dieser Moment nährt sich beinahe hin, bis zur Ewigkeit. Die Wahrnehmung ist intensiver geworden, das Fühlen, das Riechen, das Beobachten, das Hören hat eine andere Dimension bekommen. Und unweit von uns, erwacht fast unbemerkt der Frühling ...

Viele Menschen auf der ganzen Welt machen sich nun Gedanken, was wird sein, wenn der Virus sich verabschiedet, vielleicht in der Sonne verglüht, weil er in der Wärme keine Chance hat. Er wird uns viel hinterlassen. Sehr viel Gutes, nämlich gesellschaftlich, aber auch sehr viel Schlechtes, wirtschaftlich. Er löste in uns einen Lern- aber auch einen Reifungsprozess aus. Er führte uns das Wesentliche vor Augen, er half uns, Schätze in uns auszugraben, die verborgen und verschlossen schienen. Es ist das, was alle haben wollen, brauchen, um leben zu können, jetzt erst merken, wie es ist, wenn man es nicht hat, nämlich Zärtlichkeiten, Berührungen, ein Kuss, umgeben sein von der Familie, den Freunden, nicht allein zu sein, nicht Menschen zu verlieren. Plötzlich wird uns bewusst, wie wichtig soziale Kontakte sind, weil wir nun von ihnen getrennt sind. Die Liebe bekommt einen neuen Stellenwert, nicht nur zwischen Mann und Frau, sondern zu allen Menschen auf der ganzen Welt, weil sie es doch ist, um in uns eine positive Schwingung zu bringen. Diese positive Schwingung weitergeben wie bei einem Fackellauf könnte eine Kettenreaktion auslösen und ein höheres Bewusstsein schaffen, sodass jede Begegnung mit so einem Menschen etwas Erfüllendes wird. Trotz Bescheidenheit schätzt man das Leben mehr, fokussiert sich auf Dinge, von denen man träumt, nicht unbedingt auf Materielles, das man unbedingt haben möchte, um dem Prestige zu entsprechen. Die Natur wird mehr geachtet, man geht vorsichtiger mit ihr um. Behutsam sein mit den Mitmenschen, mit sich selber, mit der Flora und der Fauna, Geduld zu haben. Für wie lange kann man diesen Zustand, diese beinahe euphorische Liebe zum Leben halten, nachdem wir so einen „Denkzettel“ verpasst bekommen haben, der uns in einen Schockzustand gebracht hat? Ich bezweifle, nicht für immer, auch wenn ich es mir wünschen würde. Das ist gar nicht möglich, weil der Mensch einfach nicht dazu konzipiert ist. Er wird zwar geläutert aus dieser Coronakrise hervorgehen, hat viele Gedanken ins Positive verwandelt und wird das wahrscheinlich auch lange leben können. Vielleicht ist es nun sogar eine Art Mutation des Homo Sapiens? Diese positive Schwingung wird er nicht immer halten können, das Leben ist Ying Yang. Die Welt ist wie eine Zweierbeziehung und unterliegt auch einem Stimmungsbarometer. Man vergleiche es mit einem Liebespärchen. Zwei, die sehr verliebt sind, können ewig verliebt sein und sich immer lieben, ihre Liebe kann mit der Zeit noch wachsen. Es wird sicherlich manchmal Auseinandersetzungen, sogar Streit geben, doch man versöhnt sich wieder. Das ist nun eine Darstellung von einer Traumbeziehung, durchaus erstrebenswert, aber für viele nicht nachvollziehbar und lebbar, sei es durch Prägungen, weil Partner sich schnell bzw. wegen Kleinigkeiten schon trennen. Das ist die Generation von heute. Die Schönheit spielt nun keine Rolle mehr, sondern nur die Herzenswärme und eine gewisse emotionale Intelligenz. So wird die Welt nach dem Coronavirus, hoffentlich lange, eine Bessere sein. Sonst wird der nächste Denkzettel vielleicht ein riesiger Komet werden, wo die Erde verglüht, oder vielleicht brauchen wir noch andere sanftere Denkanstöße, wenn nicht jetzt, sondern um überhaupt einmal aufzuwachen, um zu realisieren, was man Mutter Erde eigentlich angetan hat – und das in jeder Beziehung! Wir müssen uns vornehmen, die positive Energie lange oben zu halten, schätzen, was der Virus uns für eine Zeitlang genommen hat. Genießen einen Spaziergang in den Auen, beobachten die Tiere und sie dort lassen wo sie sind, pünktlich beim Rendezvous erscheinen, der Respekt und die Zeit sind kostbar und sage zu den Menschen, was du vorher nie gesagt hättest. Umarme deine Brüder, deine Schwestern, wie noch nie zuvor ist uns so bewusst geworden, dass wir alle gleich sind und uns in derselben Arche befinden. Wenn kein Geschäft mehr offen ist, kein Restaurant, kein Urlaub mehr möglich, dann hat das Geld seinen Wert verloren! Was bleibt über? Die Zweierbeziehung der Welt, wo man sich liebt, ab und zu streitet und sich wieder versöhnt.

