Walter Hasibeder
Intensivmediziner: "Triage-Teams in zwei Bundesländern notwendig"

Die Situation an Österreichs Spitälern wird immer brenzliger. | Foto: meinmed.at
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Die vierte Welle fordert Österreichs Spitäler in noch nie da gewesener Vehemenz. Über die Situation in den Intensivstationen sprach meinbezirk.at mit Walter Hasibeder, Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Anaesthesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) und Ärztlicher Leiter Anästhesie und Operative Intensivmedizin in Zams.

ÖSTERREICH. Der Intensivmediziner Walter Hasibeder spricht über die Situation in Österreichs Intensivstationen, Triage in zwei Bundesländern, und er fordert eine Impfpflicht überall dort, wo viele Menschen zusammenarbeiten. Zudem ist Hasibeder für eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum. Der erfahrene Arzt wirft der Politik Versagen vor.

meinbezirk.at: Was sind derzeit die größten Herausforderungen auf den Intensivstationen in Österreich?
Walter Hasibeder: Ich hatte am Dienstag sowohl mit Salzburg, als auch mit Oberösterreich Kontakt, und da ist die Lage wirklich katastrophal. Dort ist wirklich notwendig, Triage-Dienste zu bilden.

Was bedeutet das?
Im Vorfeld wird in Aufnahmestationen geklärt, wer noch intensivtherapeutische Maßnahmen erhält, und wer nicht. Das heißt, es wird vorher selektiert nach z.B. welche Vorerkrankungen, funktionelle Einschränkungen, physiologische Reserven des Patienten, die Schwere des aktuellen Erkrankungsbildes. Aufgrund dieser Erhebungen wird entschieden, ob die Patienten überhaupt noch einen Intensivplatz bekommen.

Es heißt, dass in vielen Spitälern in Österreich die Situation so ist, dass diejenigen, die nicht Covid-19 Patienten sind, teilweise auch Karzinom Patienten, abgewiesen werden müssen. Können Sie das bestätigen?
Das ist absolut richtig und ist auch schon seit Wochen so, dass selektive OPs, wie onkologische Operationen, wie Karzinom- oder auch Herzoperationen, einfach verschoben werden müssen, weil man keine Intensivkapazitäten hat. Das geschieht in weiten Teilen Österreichs schon.

Hat sich diese Situation in der vierten Welle gegenüber den vorheringen verschlimmert?
Das hat sich ganz klar verschlimmert. Triage-Situationen wie in Oberösterreich und Salzburg hat es vorher nie gegeben. Es gab zwar immer wieder Platzmangel, wo dann etwa Intensivmedizin in Aufwachräumen betrieben wurde. Bereits in der ersten Welle wurde dies für Nicht-Covid-19-Patienten betrieben. Wir hatten beispielsweise 14 Covid-Patienten auf der Intensivstation, manchmal sogar 16, da gibt es dann teilweise schon Pflegemangel. Aber nachdem man große Operationen abgesagt hat, konnte auf das Anästhesie-Personal zurückgegriffen, und somit sogar 16 Intensiv-Patienten versorgt werden. Alle nicht-Covid-Patienten wurden im Aufwachraum behandelt. In einem Wiener Krankenhaus wurden sogar die gesperrten OP-Räume verwendet, um Intensivmedizin zu betreiben. Aufwachräume haben zum Beispiel gute Monitoringgeräte, Beatmungsgeräte usw. Aber natürlich ist die Qualität in der medizinischen Betreuung derzeit nicht zu vergleichen mit der Qualität zuvor. Patienten mit chronischer Erkrankung oder funktionellen Einschränkungen werden bei uns intensivmedizinisch aufgenommen und man macht einen Bekehrungsversuch, und schaut wie sich der Krankheitsverlauf entwickelt. Bei einer Verschlechterung kann man noch immer in Richtung Palliativmedizin umsteigen, damit Schmerzen, Angst und Stress gelindert werden können.

