Strahlenschutz, Armdrücken & Co
Zulauf für Esoterik, Sekten und Scharlatane

Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen im Gespräch mit Chefredakteurin Maria Jelenko: "Da werden viele äußere Faktoren als Entschuldigung und Ausweg hergenommen, um nicht selbst handeln zu müssen, etwa „5G-Strahlen“. Da wird ihnen eingeredet: ‚Du wärst voller Energie und Kraft, wenn nicht 5G wäre. Und zaubern als Lösung etwa Anti-Strahlungshüllen für Handys oder sündteure „Anti-Strahlungsfarben“, um die Wohnung auszumalen.  | Foto: Markus Spitzauer
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  • Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen im Gespräch mit Chefredakteurin Maria Jelenko: "Da werden viele äußere Faktoren als Entschuldigung und Ausweg hergenommen, um nicht selbst handeln zu müssen, etwa „5G-Strahlen“. Da wird ihnen eingeredet: ‚Du wärst voller Energie und Kraft, wenn nicht 5G wäre. Und zaubern als Lösung etwa Anti-Strahlungshüllen für Handys oder sündteure „Anti-Strahlungsfarben“, um die Wohnung auszumalen.
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  • hochgeladen von Mag. Maria Jelenko-Benedikt

In Krisenzeiten sind Menschen anfällig für Verschwörungstheorien und Sekten. Eine Expertin erklärt, warum das so ist, und was für esoterische Tendenzen in Österreich besonders auffallen.

ÖSTERREICH. Verschwörungstheorien sind in Österreich auf dem Vormarsch. 2021 hat die Bundesstelle für Sektenstelle rund 6.000 Beratungsgespräche geführt – um ein Viertel mehr als 2020 - mehr dazu hier.

Für Geschäftsführerin Ulrike Schiesser sind Menschen dann besonders für "vereinnahmende Gemeinschaften" anfällig, wenn sie sich in der Gesellschaft verloren fühlen und ein vor allem in Krisenzeiten besonders ausgeprägtes Gefühl von Machtverlust erleben. Simple Verschwörungstheorien und Weltuntergangsphantasien, aber auch Ideen, die einen internen Zusammenhalt gegen einen "Außenfeind" produzieren, kommen dann besonders gut an, so Schiesser. Selbsternannte Wahrsager und Gurus, die ihre Ideologien verbreiten und aus der Stimmung Profit schlagen wollen, sprießen in solchen Zeiten aus dem Boden.

Manche dieser Gurus oder Gemeinschaften streben sogar den Aufbau von Parallelgesellschaften an. Dieses Konzept scheitere dann aber meist an der Realität, nämlich Grund erwerben zu können. Trotzdem vermeidet Schiesser aufgrund von Vorurteilen gerne den Begriff "Sekten" und spricht lieber von „vereinnahmenden Gemeinschaften“ bzw. „Gemeinschaften mit einer sektenartigen Struktur“.

"Aussteiger-Milieus"

Menschen, die sich in dieser Gesellschaft verloren fühlen und das Gefühl haben, wenig Einfluss zu haben, fallen gerne auf simple Verschwörungstheorien und Weltuntergangsphantasien herein, sei es der Mythos, dass "das Energiegitter der Erde  angehoben" wird, die Menschheit in "die fünfte Dimension" geht, oder "das Zeitalter des Wassermanns" prophezeit wird und im Zuge dieses Zeitalters "einfach ganz viele Umwälzungen und Katastrophen passieren", plaudert Schiesser aus ihrer Erfahrungskiste.

Botschafter solcher Theorien versprechen gerne "magische Kräfte", zum Beispiel, dass man lernen könne, mit Tieren zu reden, Raum und Zeit zu überwinden, Dinge mit Gedanken zu bewegen, oder sie versprechen einen Neuaufbau der Zellen, der Krankheiten überwindet, hält man sich konsequent an bestimmte Regeln. Vor allem aus Russland kommen traditionell diverse Wahrsager, Heiler, Medien, viele spirituelle Richtungen "mit Personen, die diese gut verkaufen und durch Europa touren und ihre Kurse, Seminare und Ideologie verkaufen".

