Verwundbare Gesellschaft
Armutsnetzwerk zeigt Risse in der Krisenfestigkeit auf
Die Corona-Pandemie hat uns deutlich vor Augen geführt, wie verwundbar unsere Gesellschaft ist und welche Menschen davon besonders betroffen sind. Unsere Zukunft steckt nicht zuletzt durch die Klimakrise und durch den Krieg in der Ukraine voller Herausforderungen, die gerade Menschen mit Armuts- und Ausgrenzungserfahrungen besonders stark spüren.
STEIERMARK. Eine faire Gesellschaft ist nur so stark wie seine schwächsten Mitglieder. Wie wir unsere Gesellschaft angesichts vielfältiger Krisen armutsfester und gerechter machen können, darüber wurde vor Kurzem bei der Tagung 22 des Armutsnetzwerks Steiermark mit rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus sozialen Organisationen, Wissenschaft, Bildungseinrichtungen, Selbsthilfeinitiativen und Armutsbetroffenen diskutiert.
Darunter illustrierte etwa Karin Heitzmann von der Wirtschaftsuniversität Wien in ihrem Vortrag die Wirkung von Vielfachkrisen auf Armutsbetroffene in Österreich.
Auch Mittelschicht betroffen
Was sich deutlich zeigt und eine neue Entwicklung ist, dass die Auswirkungen der Krisen mittlerweile bis tief in die Mittelschicht hineinreichen. Armutsbetroffene sind in vielen Dimensionen überproportional von den Auswirkungen der Krisen betroffen. Da sich die letzten Jahre als komplex, unsicher und wenig vorhersehbar erwiesen haben, betont Heitzmann, wie wichtig zeitaktuelle Informationen für ein effektives Gegensteuern sind. (EU-SILC bezieht sich immer auf die Zahlen des Vorjahres). Für Heitzmann liegt daher eine anzustrebende Lösung in der Ergänzung des aktuellen Sozialsystems in Richtung einer Grundsicherung .
Eine Krise verschärft die andere
Barbara Blaha vom Momentum Institut führte aus, wie sehr die Trennlinien in unserer Gesellschaft, die durch Corona so grell ausgeleuchtet daliegen, durch weitere Krisen noch verschärft wurden. "Die Klimakrise ist auch eine Ungleichheitskrise. Wir lösen die eine nur, wenn wir auch die andere lösen", so Blahas Fazit.
Im Rahmen der Tagung wurden schließlich in Workshops die krisenbedingt verstärkten Auswirkungen von Armut und Armutsgefährdung in den unterschiedlichen Lebensbereichen und Strategien zur Besserung der Situation diskutiert.
Folgende Forderungen stellt das Armutsnetzwerk daraus resultierend, um eine krisenfeste Gesellschaft mit größerer Chancengleichheit zu erwirken:Wirksame Arbeitsmarktpolitik
- Es gab und gibt sehr viele Angebote und Fördermaßnahmen durch das AMS. Diese sollten derart adaptiert werden, dass sie zu einer größeren Armutssicherheit beitragen.
- Zur Vermeidung bzw. weiteren Senkung von Langzeitarbeitslosigkeit, gerade auch in Zeiten einer guten Arbeitsmarktlage, sollten Beschäftigungsprojekte eine längere Verweildauer und Dauerarbeitsplätze (vor allem für Personen über 55/60 Jahre) bieten. Hier könnten auch wertvolle und wirksame Beiträge in den Kommunen und für die Allgemeinheit geliefert werden.
- Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für arbeitslose Menschen mit einer Grundsicherung in einem Ausmaß, das den Lebensunterhalt bei den steigenden Kosten auch wirklich deckt.
- Psychische Belastungen und Problemlagen sind stark gestiegen, niederschwellig zugängliche Gesundheits- und Therapieangebote für von Arbeitslosigkeit und/oder Armut betroffenen Menschen sind notwendig.
- Bessere Arbeitsbedingungen für Betreuungsberufe und im Niedriglohnbereich
Besonders gefährdete Gruppe 65+
In Österreich sind laut Statistik Austria 232.000 Menschen 65+ von Armut und Ausgrenzung betroffen. Ältere Menschen haben ein höheres Risiko von Armut betroffen zu sein, trotzdem wird Altersarmut ist in vielen Statistiken nicht erfasst. Befragungen enden mit 65/69 Jahren, die Armut aber nicht. Die Altersgruppe 65+ ist "unsichtbar".
Seit Jahren bekannt ist, dass der Gesundheitszustand mit der sozialen Lage der Menschen korreliert. So führen schlechtere soziale Bedingungen zu einer kürzeren Lebenserwartung.
- Anerkennung für (noch) unbezahlte Care-Arbeit
- leistbare Teilhabe gegen die Einsamkeit
- Erhöhung der Pension mit Ausgleichszulage anstelle einmaliger Zuzahlungen
- Gesundheits- und Pflegeangebote, die leistbar sind
- mehr kostenlose Präventionsangebote
- die Beseitigung bürokratischer Hürden bei Antragstellungen für Leistungen
- (kein Zugang zum Internet = fehlende Informationen, Zugänge und Teilhabe)
Wohnen nicht als Luxus
Seit Jahren ist bekannt, dass Wohnungspreise deutlicher steigen als die Inflationsrate und die Einkommen. Massiv steigende Kosten für Energie verschlimmern die Situation für viele, vor allem für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen bis weit in die mittleren Einkommen.
- Wohnen ist ein Grundbedürfnis von allen – der Wohnungsmarkt folgt hauptsächlich der Logik des Marktes, auf dem Wohnen als Ware gehandelt wird. Wohnen sollte aber vielmehr ein Grundrecht sein.
- Es braucht daher einen „Masterplan“ des Landes mit ressortübergreifenden Lösungen und Strategien für leistbares, inklusives und dauerhaftes Wohnen für alle.
- Kein Geschäft mit der Armut: (Menschen-)Rechtliche Standards und deren Kontrolle bei Beherbergungsbetrieben – genügend niederschwellige, leistbare Übergangswohnungen
- Anhebung/ Valorisierung der Wohnunterstützung (früher Wohnbeihilfe)
- Keine Kürzung der Sozialunterstützung bei Wohngemeinschaft
- Sicherung und Weiterentwicklung der landesweiten Delogierungsprävention
- Erhalt und Stärkung des kommunalen (geförderten, sozialen, gemeinnützigen) Wohnbaus – Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für sozialen und gemeinnützigen Wohnbau
- Überwindung von Diskriminierung am Wohnungsmarkt – Gestaltung von inklusiven Zugangsbestimmungen für das kommunale, geförderte, gemeinnützige Wohnen
Dazu interessant:
Ein ausführliches Interview mit Brigitte Brand, der Koordinatorin des Armutsnetzwerk Steiermark gibt es hier:
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