Tierwohl
"Es tut weh, wenn aus Einzelfällen Skandale konstruiert werden"

Familie Bauer führt einen der sieben TW 100-Betriebe in Oberösterreich. Die Schweine verbringen viel Zeit draußen. | Foto: Veronika Mair
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Dass Tierwohl nicht nur ein Marketing-Mascherl in Markenprogrammen ist, sondern entlang der ganzen Wertschöpfungskette gelebt wird, zeigten Landwirtschaftskammer-Präsident Franz Waldenberger, Kammerdirektor Karl Dietachmair und Michael Wöckinger, Leiter der Abteilung Tierhaltung in der LK OÖ, einigen Journalisten im Rahmen einer Pressereise.

OÖ/TIROL. Das Thema Tierwohl und -haltung ist ein brisantes Thema. In letzter Zeit wurden auch einzelne Missstände in österreichischen Ställen aufgedeckt, die nachdenklich stimmen, vor allem auch deswegen, weil diese Betriebe unter dem Qualitätskriterien des AMA-Gütesiegels produzieren. "Meist haben solche Fälle mit persönlicher Überforderung der Betriebsleiter zu tun", sagt Franz Waldenberger, Präsident der Landwirtschaftskammer OÖ. Dies solle aber keine Entschuldigung für die Missstände sein. "Es tut allerdings sehr weh, wenn anhand von Einzelfällen Skandale konstruiert werden, obwohl wir wissen, dass die große Masse der Bauern eine solide Arbeit leistet", so Waldenberger.

Mehrkosten für die Landwirte

Die Bäuerinnen und Bauern im ganzen Land würden große Aufgeschlossenheit zeigen, wenn es um die Weiterentwicklung – auch im Bereich Tierwohl – geht, wie Kammerdirektor Karl Dietachmair meint. "Hier stellt sich aber immer die Grundfrage: was ist wirtschaftlich machbar? Unsere Bäuerinnen und Bauern leben grundsätzlich sehr naturverbunden. Insbesondere die jüngere Generation hat das aktive Anliegen, nachhaltig, umweltgerecht und tierwohlorientiert zu wirtschaften. Die Mehrkosten, die dadurch anfallen, müssen aber auch leistbar sein", so Dietachmair und weist darauf hin, dass der Konsument mit jedem Einkauf eines Qualitätsprodukt der Österreichischen Landwirtschaft über Tierwohl mitbestimmen kann.

Bei Familie Bauer geht es den Schweinen "saugut"

Einblicke gab es bei der Reise unter anderem in die Schweinehaltung von Petra und Christian Bauer in Peuerbach, einer der sieben "TW 100"-Betriebe in Oberösterreich. Das Tierwohlmodell verlangt unter anderem 100 Prozent mehr Platzangebot als gesetzlich vorgeschrieben sowie zusätzlich getrennte Liegeflächen mit Stroheinstreu und teilweise befestigte Böden. Auch ein Auslauf ins Freie ist vorgeschrieben. Bei der Ferkelhaltung besteht ein Schwanz-Kupierverbot und die Kastration muss unter Narkose erfolgen.

"Gerade die Ferkelaufzucht ist viel Aufwand. Nach dem Abgewöhnen von der Milch müssen die jungen Schweine viel beschäftigt werden, um ein 'Schwanzbeißen' zu verhindern", sagt Landwirt Christian Bauer.

Seine Frau Petra würde jeden zweiten Tag neue Spielsachen in die Boxen hängen und Beschäftigungsmöglichkeiten mit beispielsweise Altpapier oder Rasenschnitt verschaffen. Ab einem Gewicht von 31 Kilogramm kommen die Ferkel in den neuen Laufstall, wo sie sich laut den Landwirten meistens draußen aufhalten. "Eine Haltung wie diese kann allerdings nur aufrecht erhalten werden, wenn der Konsument den Mehraufwand zahlt", meint Bauer. Obendrein gilt bei TW 100 eine komplett gentechnikfreie Fütterung und der Einsatz zertifiziert europäischer Eiweißfuttermittel. TW 100-Landwirte erhalten einen Zuschlag in der Größenordnung von 55 bis 60 Prozent.

"Immer mehr Bauern interessieren sich für diese Haltungsform. Allerdings gibt es derzeit noch zu wenige Abnehmer", sagt Johann Schlederer, Geschäftsführer der VLV-Schweinebörse anlässlich der Betriebsbesichtigung.

