Minister Kocher
Lehre für ältere Menschen mit neuem Konzept

Arbeitsminister Martin Kocher im Gespräch mit RMA-Chefredakteurin Maria Jelenko | Foto: Markus Spitzauer
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In Österreich stellt der Fachkräftemangel in vielen Branchen ein großes Problem dar. Im Gespräch mit den Regionalmedien Austria (RMA) denkt Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) laut über Lehre mit Matura, Image und Attraktivierung des Lehrberufs und über Anreize nach, ältere Menschen für die Lehre zu gewinnen.

ÖSTERREICH. Der Einfluss der Pandemie hat auch vor den Lehrberufen nicht halt gemacht. Wie das Arbeitsministerium gegenlenken will, um fehlende Lehrlinge wieder in die Betriebe zu bringen, erklärt Kocher im Interview.

RMA: Herr Minister, rund 14.000 offene Lehrstellen stehen derzeit 10.100 Suchenden gegenüber. Mehr als 3.700 Ausbildungsplätze sind somit österreichweit unbesetzt. Wie kann man dem Fachkräftemangel entgegensteuern?

Martin Kocher: Die Lehrlingsausbildung ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Faktor – viele Unternehmen haben die Zeichen der Zeit erkannt und versuchen mehr Lehrlinge einzustellen. Wir haben durchaus mehr offene Lehrstellen als noch vor der Krise, aber nicht genug Lehrlinge. Das liegt auch daran, dass die Krise in gewisser Weise noch nachhängt. Viele potentielle Lehrlinge sind in den Schulen geblieben. Ich glaube aber, dass sich die Lage normalisieren wird. Wir setzen sehr viel daran, dass die Lehrlingsausbildung vom Ruf her in der Bevölkerung positiver gesehen wird – nicht als Sackgasse, sondern als große Chance für junge Menschen, sich gut auszubilden und auch nach Lehrabschluss Möglichkeiten für Weiterbildung sehen, etwa den Bachelor oder den Master-Professional.

In Österreich gibt es 10.000 Lehrbetriebe weniger als noch vor zehn Jahren, die Zahl der Lehrlinge ist in diesem Zeitrum um 25.000 zurückgegangen. Gibt es dagegen langfristige Rezepte?
Ich glaube, dass die Unternehmen in den nächsten Jahren sehr stark wieder auf die Lehrlingsausbildung setzen müssen. In den letzten zehn Jahren gab es fast immer ein Überangebot an Fachkräften, außer in Hochkonjunkturzeiten. Nun zeichnet sich auch demographisch ein Fachkräftemangel ab – es ist im großen Interesse der Unternehmen, diese Fachkräfte selbst auszubilden, weil sie am Markt  nicht verfügbar sind. 

Vor allem bei den weiterführenden Schulen sieht man  mit fast 65 Prozent den Rückgang besonders deutlich. Wie kann man hier ansetzen?
Da geht’s um die Frage, wie man Lehre mit und nach der Matura verbindet. Ich glaube, Lehre nach der Matura ist ein zukunftsweisendes Konzept, um Schülerinnen und Schüler, die vielleicht noch nicht genau wissen, was sie machen wollen, auch noch etwas später für die Lehre zu begeistern. Die Lehre nach der Matura dauert dann nur zwei Jahre. Es wird künftig also entscheidend sein, Menschen nicht nur im Alter von 15 Jahren für die Lehre zu gewinnen.

Ende August befanden sich 91.830 Lehrlinge in heimischen Ausbildungsbetrieben - ein Minus von 0,5 Prozent Lehrlingen gegenüber dem Vorjahresmonat, trotz der breiten Kampagne „Lehre stärken #schaffenwir“. Wie kann man Lehre attraktivieren?
Wir haben tatsächlich in den letzten 20 Jahren sehr viel über den Versuch, die AkademikerInnenquote zu erhöhen, gesprochen. Dadurch ist die klassische Lehre vielleicht in der öffentlichen Wahrnehmung zu kurz gekommen. Wir haben aber auch eine Reihe an neuen Lehrberufen geschaffen. Jeder weiß, wie schwierig es derzeit ist, HandwerkerInnen zu bekommen, dadurch steigt vielleicht auch die öffentliche Wahrnehmung und die Bereitschaft von Eltern, ihren Kindern eine Lehre statt einer höheren Schule zu empfehlen.

Glauben Sie, dass durch die Aufwertung des Meistertitels das Image steigt?
Österreich ist ein Land, in dem Titel eine gewisse Rolle spielen. Ich glaube, es geht aber um das Gesamtkonzept. Man braucht viele Zugänge zur Lehre, und vor allem Durchlässigkeit. 

