Nachbarschaft in der Steiermark
Wie ein "Hallo" Welten verbinden kann

- "So nah und doch so fern." Nachbarschaft lässt sich unterschiedlich definieren und ausleben - die Steirerinnen und Steirer bleiben häufig anonym.
- Foto: Daniel von Appen/Unsplash
- hochgeladen von Antonia Unterholzer
Wer sind eigentlich unsere Nachbarinnen und Nachbarn? Warum ist das Thema Nachbarschaft weit mehr als Privatsache – und wie leben die Steirerinnen und Steirer das Miteinander mit ihren Nächsten? Zum "Tag der Nachbarschaft" am 23. Mai hat MeinBezirk mit Katrin Kraus vom Servicebüro "Zusammenwohnen" über ein scheinbar alltägliches Thema mit großer gesellschaftlicher Bedeutung gesprochen.
GRAZ. Ein freundliches "Guten Tag" im Stiegenhaus, ein geliehenes Packerl Milch oder ein kurzer Plausch am Gartenzaun – Nachbarschaft ist für einige ein selbstverständlicher Teil ihres Alltags. Für Andere wird das nachbarschaftliche Zusammenleben erst dann spürbar, wenn es zu laut wird oder andere Streitereien auftreten. Und für viele spielen ihre Nachbarinnen und Nachbarn gar keine Rolle in ihrem Lebensumfeld.
Für Katrin Kraus vom steirischen Servicebüro "Zusammenwohnen" sind Nachbarschaften weit mehr als bloße Wohnorte. Sie sieht in ihnen "Mikrogesellschaften", in denen sich unser Miteinander im Kleinen spiegelt – mit Konflikten, Zusammenhalt und Vielfalt. Zum Tag der Nachbarschaft spricht MeinBezirk mit ihr über das soziale Potenzial von Nachbarschaft, Herausforderungen in der Steiermark und warum es manchmal nur ein freundliches "Hallo" braucht, um Welten zu verbinden.

- Katrin Kraus (l.) sieht in Nachbarschaft weit mehr als das bloße Nebeneinanderwohnen. Gemeinsam mit Claudia Hartmann (r.) leitet sie das steirische Servicebüro "Zusammenwohnen".
- Foto: Servicebüro Zusammenwohnen
- hochgeladen von Antonia Unterholzer
Servicebüro Zusammenwohnen
Das Servicebüro Zusammenwohnen ist ein vom Land Steiermark gefördertes Projekt, das seit 2013 Maßnahmen und Angebote für ein gutes nachbarschaftliches Miteinander entwickelt. Getragen von den gemeinnützigen Bauvereinigungen in der Steiermark unterstützt es das Zusammenleben vor allem im mehrgeschossigen Wohnbau. Mehr Infos: zusammenwohnen.at.- Nachbarschaft ist so ein geläufiger Begriff, aber wer sind eigentlich laut Definition unsere Nachbarinnen und Nachbarn?
Katrin Kraus: Was genau Nachbarschaft ist, lässt sich gar nicht so leicht festlegen. Ist es die Wohnungstür nebenan? Die ganze Stiege? Oder vielleicht ein ganzes Haus, ein Straßenzug, wie man es von Nachbarschaftsfesten kennt? Das wird sehr individuell festgelegt - wir sehen quer durch die Steiermark, dass Nachbarschaft ganz unterschiedlich gelebt und verstanden wird.
- Wenn man an nachbarschaftliche Beziehungen denkt, kommt einem oft das Bild von einer Art "dörflichem" Zusammenleben in den Sinn. Unterscheidet sich das Verständnis von Nachbarschaft im städtischen von jenem im ländlichen Raum?
Im städtischen Bereich haben wir deutlich mehr verdichteten, mehrgeschossigen Wohnbau – und das wirkt sich natürlich auf die Kontaktintensität aus, die dort dann meist geringer ist als am Land. Trotzdem beobachten wir auch im ländlichen Raum eine Art Urbanisierung, was Konfliktverhalten betrifft. Konflikte werden zunehmend anonymisiert oder ausgelagert, anstatt – wie man es sich vielleicht vorstellt – direkt an der Haustür gelöst zu werden.
- Warum ist es nicht nur für mich persönlich gut, wenn ich mich mit meinen Nachbarinnen und Nachbarn austausche, sondern auch für alle anderen?
Wir sehen Nachbarschaften als kleinteilige Strukturen, eigentlich wie Mikrogesellschaften. Jedes Haus, jede Siedlung ist ein kleines Abbild unserer Gesamtgesellschaft. Gerade im mehrgeschossigen Wohnbau, wo viele unterschiedliche Menschen auf engem Raum zusammenleben, zeigt sich: Wenn das Miteinander im Kleinen gut funktioniert, kann das auch auf das größere Ganze ausstrahlen. Denn in einer funktionierenden Nachbarschaft lernt man etwa Rücksichtnahme, Toleranz und den Umgang mit unterschiedlichen Lebensstilen.

