Polizei zu wenig restriktiv?
Nach Demo Rücktrittsaufforderungen an Nehammer

- Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) im Visier von Kritikern aufgrund der Handhabung der Polizei bei den Demos in der Wiener Innenstadt.
- Foto: BKA/Andy Wenzel
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Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik und Teile der Grünen verurteilen die Politik von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) punkto Abschiebungen von bereits integrierten Familien sowie die Handhabung der Demonstration gegen Corona-Maßnahmen. Kritiker fordern ihn zum Rücktritt auf. Einen politischen Schlagabtausch gab es zwischen FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl (FPÖ) und Nehammer. Die ÖVP wirft Kickl "propagierte Nicht-Einhaltung der geltenden Covid-Maßnahmen" vor.
ÖSTERREICH. Trotz offiziellen Demonstrationsverbots gingen am Sonntag bis zu 10.000 Menschen in Wien unter dem Deckmantel "Spaziergang" gegen die CoV-Maßnahmen der Regierung auf die Straße. Auch aus Bundesländern waren Busse angereist, die sich am Vormittag bei der Westeinfahrt sammelten. In mehreren "Spaziergängen" ging es in die Innenstadt. Bilanz: Zehn Festnahmen, vier verletzte Polizisten, und rund 850 Anzeigen. Die Proteste sorgten für einen politischen Schlagabtausch zwischen Nehammer und seinem Vorgänger Kickl. Für die Einen war die Polizei zu hart gegen Demonstranten vorgegangen, für Andere waren die Beamten zu wenig restriktiv und hätten vor allem die rechten Teilnehmer geschützt.
Angriffe auf Journalisten werden scharf verurteilt
Auf Twitter waren am Sonntag Abend Videos zusehen, die Übergriffe auf Journalisten zeigten. Nehammer sagte, man werde jedem Hinweis nachgehen, wo es zu Gewaltaktionen gegen die Presse gekommen sein soll. „Die gestrigen Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten durch manche Teilnehmer der Anti-Corona-Demo sind indiskutabel. Die freie Presse muss zu jedem Zeitpunkt ihrer Arbeit nachgehen können und die Exekutive hat das sicherzustellen“, so Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, die Beschäftigte im Journalismus vertritt. Teiber appelliert auch an die Demonstranten: „Es ist eine Sache seine Meinung auf der Straße kundzutun. Gewerkschaften waren immer Verfechter des Demonstrationsrechts. Gewalttätigte Ausschreitungen aber sind zu verurteilen. Beteiligen Sie sich nicht an Angriffen auf die freie Presse!“
Die Gewerkschafterin wendet sich auch an den Innenminister: „Wenn bei Demonstrationen bereits Ausschreitungen gegen Journalistinnen und Journalisten zu erwarten sind, dann braucht es eine Schutzstrategie seitens der Polizei. Wir wollen keine amerikanischen Zustände."
Kritik an Nehammer
Die Wiener Polizei hätte am Sonntag trotz offiziellen Verbots tausenden "Coronaleugner_innen, Neonazis und der FPÖ (samt Abgeordneten) einen stundenlangen Freigang durch Wien gewährt", lautet die Kritik der Plattform für eine menschliche Asylpolitik.
Anstatt die Versammlungen unverzüglich aufzulösen, hätte die Polizei-Einsatzleitung den Rechtsextremen die Straßen freigemacht und dabei auch antifaschistische Blockaden aus dem Weg geräumt. Polizeipräsident Pürstl habe Märsche der rechtsextremen Hooligan-Szene und der „Identitären Bewegung“ teilweise völlig unbegleitet, marodierend und den Hitlergruß zeigend durch die Stadt ziehen lassen. Nach dem indirekten Aufruf von FPÖ-Generalsekretärs Kickl, sich den Demoverboten zu widersetzen (Facebook: „wenn ihr morgen alle demonstrierend auf die Straße gehen würdet“), hätte man im Innenministerium offenbar das Motto „Straße frei für Neonazis und FPÖ!“ ausgegeben, so die Kritiker.
Kritisiert wird auch, dass, wenn es sich um antifaschistische Proteste gehandelt hätte, die Polizei sofort mit Pfefferspray, Tränengas, Wasserwerfern und Knüppel vorgegangen wäre.