Die Berufs-EM (EuroSkills) ist ja heuer in Graz, wo sich junge Fachkräfte international mit den Besten sozusagen. Trägt diese Event auch zum Ansehen bei?
Auf jeden Fall! Solche Veranstaltungen sind ganz wichtig, um die Breitenwirksamkeit von Lehre und Ausbildung zu feiern und auch zu zeigen, was alles in Österreich möglich ist. Die duale Ausbildung in Österreich ist ein Exportschlager und Vorbildmodell für viele andere Länder der Welt. Mit der Ausbildungsgarantie bis 18 stellen wir ebenfalls für andere Länder, wie etwa Deutschland, ein Vorbild dar. Ich denke, in diesem Bereich sind wir recht gut aufgestellt. Jetzt geht es darum, mehr junge Leute von der Lehre zu überzeugen, aber ich glaube wir sind auf einem guten Weg.

2020 waren bereits 12,2 Prozent der Lehranfänger älter als 18 Jahre, Tendenz stark steigend. Es fehlt aber ein attraktives Anreiz-Modell Lehre für Erwachsene und Maturanten: Welche Ansätze werden da verfolgt? 
Das erfolgt punktuell. Die Lehre nach der Matura ist ein Projekt, das gesetzlich verankert und zugelassen ist. Es gibt einzelne Lehrklassen, die nur dafür geschaffen werden. Eventuell kann man da nachschärfen, etwa für manche Berufe die Ausbildungszeit herabzusetzen. Wir sollten auch Menschen aus dem Schulbereich ansprechen, die eine geringe fachliche Qualifikation mitbringen, um sie besser zu qualifizieren und ihnen bessere Jobchancen zu verschaffen.

Von der Langzeitarbeitslosigkeit besonders betroffen sind ältere Arbeitnehmer. Wie kann man mehr ältere Menschen in die Lehre bringen oder auch mehr Quereinsteiger gewinnen?
Da stellt sich auch die Frage: Ist eine zwei- oder dreijährige Lehre dafür das richtige Instrument? Die Lehre mit drei Jahren ist ein Konzept, das vor allem für junge Menschen ausgerichtet ist. Da müssen wir schauen, ob das auch für ältere Menschen funktioniert. 

Vor allem junge Mädchen schlagen immer noch selten technische Karrierewege ein, auch wenn Metalltechnik und Elektrotechnik sich unter den zehn häufigsten Lehrberufen von Mädchen befinden. Wie kann sie für technische Lehrberufe begeistern? 
Das ist auf allen Ebenen schwierig. Es geht ja nicht nur um den Lehrberuf, sondern auch um technische Schulen, HTLs und Universitäten, wo Mädchen und junge Frauen unterrepräsentiert sind. Wir versuchen diese über das AMS mit finanziellen Mitteln für Handwerk und Technik zu begeistern, sie bei der Ausbildung zu unterstützen. Da gibt es eine Reihe von Projekten auf Landesebene. Aber ich glaube, wir brauchen auch einen gesellschaftlichen Wandel – auch wenn sich in den letzten zehn Jahren schon viel geändert hat. Dabei geht es oft um eine gewisse kritische Größe: Ab 15-20 Prozent Anteil fällt es Mädchen psychologisch leichter. Darunter brechen viele die Ausbildung ab. Es ist übrigens erwiesen, dass Mädchen besser in Mathematik sind als Buben, leider wird es in der öffentlichen Wahrnehmung oft gar nicht so gesehen.

Der Bedarf an „grünen“ Berufe steigt. Gibt es entsprechende Anreize, mehr Lehrlinge für diese Berufe zu interessieren?
In den Bereichen Elektriker, Klimatechnik usw. gibt es eine Reihe von Lehrberufen, wo es  Anknüpfungspunkte dazu gibt. Die Lehrinhalte ändern sich jetzt schon laufend. Jeder Gebäudetechniker muss heute auch über Umweltthemen Bescheid wissen. Darüber hinaus wollen wir zusätzliche Mittel über eine Stiftung für den Bereich Klimapolitik frei machen, speziell für Menschen, die arbeitslos geworden sind. 

Für 2021 hatte Ministerin Schramböck eine Pflegelehre angekündigt. Wann kommt dieser Ausbildungsweg? 
Wir treffen alle Vorbereitungen, damit die Pflegelehre in naher Zukunft in Pilotregionen startet. Hier geht es auch um die Frage, ab wann man 15-Jährige in die Praxis lässt, die oft psychologisch herausfordernd ist. Wir evaluieren die Bereiche stationäre Pflege in Krankenhäusern, sowie mobile Pflege. 

Liste der Wirtschaftskammer (WKO):
Lehrberufe in Österreich

„Lehre und Studium" bietet doppelte Karrierechancen
Sebastian Kurz: Keine Unterstützung für Arbeitsunwillige

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