Europarat stimmt ab
Andreas Kiefer: Warum EU-Beitritt der Ukraine Sinn macht

Andreas Kiefer (Mitte) mit den Bürgermeistern von Kiew:  Vitaly Klitschko (re.) und Balta, Serhiy Mazur im Juni 2022. | Foto: Council of Europe (CoE)
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  • Andreas Kiefer (Mitte) mit den Bürgermeistern von Kiew: Vitaly Klitschko (re.) und Balta, Serhiy Mazur im Juni 2022.
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Für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen der Ukraine zur Europäischen Union ist ein einstimmiger Beschluss des Europäischen Rates erforderlich. Am 14. und 15. Dezember 2023 findet dazu die Abstimmung in Brüssel statt. Der ehemalige ranghöchste Österreicher im Europarat, Generalsekretär Andreas Kiefer, über die Beitrittsverhandlungen, und warum die Ukraine für eine Mitgliedschaft geeignet ist. Und auch Karl Habsburg als Präsident von Paneuropa Österreich setzt sich für einen Ukraine-Beitritt ein.

ÖSTERREICH. Wenige kennen die Abläufe innerhalb der Europäischen Union, was die Erweiterung betrifft, so gut wie der Salzburger Andreas Kiefer, der jahrelang in Brüssel als Ländervertreter tätig war, und später in seiner Funktion als Generalsekretär des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats. Die RegionalMedien Austria erhielten von Kiefer Antworten auf die Fragen über die teils umstrittene Mitgliedschaft der Ukraine zur EU.

RegionalMedien Austria: Die Pro-Europa-Orientierung der Ukraine ist nicht neu. Europa und die Ukraine haben mittlerweile beinahe eine gemeinsame Geschichte. Können Sie uns sagen, seit wann die Ukraine nun bereits versucht, sich Europa, der EU, anzunähern, und welche Etappen bereits genommen bzw. welche Zeichen dafür schon gesetzt wurden?
Die Ukraine hat sich in den 1990er Jahre für die europäische Option – also für Demokratie und gegen Autokratie - entschieden und ist seit 9. November 1995 Mitglied des Europarates. Anfang 2019 verankerte das ukrainische Parlament eine „strategische Orientierung der Ukraine zum vollständigen Beitritt zur EU und der NATO“ in der Verfassung. Im März 1998 trat ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der EU in Kraft, seit 2009 ist die Ukraine Mitglied der "Östlichen Partnerschaft" der EU, seit 1.1.2016 ist das Assoziierungsabkommen in Kraft, am 23. Juni 2022 erhielt die Ukraine den Status als Beitrittskandidat. Für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen braucht es einen einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates. Am 14. und 15. Dezember 2023 wird die Abstimmung dazu in Brüssel stattfinden. 

Was ist für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen Voraussetzung? Und worauf wird vonseiten der EU-Kommission bei der Prüfung der Ukraine als Beitrittskandidat geachtet? Was muss erfüllt werden, welche Berichte werden herangezogen und wie konkret werden Bestimmungen, Rechte und Normen überprüft? 
Für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen braucht es einen einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates. Aus der Mitgliedschaft der Ukraine im Europarat ergeben sich zahlreiche positive Reformen in den Bereichen Demokratieentwicklung, Dezentralisierung, Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung, Rechtsstaatlichkeit. Die Monitoring-Berichte des Europarates sind öffentlich - und die EU-Kommission nimmt in vielen Fällen diese Berichte als Grundlage für ihre eigenen Fortschrittsberichte zu den Beitrittskandidaten.

Bemühungen um einen EU-Beitritt sind mit immensen Anstrengungen verbunden. Warum lohnt es sich für die Ukraine und die EU trotzdem dranzubleiben?
Die Aussicht auf die EU-Beitrittsverhandlungen haben in den letzten Jahren zu enormen Anstrengungen Ukrainischer Akteure geführt und sind auch in Zukunft ein wichtiger Motivationsfaktor, um Reformen voranzutreiben und unumkehrbar zu machen.
Das betrifft etwa die Stärkung der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung und damit der Demokratie.

Gibt es erste Zeichen und erkennbare Fortschritte für eine positive Entwicklung in Richtung Demokratie – und dadurch auch in Richtung EU?
Seit den Kommunalwahlen im Jahr 2010 wurden alle fünf Jahre in vielen Städten und Gemeinden Frauen und Männer in Räte und Exekutive gewählt, die mit den früheren kommunistischen und korrupten nichts am Hut haben und "Gestalterinnen und Gestalter des Wandels" sind. 