Yogakurse & Co: Trend zu Esoterik

In Krisenzeiten seien Menschen auch für spirituelle Ansätze und esoterische Denkmuster jeglicher Art, die ihnen vermeintlich schnelle Lösungen liefern, sehr empfänglich, erklärt Schiesser: "Angst steigert die Bereitschaft, Geld für persönliches Glück auszugeben und gibt spirituellen Anbietern aller Art Aufwind – auch Scharlatanen, die daraus Kapital schlagen". Die Expertin warnt daher vor einschlägigen Gruppen, die ihre Botschaften über harmlos anmutende Koch- und Yogakurse oder Selbstfindungsseminare verbreiten und damit gleichzeitig Geld verdienen:

Mitglieder einer einschlägigen Yoga-Gruppe werden über Zettel, die auf der Straße hängen, rekrutiert, und über Meditation und einem Friedenslauf durch ganz Europa werde versucht, die breite Masse anzusprechen. Auch „Weihnachten im Schuhkarton“ – eine weitere, „an sich nette“ Aktion zugunsten von Kindern, initiiert von einer evangelikalen, amerikanischen Gruppe, sieht die Bundesstelle für Sektenfragen kritisch: Da habe man früher den Geschenkkartons Bibeln beigelegt. Und bei Kochkursen oder Rauchentwöhnungskursen, habe eine Gruppe Bibeln deponiert und Bibelzitate verbreitet. "Da denkt man: 'Wo bin ich da?' Das Beilegen von Bibeln ist ja völlig legitim, aber warum kündigen die Initiatoren das nicht vorher an?", wundert sich Schiesser. Das irritiere die Teilnehmer nur und erzeuge das Gefühl, dass man "hinters Licht geführt" werde.
 

Armdrücken als Kompass für Krankheiten?

Vorsicht geboten sei auch bei kinesiologischen Anwendungen und Produkten, wie eine Form des Armdrückens, um Allergien oder andere Leiden zu orten: Bei einem „Muskel-Test“ wollen Kinesiologen mit Hilfe einer Art Armdrücken Allergien blitzschnell feststellen, aber auch andere Leiden oder Krankheitsursachen. Die Methode sei allerdings nicht ohne Risiko: „Üblicherweise kommt da raus, dass die ‚Patienten‘ ein Jahr lang keinen Zucker und kein Mehl essen sollen. Und dann ist alles gut. Das schränkt die Ernährung ein und wird sogar bei Kindern angewandt", gibt sich Schiesser entsetzt.

Die Expertin erzählt auch von "Granda-Wasser-Anlagen", die Gemeinden um teures Geld anschaffen und über ein "pseudowissenschaftliches Gerät" vermeintlich reines Wasser produzieren. "In heimischen Krankenhäusern wurden Metallplatten befestigt, angeblich, um Magnetstrahlen zu ‚harmonisieren‘", weiß Schiesser. Schließlich erinnert Schiesser an den „Energiering“ um das Wiener „Krankenhaus Nord“, der den Steuerzahler Hunderttausende Euro gekostet hat. 

Teure Anti-Strahlen-Farben

Kinesiologen zitieren dann gerne pseudowissenschaftliche Studien, die Laien nicht von echten unterscheiden können, was eine zusätzliche Gefahr darstelle, meint Schiesser. Man dürfe nämlich nicht unterschätzen, wie schwierig es für Menschen, die auf „magisches Denken“ anfällig sind, solche vermeintlichen Lösungen als Scharlatanerie zu entlarven. Gerade bei den sogenannten Zivilisationsbeschwerden: Schlafstörungen, Stress, Erschöpfung, die aufgrund der hohen Erwartungen der Gesellschaft an den Einzelnen und des hohen Tempos der Informationsflut viele Menschen überfordern und überlasten, sei "Selbstoptimierung" ein großes Thema. Schiesser:

"Da werden viele äußere Faktoren als Entschuldigung und Ausweg hergenommen, um nicht selbst handeln zu müssen, etwa „5G-Strahlen“. Da wird ihnen eingeredet: ‚Du wärst voller Energie und Kraft, wenn nicht 5G wäre. Und zaubern als Lösung etwa Anti-Strahlungshüllen für Handys oder sündteure „Anti-Strahlungsfarben“, um die Wohnung auszumalen. Auch ‚energetische Reinigung‘ durch sogenannte Energetiker – ein von der Wirtschaftskammer offizielles Berufsfeld - klingt ja verführerisch und faszinierend. Man hat in Österreich auch Wünschelroutengänger  für Straßenabschnitte mit besonders hoher Unfallquote eingesetzt."

