Antisemitismus-Bericht
Alarmierende Situation auch in der Steiermark

Nimmt auch in Graz und der Steiermark einen Anstieg antisemitischer Vorfälle wahr: Elie Rosen, Präsident der Jüdischen Gemeinde Graz.  | Foto: Jüdische Gemeinde Graz
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Der jährliche Antisemitismus-Bericht der IKG Wien weist für das Jahr 2021 mit 965 gemeldeten Vorfällen einen neuen Negativrekord aus. In der Steiermark ereigneten sich 2021 allein im öffentlichen Raum 23 Fälle, die Dunkelziffer dürfte allerdings weitaus höher sein. MeinBezirk.at hat mit Elie Rosen, dem Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Graz, über die Situation in Graz und der Steiermark gesprochen. 

GRAZ/STEIERMARK. Im Jahr 2021 wurden der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien insgesamt 965 antisemitische Vorfälle gemeldet, was im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um 65 Prozent bedeutet. Seit Beginn der Dokumentation vor 20 Jahren wurden noch nie so viele Fälle verzeichnet.

Das Jahr 2021 lieferte einen erschreckenden Höchstwert.  | Foto: Antisemitismus Meldestelle/IKG Screenshot
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Höchstwerte im Mai und November 

Eine nach Monaten differenzierte Auswertung der Meldungen zeigt, dass sich im Mai und November 2021 mit 167 bzw. 113 Fällen besonders viele antisemitische Vorfälle ereigneten. Der Negativrekord im Mai ist vor allem auf die militärische Eskalation zwischen palästinensischen Terrororganisation in Gaza und dem Staat Israel zurückzuführen, weshalb in diesem Zeitraum vor allem die Ausprägungsform des israelbezogenen Antisemitismus dominierte.

Demgegenüber standen die Zwischenfälle im November vorwiegend mit den neuen Corona-Schutzmaßnahmen und der angekündigten Impfpflicht in Zusammenhang. 

Gesteigertes Aggressionspotenzial, hohe Dunkelziffer

In der Steiermark und in Graz ist ebenso ein deutlicher Anstieg antisemitischer Vorfälle zu beobachten, wie der Präsident der Jüdischen Gemeinde Graz Elie Rosen im Interview mit MeinBezirk bestätigt. Besonders der offensiv nach außen getragene Antisemitismus, der sich nunmehr sogar aggressiv gegen Besucherinnen und Besucher jüdischer Einrichtungen richtet, habe in den letzten Jahren massiv zugenommen.
Auch vor der Grazer Synagoge lässt sich diese gesteigerte Bereitschaft zu gewalttätigem Verhalten trotz Polizeipräsenz beobachten, wie Rosen schildert: "Man würde eigentlich eine gewisse Vorsicht erwarten, wenn Polizei da ist, aber die Hemmschwelle der Personen, von denen das ausgeht, ist deutlich gesunken. In den Jahren davor gab es solche Vorfälle nicht."

Besonders viele Fälle ereigneten sich im Mai und November 2021.  | Foto: Antisemitismus Meldestelle/IKG Screenshot
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Gleichzeitig sei im Umgang mit absoluten Zahlen, wie sie der Antisemitismus-Bericht der IKG liefert, stets Vorsicht geboten. Denn gerade in der Steiermark erlebe Rosen, dass zahlreiche Fälle nicht gemeldet werden, weshalb sich beispielsweise Beleidigungen gegenüber Privatpersonen kaum statistisch abbilden lassen. Zudem müsse man berücksichtigen, "dass Antisemitismus nicht nur dort stattfindet, wo Jüdinnen oder Juden präsent sind", da Diskriminierung auch ohne direkt Betroffene zutage treten könne. 

Israelbezogener Antisemitismus dominiert

Die im Antisemitismus-Bericht der IKG ausgewiesene Verteilung, welcher zufolge mit 48 Prozent beinahe die Hälfte aller antisemitischen Vorfälle auf Personen aus der gesellschaftspolitischen Rechten, dem Rechtsextremismus oder dem (Neo-)Nazismus zurückzuführen ist, lässt sich nicht auf Graz übertragen. Stattdessen dominiert Rosen zufolge in der Landeshauptstadt seit Jahren ein israelbezogener, muslimischer Antisemitismus, wohingegen der rechte Antisemitismus aus der klassischen Neonazi-Szene verschwindend gering sei. Dieser muslimisch geprägte Antisemitismus dürfe jedoch keinesfalls mit der Islamischen Religionsgemeinschaft Graz gleichgesetzt werden, die solchen Entwicklungen durchaus entgegenzuwirken versucht. 