Geh hinaus in diese Welt, geh hinunter zum glasklaren See, tauche ein Deine müden Füße ins kalte Wasser. Das Prickeln lässt Dich äußerlich zum Leben zurückfinden und ist Ersatz für alles, worauf Du verzichten musstest. Schau ins klare Wasser, es spiegelt Dir die Wahrheit, denn Du bist eine andere geworden ...

Verfasst von Heidemarie Ithaler-Muster

Bachbett Ehrenhausen | Foto: KK
Kumberg | Foto: KK
Push-Nachrichten auf dein Handy
MeinBezirk.at auf Facebook verfolgen
Die Woche als ePaper durchblättern
Newsletter deines Bezirks abonnieren

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Die Gemeinde St. Andrä-Höch.  | Foto: Gemeinde
7

Ortsreportage
St. Andrä-Höch stellt die Weichen für die Zukunft

Die Gemeinde St. Andrä-Höch blickt in die Zukunft und gibt der Tradition dabei viel Raum, wenn es um Infrastruktur, Veranstaltungen und Visionen geht.  An kommunalen Einrichtungen der Freiwilligen Feuerwehr und der Volksschule St. Andrä-Höch wurde eine neue Photovoltaikanlage angebracht, um die Institutionen mit nachhaltigem Strom zu versorgen und um für den Ernstfall vorzuplanen. Die Leistung der beiden Anlagen betragen zusammen 23 KWp. Die Gemeinde sieht die Errichtung der Photovoltaikanlage...

  • Stmk
  • Leibnitz
  • Kerstin Reinprecht
Anzeige

Baureportage E.N.G.E.L. in Arnfels
Elektro Lang setzt Meilenstein auf dem Weg in die Energieautarkie

Nach knapp einem Jahr Bauzeit eröffnet Elektro Lang am 27. April den neuen Firmenstandort in Arnfels. Das Energiegebäude Lang - kurz E.N.G.E.L. - setzt einen neuen  Weg in die Energieautarkie. ARNFELS. Erst knapp vor einem Jahr erfolgte inmitten einer Gemeinschaft engagierter Gäste und Pioniere aus der Green-Tech-Branche in Arnfels die feierliche Grundsteinlegung für das neue Energiegebäude von Elektro Lang. Dieser Tag markierte nicht nur einen weiteren historischen Meilenstein in der bewegten...

  • Stmk
  • Leibnitz
  • Patricia Reiterer
Anzeige
Die Wallfahrtskirche in St. Veit am Vogau ist ein Wahrzeichen des Ortes und wird gerade saniert.  | Foto: Gemeinde
7

Orsreportage
Wachstum und Begegnung in St. Veit in der Südsteiermark

Die Marktgemeinde St. Veit in der Südsteiermark wächst und damit geht viel Potential für die Bevölkerung einher. ST. VEIT IN DER SÜDSTEIERMARK. Ein großes Bauprojekt ist die Erweiterung des Bauhofes in St. Veit und der zweiten Kinderkrippengruppe, die im Herbst eröffnet wird. "Es ist wichtig, ressourcenschonend zu arbeiten und achten darauf, dass keine zusätzliche Fläche verbaut wird. Für den Bau der Kinderkrippengruppe nutzen wir dafür die Synergien, um keine weiteren Flächen zu versiegeln",...

  • Stmk
  • Leibnitz
  • Kerstin Reinprecht

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.