Christian und Petra Bauer aus Peuerbach. | Foto: Veronika Mair
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15.000 Schweine und 1.100 Rinder pro Woche

Auch der Schlachthof Großfurtner in St. Martin im Innkreis stand am Programm. Wöchentlich werden hier rund 15.000 Schweine aus Österreich und Niederbayern geschlachtet. Großfurtner setzt seit 2017 auf elektrische Betäubung, die im Vergleich zur CO₂-Betäubung als die humanere Betäubungsmethode gilt. Am Standort in Utzenaich werden pro Woche rund 1.100 Rinder geschlachtet. Mit dem Fokus auf Tierwohl und Regionalität wird laufend investiert und verschiedenste Bereiche erneuert.

"Die Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung von Frischfleisch ist verständlicherweise ein sensibles Thema. Wir sind uns dessen bewusst und stehen zu unserer Verantwortung", sagt Firmenchef Rudolf Großfurtner.

Gerade deshalb würde man in allen Bereichen – ob Tierwohl, Umweltschutz, Produkte, Prozesse oder Partnerschaften – nach höchster Qualität streben. "Dies erfolgt in transparenter und überprüfbarer Weise, um den Bedürfnissen unserer Partner bestmöglich gerecht zu werden", so Großfurtner. Die Innviertler Unternehmensgruppe erwirtschaftete 2021 an den Standorten Utzenaich, St. Martin, Lambrechten, Schwertberg und Passau mit etwa 600 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 233 Millionen Euro.

Auch der Schlachtbetrieb Großfurtner im Innviertel stand am Programm der Reise. | Foto: Veronika Mair
  • Auch der Schlachtbetrieb Großfurtner im Innviertel stand am Programm der Reise.
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"Tierwohlbonus" für 90 Prozent der Betriebe

Einen weiteren Bereich in der Wertschöpfungskette stellen die Molkereien dar. Berglandmilch, das mit Abstand größte milchverarbeitende Unternehmen Österreichs, möchte das Top-Thema Tierwohl ebenfalls voranbringen. Vor mittlerweile fünf Jahren führte man deshalb den Tierwohlbonus ein, bei dem Maßnahmen, die über dem österreichischen Gesetzesstandard liegen, zusätzlich abgegolten werden. Mehr als 90 Prozent der Betriebe würden an diesem freiwilligen Programm teilnehmen, wie Berglandmilch-Chef Josef Braunshofer sagt. Insgesamt gebe es in der Berglandmilch 17 Qualitätsprogramme, wofür Milch getrennt gesammelt und gelagert wird. Berglandmilch tritt mit bekannten Marken wie Schärdinger, Tirol Milch, Lattella und Stainzer am Markt auf.

Die Molkerei Tirol Milch in Wörgl gehört zu Berglandmilch. | Foto: Veronika Mair
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Herausforderung für Betriebe im Berggebiet

Zwei weitere Vorzeige-Betriebe in Oberndorf in Tirol sind der Ensmann Hof von Claudia und Hansjörg Landmann sowie der Schörgerer Hof der Gebrüder Andreas und Stefan Lindner. Am Ensmann Hof werden rund 30 Mutterkühe gehalten. Bereits 1997 baute Hansjörg Landmann einen Laufstall für sein Vieh. "Das war damals eine mutige Entscheidung in unseren Breiten", sagt er. Bereut hätte es der Landwirt aber nie. Denn die sogenannte dauernde Anbindehaltung von Rindern ist in Österreich seit vielen Jahren gesetzlich verboten.

Hansjörg Landmann war mit seinem 1997 errichteten Laufstall Vorreiter in der Region. | Foto: Veronika Mair
  • Hansjörg Landmann war mit seinem 1997 errichteten Laufstall Vorreiter in der Region.
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In früher errichteten Stallungen ist sie in Ausnahmefällen noch bis 2030 erlaubt. Ab 1. Jänner 2024 dürfen Milchviehbetriebe mit dauernder Anbindehaltung allerdings nicht mehr unter dem AMA-Gütesiegel vermarkten. Dies stellt besonders für Landwirte im Berggebiet eine große Herausforderung dar. Denn für manche Bauern – in einigen Regionen haben sie im Durchschnitt 1,8 Rinder – sei ein Neubau nicht leistbar oder aufgrund der landschaftlichen Gegebenheiten nicht möglich.