Hinsichtlich des ideologischen Hintergrunds unterscheidet sich die Steiermark vom Österreichtrend: In Graz nimmt der muslimische Antisemitismus traditionell eine dominantere Rolle ein.  | Foto: Antisemitismus Meldestelle/IKG Screenshot
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Die während der Corona-Pandemie wieder hervorgetretenen "Verschwörungstheorien" bezeichnet Rosen hingegen als Erscheinung, die keinem politischen Lager eindeutig zugeordnet werden könne. Zudem seien diese Ausprägungsformen schwierig zu erfassen, da sie sich selten direkt gegen Individuen richten: "Verschwörungstheorien sind allgemein gehalten, sie sind schwer greifbar, aber treten gerade im Verbalen stark zutage", so Rosen.

Ähnlich dürften sich die aktuell wahrnehmbaren sozialen und politischen Unsicherheiten auswirken, welche die Suche nach Sündenböcken befördern. Angesichts der größer werdenden sozialen Kluften sei gerade hier die reale Gefahr einer weiteren Verschärfung gegeben, wie Rosen darlegt: "Daraus ergeben sich Stigmata, Diskriminierungen und eine Konzentration von Aggression, die sich verstärkt auf Minderheiten und immer auch auf Jüdinnen und Juden niederschlägt." 

Prävention braucht Zeit 

Infolge mehrerer Angriffe auf die Grazer Synagoge im Jahr 2020 wurde von der Stadt Graz gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde ein mehrjähriges Maßnahmenpaket entwickelt, das unter anderem einen verstärkten Wachschutz für die Synagoge und eine Bildungs- und Präventionsoffensive inklusive der App "Jewish Guide Graz" beinhaltet.

Knapp zwei Jahre später resümiert Rosen, dass sich der Objektschutz bewährt habe und zur Gänze erfüllt werde. Darüber hinaus bezeichnet er die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden in der Steiermark als "vorbildlich". Die ebenfalls gestartete Präventionsoffensive könne hingegen nur langfristig wirken: "Wenn Vorurteile über Jahrhunderte tradiert werden, sind die nicht mit gerade gestarteten Maßnahmen wegzubekommen. Auch wird man einen 55-jährigen Antisemiten mit gefestigten Vorurteilen gegenüber Jüdinnen und Juden nicht durch Wissen über die jüdische Religion zum Philosemiten bekehren."

Zielgruppe des Programms sind daher Kinder, hier soll gemeinsam mit der Schule ein Beitrag zum Abbau von Vorurteilen und zum Aufbau der Bereitschaft zur Begegnung geleistet werden. Angebote, wie beispielsweise der Besuch in der Synagoge, werden auch sehr gut angenommen, vor allem von Schulen außerhalb von Graz. 

Extremismusbericht noch ausständig 

Als eine weitere Maßnahme gegen den Antisemitismus wurde vom Land Steiermark und der Stadt Graz ein jährlicher Extremismusbericht angekündigt, der für 2021 allerdings noch nicht veröffentlicht wurde.

Auf Nachfrage von MeinBezirk gab die Antidiskriminierungsstelle Steiermark jedoch an, dass im Jahr 2021 insgesamt 23 antisemitische Vorfälle im öffentlichen Raum gemeldet wurden. Dabei handelte es sich um Beschimpfungen, Beschmierungen oder auch Körperverletzungen. Weitaus mehr Zwischenfälle spielten sich demgegenüber im digitalen Raum, insbesondere auf Social Media, ab.

Im ersten Quartal 2021 gingen über die BanHate-App bereits 100 Meldungen antisemitischer Vorfälle ein.  | Foto: Land Steiermark/Drechsler
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Solche Beiträge und Postings werden in der Steiermark mithilfe der BanHate-App, einer App zum Melden von Hasspostings aller Art, erfasst. Allein für das erste Quartal 2021 weist die BanHate-Statistik eine Gesamtzahl von 100 Vorfällen im digitalen Raum aus, die entsprechend der IHRA-Defintion als antisemitisch gelten. Die Dunkelziffer dürfte, wie bei all den genannten Datensammlungen, allerdings auch hier weitaus höher sein.

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