Immer mehr Stimmen werden laut, dass man nicht mehr 100 Prozent der Kapazitäten den Covid-19 Patienten geben soll, wenn sie ungeimpft sind. Was meinen Sie dazu?
Solche Entscheidungen sind sehr schwierig zu treffen. Eigentlich ist es verdammt noch einmal die Pflicht der Politik, dass sie endlich Maßnahmen setzt, um die Infektionszahlen so schnell wie möglich zu senken, dass sie nicht immer streiten und wegsehen und endlich auf Experten hören. Denn die Entwicklung war für die meisten Experten klar und die Politik wurde früh genug gewarnt!

Sie meinen also, dass es die Politik verabsäumt hat, die Menschen auf den Herbst vorzubereiten?
Ja natürlich! Sie haben es verabsäumt, die Menschen zur Impfung zu bringen.

Was sagen Sie einem Menschen, der sich nicht impfen lassen möchte?
Ich verstehe die Argumente von Impfgegnern mittlerweile nicht mehr. Prinzipiell ist zu sagen, dass jeder Mensch Verantwortung gegenüber der Gesellschaft hat, wir leben in einer Solidargemeinschaft! Dadurch erhält jeder solidarische Leistungen, wenn es einem nicht gut geht. In diesem System wird jeder Patient behandelt, egal welchen Beruf oder welche Erkrankung er hat. Manchmal muss man auch Druck ausüben z.B. mittels einer indirekten Impfpflicht.

Beim Pflegepersonal kommt ja die Impfpflicht, aber sollte es diese für alle geben?
Man muss schon ein wenig auf die Wirtschaft schauen. Überall dort, wo viele Menschen zusammenarbeiten, muss es eine Impflicht geben. Meiner Meinung nach ist jetzt das Gebot der Stunde die Maskenpflicht im öffentlichen Raum, denn die Maske ist der "Wellenbrecher" bei Infektionskrankheiten, die über die Atemluft übertragen werden. Das Infektionsrisiko ist somit praktisch null für Gesunde. Diese Wirkung haben wir in der ganzen Pandemie gesehen, bereits in der ersten Welle. Kein einziger unserer Mitarbeiter auf der Covid-19-Station hat sich infiziert.
Die Maske schützt!

Sie sind selbst Intensivmediziner im Spital Zams, in Tirol. Wie ist dort die derzeitige Situation?
Bei uns hat sich die Situation derzeit im Vergleich zur Vorwoche entspannt. Wir haben hier ein interdisziplinäre Intensivstation mit zehn Betten, die wir gemeinsam mit unseren internistischen Kollegen betreuen und wir haben vier Intermediate Care-Betten. Alle vierzehn Intensivbetten werden derzeit als Covid-Intensivbetten verwendet. In der letzen Woche hatten wir sechs Intensivpatienten, die wegen COVID-19 aufgenommen werden mussten und auf den Isolierstationen sind 26 Patienten. Diese Woche hat sich die Lage entspannt und wir haben drei COVID-49-Intensivpatienten und 16/17 Patienten auf den Isolierstationen, trotz der hohen Inzidenz der letzten Tage. Eine schlüssige Erklärung gibt es dafür nicht. Ich vermute jedoch, nachdem das Tiroler Oberland in der ersten Phase der Pandemie massiv betroffen war, war die Durchseuchung mit dem Virus sehr hoch. Grund dürfte sein, dass der ältere Teil der Bevölkerung durch geimpft ist und viele Jüngere doch einen gewissen Antikörperschutz haben, und daher nicht so schwer erkranken und im Krankenhaus behandelt werden müssen. Eine Studie aus Paznaun nach der ersten Welle zeigte, dass 25 Prozent der Bevölkerung neutralisierende Antikörper gegen das Virus hatten. Möglicherweise spielt das bei uns auch eine wesentliche Rolle, warum es bei uns nicht so sehr eskaliert.

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„Alle Verstorbenen in vierter Welle ungeimpft“

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