Immer öfter hört die Bundesstelle für Sektenfragen auch von Fällen in der Arbeitswelt, wo Familie und Arbeit vermischt werden, und man auf einheitliche Firmenkleidung oder gemeinsame Firmenlieder setzt, aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch stark kontrolliert. "Diese Tendenzen kommen aus den USA. Sie zeichnen sich durch einen übergriffigen Stil aus, der bei manchen österreichischen ArbeitnehmerInnen die Alarmglocken läuten lässt, erzählt Schiesser.

Palmwedel für bessere Ernte

Für Schiesser ist Esoterik eine „sehr Ich-zentrierte, egoistische, egozentrische Glaubensbewegung mit dem Ziel der Selbstoptimierung und dem persönlichen Glück". Die „Religion“ unserer Zeit sei unverbindlich und vielfältig. Bei den großen Weltreligionen hingegen gehe es meist um die Gemeinschaft, und, dass man sich selbst zugunsten dieser ein Stück weit zurücknehmen muss. Auch Mitgefühl und „Für Andere Dasein“ habe dabei immer einen sehr zentralen Stellenwert. Jedoch finden und fanden sich auch extremistische Ideen in den sogenannten Welt-Religionen, räumt Schiesser ein. Und auch die Katholische Kirche beinhalte starke esoterische Elemente, wie den Christopherus-Segen, bei dem das Auto gesegnet wird, und Lenker die Christopherus-Medaille ins Fahrzeug hängen, die sie angeblich vor Unfällen schützt. Oder der weit verbreitete Glaube, dass, wenn man Palmwedel ins Feld steckt, die Fruchtbarkeit der Erde gefördert wird. Schiesser:

"Solche Rituale, um die Natur gut zu stimmen die Toten zu begleiten und sich selbst vor irgend jemandem zu schützen, sind uralt und typisch menschlich. Da hat sich nicht so viel verändert. Nur die Methoden sind jetzt anders. Jetzt hat man irgendein Computerprogramm, das super ausschaut und das Ihnen sagt, wer Sie sind und was sie tun sollen."

Die Religionsfreiheit müsse man respektieren, aber: "Gefährlich wird es dann, wenn diese Träume und Ängste über Schwarz-Weiß-Bilder ausgenutzt werden, um am Ende Gewinne zu erzielen. Wenn Menschen, ihre ganze Existenz aufs Spiel setzen, um diesen Traum zu verfolgen."

Beratung und Information

Informationen und Beratung im Zusammenhang mit Sekten erhalten Betroffene:
Wien:

  • Bei der Bundesstelle für Sektenfragen.1., Wollzeile 12 Tel.: 01/513 04 60 bundesstelle@sektenfragen.at
  • Gesellschaft gegen Sekten- und Kultgefahren bietet Beratung, Betreuung der Angehörigen und Unterstützung ehemaliger Mitglieder. 2., Obere Augartenstraße 26-28 Tel.: 0664/492 50 49 info@sektenberatung.az

Kärnten:
Sektenberatung im Magistrat Klagenfurt, Tel.: 0463/ 537-5653, sektenberatung@klagenfurt.at

NÖ:
Hilfswerk Familien- und Beratungszentrum Mödling, Tel.: 05/ 9249 75610, zentrum.moedling@noe.hilfswerk.at

OÖ: Familienberatung des Familienbundes, Tel.: 0676/ 955 51 86, familienberatung.linz@ooe.familienbund.at

Steiermark: Jugend- und Familienberatungsstelle d. Gesellschaft für Persönlichkeits- und Berufsbildung, Tel.: 0699/ 10373604, office@gep.or.at

Tirol: Caritas Beratungszentrum, Tel: 0512/ 7270-15, beratungszentrum.caritas@dibk.at

Vorarlberg: Institut für Sozialdienste, Tel.: 05/ 1755-510, ifs.bregenz@ifs.at
 
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