Rücktrittsaufforderungen kommen auch von den Grünen und Alternativen Student_innen (GRAS). Aktivistin Keya Baier: “Während vor wenigen Tagen die WEGA samt Hundestaffeln ausgerückt ist, um demonstrierende Schüler_innen vor einer Kinder-Abschiebung aus dem Weg zu räumen, marschierte die Polizei gestern mit tausenden Rechtsextremen und Corona-Leugner_innen durch die Wiener Innenstadt.” Für die GRAS stellen die Demonstrationen eine Bedrohung für die freie und offene Gesellschaft dar: Seit Jahrzehnten seien nicht mehr so viele Menschen mit anerkannten Neonazis auf die Straße gegangen.
Nehammer: Teilnehmer wollten Parlament besetzen
Nehammer betonte am Sonntagabend, dass der Einsatz „eine eigene Dynamik entwickelt hat“, so hätten Teilnehmer unter anderem auch versucht, die Parlamentsrampe zu stürmen und das sich derzeit in Renovierung befindliche Parlament zu besetzten. „Es war immer notwendig, taktisch neu zu entscheiden“, sagte der Innenminister.
Erst am späten Abend wurde die Demo aufgelöst. Der Polizeieinsatz werde genauestens evaluiert, damit man sich noch effizienter aufstellen könne, kündigte Nehammer an.
"Es macht mich fassungslos mitansehen zu müssen, wie Einsatzkräfte, die seit Monaten einen erheblichen Teil zur Bewältigung der Coronakrise beitragen, derart widerlichen Angriffen ausgesetzt sind. Herbert Kickl, seines Zeichens Ex-Innenminister, wird als ‚Brandstifter und Anführer‘ für die heutigen Ausschreitungen und die neuerliche Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung Verantwortung übernehmen müssen“, bekräftigte der Sicherheitssprecher der Volkspartei, Karl Mahrer am Sonntag in einer Aussendung.
Kritik kommt auch von der FPÖ
Nehammer und Co. hätten mögliche Eskalationen bei den Protesten gegen die Corona-Politik der Regierung mutwillig und aus rein parteipolitischen Gründen provoziert, hieß es in einer Aussendung von Kickl am Sonntag. Der ÖVP-Innenminister trage dafür die volle Verantwortung, so der ehemalige Innenminister, der im Vorfeld alle Regierungskritiker "zur Besonnenheit" aufgerufen hatte.
„Das Innenministerium hat der sonst so besonnen agierenden Polizeiführung ‚befohlen‘, die für Sonntag angemeldete Großdemo, unsere Kundgebung und weitere Demonstrationen zu untersagen. Nehammer und Co. haben den Menschen damit die Möglichkeit genommen, ihren Protest gegen die Regierungspolitik in einer gut organisierten Versammlung zu artikulieren, bei der die Veranstalter auch für den friedlichen und reibungslosen Ablauf die Verantwortung übernommen hätten. Durch die Untersagung besteht leider Eskalationspotenzial“, so Kickl.
Widerspruch von der ÖVP
Herbert Kickls "Verbrüderung mit Rechtsextremen und Corona-Leugnern" erreiche einen neuen Tiefpunkt, hieß es in einer Aussendung der ÖVP. Der FPÖ-Klubobmann würde sich öffentlich hinter den bekannten Neonazi Gottfried Küssel und den Chef der Identitären Bewegung, Martin Sellner, stellen. "Dass Kickl dem Innenminister Karl Nehammer unterstellt, eine Weisung zur Absage der Demo getätigt zu haben, ist eine bewusst gestreute Unwahrheit. Gerade als Ex-Innenminister sollte Kickl wissen, dass derart sensible Entscheidungen immer in einer Einzelfallprüfung der zuständigen Behörden getroffen werden. In diesem Fall haben die Sicherheitsbehörden die Entscheidung gemeinsam mit den Gesundheitsbehörden getroffen“, betont der Klubobmann der Volkspartei, August Wöginger.
Seitens der Kickl-FPÖ würden Menschen zum Gesetzesbruch aufgefordert werden. "Die propagierte Nicht-Einhaltung der geltenden COVID-Maßnahmen stellt eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit dar. Der FPÖ-Klubobmann hat die rechte Szene mobilisiert, Ausschreitungen in Kauf genommen und somit bewusst Polizistinnen und Polizisten in Gefahr gebracht. Das ist eines Ex-Innenministers unwürdig und stellt eine ganz neue Dimension dar“, so Wöginger.
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