Abschließend worin werden die größten „Gewinne“ für die Demokratie und die Entwicklung der Ukraine gesehen – was die Beitrittsverhandlungen betrifft?
Beitrittsverhandlungen werden den Reformeifer auf nationaler Ebene vorantreiben und vor allem auch auf der Ebene der Regionen (Oblast) und der Städte und Gemeinden.
Die ukrainische Gesellschaft und Wirtschaft müssen von unten nach oben auf Basis europäischer Werte und (politischer und wirtschaftlicher) Standards gebaut werden, um dauerhaft stabil zu sein. Dafür lohnt es sich, zu investieren, und gleichzeitig den ukrainischen Partnern auf allen Ebenen sowie den Medien klarzumachen, dass die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen erst der Beginn eines langen Prozesses sind – durch den hohen Anpassungsbedarf in Gesetzen und Verordnungen, aber vor allem auch in der täglichen Praxis.
Es reicht nicht, die Hardware, die Gesetze, zu ändern – damit das funktioniert, muss auch die Software kompatibel sein, also die Akteure, die Politikerinnen und Politiker auf nationaler, regionaler und Gemeindeebene und die ihnen unterstehende Beamtenschaft.
 
Hier geht es zu den Monitoring-Berichten der EU
Hier geht es zu den Demokratisierungsprogrammen

Paneuropa: Ja zur Ukraine als Teil der EU

Von Paneuropa Österreich kam vor der Abstimmung im EU-Rat ein klares Bekenntnis zum Kandidatenstatus für die Ukraine und zur strategisch wichtigen EU-Integration der Westbalkan-Länder: „Wer immer sich seriös mit der sicherheitspolitischen Lage in Europa auseinandersetzt, wird zu dem Schluss kommen, dass der Beitrittskandidatenstatus für die Ukraine im beiderseitigen Interesse ist“, so Karl von Habsburg, Präsident der Paneuropabewegung Österreich. Es gehe hier um Sicherheit und Stabilität in Europa. „Wir alle wissen, dass der Kandidatenstatus noch nicht der Beitritt ist“, so Habsburg, „und dass auch die Ukraine eine Reihe von Reformschritten vor sich hat, um überhaupt beitreten zu können.“

Signal für Putin

Für die Ukraine sei der Kandidatenstatus eine Motivation sowohl für die notwendigen weiteren Reformschritte, als auch für den Kampf um Freiheit und Selbständigkeit, der auch ein Kampf um Freiheit und Selbständigkeit für ganz Europa ist. „Und es ist ein Signal an Putins Verbrecherregime, dass Europa sich nicht durch Kriegsverbrechen einschüchtern lässt.“ Für die EU bedeute die Vorbereitung der Ukraine auf einen Beitritt ein Gewinn für Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaat in Europa. Denn: Je weiter wir die Grenzen der Freiheit nach Osten verschieben, desto sicherer werde die Mitte. Paneuropa Österreich setzt sich auch dafür ein, der Ukraine eine noch viel stärkere militärische Unterstützung zu schicken, und das auch rasch.

Die sicherheitspolitische Lage in Europa und die notwendige Stärkung einer echten europäischen Außen- und Sicherheitspolitik wird auch einer der Schwerpunkte der „Rede zur Zukunft Europas“ sein, die Karl von Habsburg am 11. Jänner 2024 halten wird. 

Zur Person Andreas Kiefer

Am 11. Oktober 2022 ging der ranghöchste Österreicher im Europarat, Generalsekretär Andreas Kiefer in den Ruhestand. Der promovierte Jurist war seit 1983 im Salzburger Landesdienst beschäftigt. Nach seiner Promotion war Kiefer von Juli 1984 bis Ende 1995 Leiter des Büros von Landeshauptmann-Stellvertreter und später Landeshauptmann Hans Katschthaler. Mit 1. Jänner 1996 wurde Kiefer zum Leiter des Landes-Europabüros bestellt. Von 2000 bis 2009 vertrat Kiefer die österreichischen Länder bei der Vorbereitung der Regierungskonferenzen 2004 (Vertrag über eine Verfassung für Europa) und 2007 (Vertrag von Lissabon). Von 2006 an wirkte Kiefer als gemeinsamer Ländervertreter für die Umsetzung der innerstaatlichen Kontrolle von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit von EU-Regelungen durch die Länder. 2003 übernahm Kiefer das Amt des Generalsekretärs der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten europäischer Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen (REGLEG) unter der Salzburger Präsidentschaft von Landeshauptmann Franz Schausberger. Im März 2010 wurde Kiefer zum Generalsekretär des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats gewählt und wirkte in Straßburg bis Ende Oktober 2022 als ranghöchster Österreicher für das Organ von über 600 kommunalen und regionalen Mandatarinnen und Mandataren aus 46 europäischen Staaten für Demokratie, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit.

Zum Thema:

Mehrheit der Österreicher gegen EU-Beitritt der Ukraine
Dafür brauchen wir die EU – Österreichs Parteien uneinig

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