- In vielen Nachbarschaften gibt es kaum Begegnungsmöglichkeiten, man geht sich aus dem Weg. Im Stiegenhaus dann doch kurz stehenzubleiben und zu plaudern kann laut Expertin schon viel bewirken.
- Foto: Alexander Mass/Unsplash
- hochgeladen von Antonia Unterholzer
- 2024 hat das Servicebüro eine Erhebung zur Nachbarschaft in der Steiermark in Auftrag gegeben. Leben wir hier bereits ein gutes Miteinander mit unseren Nachbarinnen und Nachbarn?
Zehn Jahre nach dem ersten Nachbarschaftsbarometer hat uns überrascht, wie zufrieden viele Menschen in der Steiermark mit ihrer Nachbarschaft sind – trotz der vielen Krisen und Negativschlagzeilen der letzten Jahre. Gleichzeitig zeigt sich aber auch deutlich, dass die Anonymisierung zugenommen hat: Immer mehr Menschen kennen ihre Nachbarinnen und Nachbarn nur noch vom Sehen. Das kann langfristig zu weniger sozialen Kontakten und zu Vereinsamung führen – besonders bei älteren Menschen.
Nachbarschaftsbarometer 2024
-
Im Jahr 2014 wurde letztmals die Qualität des nachbarschaftlichen Zusammenlebens in der Steiermark ermittelt. 2024 wurde eine neue Umfrage unter einer repräsentativen Stichprobe von 600 Menschen über 14 Jahren in der Steiermark durchgeführt.
- Es gibt wenige Konflikte in der Nachbarschaft: 41 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie gar keine Konflikte mit ihren Nachbarinnen und Nachbarn haben.
- Wenn es Konflikte gibt, dann ist unter anderem der Lärm Auslöser dafür – in 29 Prozent aller Fälle.
- Rund die Hälfte (52 Prozent) gibt an, dass sie Konflikte in Eigeninitiative lösen. 2014 hat dies nur ein Drittel angegeben. 27 Prozent wenden sich in solchen Fällen an die Hausverwaltung.
- Zwei Drittel aller Befragten bezeichnen die Hilfsbereitschaft in ihrer Nachbarschaft als "gut″ oder sogar "sehr gut″
- 52 Prozent gaben an, dass sie mit "manchen Nachbarn plaudern, wenn wir uns begegnen". Ein Drittel (32 Prozent) kennt seine Nachbarinnen und Nachbarn "eigentlich ganz gut". Jeder fünfte Befragte „trifft sich regelmäßig auch privat". Allerdings: Fast verdoppelt hat sich seit 2014 der Anteil von Personen – von zwölf auf 22 Prozent - die ihre Nachbarinnen und Nachbarn "eigentlich nur vom Sehen kennen″.
- Wie kann man dabei unterstützen, eine "gute" Nachbarschaft herzustellen?
Man kann Impulse für nachbarschaftliches Miteinander setzten – etwa durch Förderungen für Gemeinschaftsprojekte, Veranstaltungen oder Nachbarschaftsfeste. Wir unterstützen außerdem auch bei Konflikten etwa zu Lärm, Müll oder Tierhaltung. Im Zentrum steht aber immer die Eigenverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner: Nachbarschaft gelingt nur, wenn Menschen bereit sind, sich einzubringen. Gute Nachbarschaft bedeutet außerdem für jeden etwas anderes. Ob man viel Kontakt möchte oder lieber für sich bleibt, verändert sich auch oft mit dem Lebenszyklus, also ob jung, mit Familie oder im Alter. Und das ist völlig in Ordnung.
- Zum Abschluss eine praktische Frage: Welche drei Dinge kann jede und jeder tun, um das Miteinander in der Nachbarschaft zu verbessern?
Voraussetzung ist einmal, dass man vorurteilsfrei aufeinander zugeht. Man hat sehr schnell ein Bild davon im Kopf, was da passiert in der anderen Wohnung und da ist es dann wichtig sich ins Gedächtnis zu rufen, ich weiß das ja gar nicht, und wertfrei zu bleiben. Außerdem: In vielen Häusern fehlt es an Begegnungsräumen. Kontakte entstehen kaum, weil man sich im Lift oder in der Tiefgarage dann auch eher aus dem Weg geht. Im Stiegenhaus dann doch kurz stehenzubleiben und zu plaudern, sei es nur ein nettes Hallo, macht schon ganz viel aus. Weil man dann einfach ein Gesicht zu seinen Nachbarinnen und Nachbarn hat. Und was natürlich immer gut ist, sind Nachbarschaftsdienste - zu unterstützen, wenn jemand Hilfe braucht. Also eigentlich eh alles sehr selbstverständliche Dinge.
Das könnte dich auch interessieren:



Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.