"In Tirol haben wir derzeit noch 80 Prozent Kombinationshaltung. Das heißt, die Rinder sind angebunden, haben aber an mehr als 90 Tagen im Jahr freie Bewegungsmöglichkeit, beispielsweise auf der Alm", sagt Josef Hechenberger, Präsident der Landwirtschaftskammer Tirol und Tierschutzsprecher der ÖVP im Nationalrat.

Leider würden sich viele entscheiden, aufzuhören, wenn auch das Verbot für die Kombinationshaltung eintritt. "Wir wollen den Kleinstbetrieben aber wieder Zukunftsperspektiven geben. In den meisten Fällen lässt sich eine Lösung finden", sagt Hechenberger.

Bio oder konventionell?

Andreas und Stefan Lindner errichteten im Jahr 2021 einen neuen Tierwohlstall für 60 Schweine und 850 Legehennen. Etwa 90 der 250 geschlachteten Schweine werden im Hotel Penzinghof, das von der Schwester der beiden geführt wird, vermarktet. Auch der Großteil der Eier verbraucht das Hotel. Im Hofladen verkauft die Familie Lindner Fleisch, Eier, eigenen Käse und andere Milchprodukte sowie Schnäpse und Liköre, alles aus eigener Produktion. Auch etwa 45 Milchkühe sind am konventionellen Betrieb beheimatet. "Den Touristen ist es egal, ob wir konventionell oder bio sind, sie wollen sehen, dass die Kühe auf der Weide sind", meint Stefan Lindner, zum Spannungsthema Kombinationshaltung.

Stefan und Andreas Lindner erbauten 2021 einen Tierwohl-Schweinestall für 60 Tiere. | Foto: Veronika Mair
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Kein Zuwachs bei Tierwohl-Produkten

Einblicke gab es für die Journalisten auch in das TANN-Werk in Wörgl, einem der sechs TANN-Fleischwerke in Österreich. "Wir verarbeiten ausschließlich Rind-, Kalb- und Schweinefleisch, das zu 100 Prozent aus Österreich stammt", sagt Andreas Stieglmayr, Konzernleiter der TANN Austria & TANN International. Durch die Verarbeitung von Frischfleisch aus Österreich gebe man regionaler Qualität den Vorzug und schaffe damit eine Absatzmöglichkeit für die heimischen Landwirte. In den TANN-Werken werden mehr als 50.000 Tierwohl-Schweine (inklusive Bio) pro Jahr verarbeitet. Das sind drei Prozent der Gesamtproduktion. Bei den Rindern stammen zumindest acht Prozent aus Tierwohl-Betrieben.

"Wir sehen derzeit – wahrscheinlich aufgrund der Teuerungen in allen Bereichen – gar keinen Zuwachs bei den Tierwohl-Produkten und können daher auch nicht mehr aufnehmen", so Stieglmayr.

Beim Konsum von Fleisch spüre man keinen Rückgang. "Es verschiebt sich hald innerhalb der Segmente. Wer sowieso mit den hohen Alltagskosten zu kämpfen hat, greift dann eher zum billigeren Produkt", so der Konzernleiter.

Betriebsleiter Andreas Wörgl (Mitte) führte durch das TANN-Werk in Wörgl. | Foto: Veronika Mair
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"Milch wird Renaissance erleben"

Isabella und Lukas Übertsberger sind Hofnachfolger mit maximalem Engagement und Leidenschaft für Milchviehhaltung. Gemeinsam führen sie den Betrieb in Straßwalchen in Kooperation mit den Eltern und Schwiegereltern Karl und Theresia Neuhofer. Im Rahmen der Pressereise führten sie durch die Stallungen mit 95 Milchkühen und Nachzucht, zeigten die Heutrocknungsanlage und führten die beiden Melkroboter vor. Karl Neuhofer ist Gründungsobmann und Vorsitzender der ARGE Heumilch Österreich, einem Zusammenschluss von 7.500 Heumilchbetrieben und 60 Heumilchkäsereien/molkereien. "Ich bin überzeugt, dass Milch eine Renaissance erleben wird. Hierfür brauchen wir aber ein modernes Bild für Milch", sagt Neuhofer. Besonders wichtig sei ihm deswegen der Austausch außerhalb der Landwirtschaft – sprich mit den Konsumenten.

Karl Neuhofer präsentierte seine Heutrocknungsanlage.
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