Studie 2020
Verschwörungsmythen und Antisemitismus sind stark verknüpft

- Studienautorin Eva Zeglovits (Ifes), Studienkoordinator Thoma Stern (re.), Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) bei der Präsentation der Studie Antisemitismus 2020.
- Foto: RMA
- hochgeladen von Mag. Maria Jelenko-Benedikt
"Antisemitismus ist vergleichbar mit Judenhass. Das ist kein aktuelles Phänomen, sondern gab es auch in der Antike." Und: "Steoreotype haben sich Jahrhunderte lang gehalten. Heutzutage tritt Antisemitismus wieder lauter auf", sagte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bei der Präsentation der Anitsemitismusstudie 2020 am Freitag, dem Jahrestag des Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland und 600. Jahrestag der Vernichtung der jüdischen Gemeinde in Wien. Eine hohe Neigung zu Verschwörungsmythen gehe laut Studienergebnissen oft Hand in Hand mit antisemitischen Einstellungen, so Sobotka.
ÖSTERREICH. Auch zwischen einem hohen Vertrauen in Soziale Medien und Antisemitismus gibt es einen Zusammenhang. Das zeigt die am Freitag von Sobotka gemeinsam mit Eva Zeglovits (IFES) und Studienkoordinator Thomas Stern (Braintrust) präsentierte Antisemitismusstudie 2020, die IFES im Auftrag des Parlaments erstellt hat. Sobotka setzt damit die Forschungsarbeit der Antisemitismus-Studie 2018 fort.
"Unser Ziel ist es, Antisemitismus in Österreich nachhaltig wissenschaftlich zu beobachten und auch in einen Kontext zu aktuellen Entwicklungen zu stellen", so Sobotka. Mediale Einflüsse auf antisemitische Einstellungen sowie antisemitische Verschwörungsmythen rund um die Corona-Pandemie wurden daher als zusätzliche Themen der Studie 2020 in das Forschungsvorhaben aufgenommen.

- Affektiver Antisemitismus: eine tief sitzende emotionale Abneigung gegen Juden und Jüdinnen. Die Ressentiments kommen aus dem Bauch, nicht aus dem Kopf. Es wird nicht versucht, Argumente für die Ablehnung zu finden. Affektive Antisemiten glauben an Rassentheorien, die Juden eine grundsätzliche Andersartigkeit unterstellen: betreffend ihr Aussehen, ihren Charakter, ihr Verhalten und ihre Einstellungen. Sie behaupten, dass diese – allesamt negativen - Eigenschaften dazu beigetragen hätten, dass Juden verfolgt worden seien. Damit machen sie die Opfer zu Tätern. Das Motiv dahinter ist häufig eine Abwehr von Schuld, wie auch bei der Verharmlosung oder Leugnung des Holocaust. Jedoch: Non-Antisemitismus ist 2020 gestiegen auf 56 Prozent.
- Foto: Ifes
- hochgeladen von Mag. Maria Jelenko-Benedikt
Wie stark sind antisemitische Einstallungen in Österreich ausgeprägt?
- Die Aussagen, die dem affektiven Antisemitismus (siehe Graphik) zuzuordnen sind, werden von 6 bis 13 Prozent als sehr oder eher zutreffend angesehen, die höchsten Anteile (12 bzw. 13 %) erreichen Aussagen, die eine Schuldumkehr im Sinne eines Vorwurfs der Assimilationsverweigerung implizieren („Juden haben wenig Interesse, sich in das jeweilige Land zu integrieren, in dem sie eben. Das ist der Hauptgrund für ihre ständigen Probleme“ sowie „Es ist nicht nur Zufall, dass die Juden in ihrer Geschichte so oft verfolgt wurden; zumindest zum Teil sind sie selbst schuld daran“), die niedrigsten mit jeweils 6 Prozent die rassistische Aussage „Von einem Juden kann man nicht erwarten, dass er anständig ist“ sowie die Holocaust-Verharmlosung „In den Berichten über Konzentrationslager und Judenverfolgung im 2. Weltkrieg wird vieles übertrieben dargestellt“.
- Deutlich höher ist der Anteil an Personen, die die Aussagen des pseudorationalen Antisemitismus als sehr oder eher zutreffend empfinden – er schwankt zwischen 11 und 31 Prozent. Die besonders hohe Zustimmung von 31 Prozent erreicht die vermeintlich positive Formulierung „Die meisten Juden sind außergewöhnlich intelligent und wohlhabend“, immerhin 28 Prozent die Aussage „Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der NaziZeit Opfer gewesen sind“. Vergleichsweise niedrigere 11 Prozent finden die Aussage „Juden haben in Österreich zu viel Einfluss“ sehr oder eher zutreffend.
- Der Non-Antisemitismus (die unbefangene Grundeinstellung zu Juden und Jüdinnen) ist stärker verbreitet als der affektive und der pseudorationale Antisemitismus: 62 Prozent bewerten die Aussage „Juden haben viel zum kulturellen Leben in Österreich beigetragen“ als sehr oder eher zutreffend, 49 Prozent die Aussage „Wegen der Verfolgung der Juden während des 2. Weltkriegs haben wir heute eine moralische Verpflichtung, den Juden in Österreich beizustehen“
Hoher Antisemitismus bei Anhängern von Verschwörungsmythen
Die Studie zeigt, dass eine hohe Neigung zu Verschwörungsmythen Hand in Hand mit stark ausgeprägten antisemitischen Einstellungen geht. Das zeigt sich am deutlichsten bei den Aussagen des pseudorationalen Antisemitismus, die negative Einstellungen zu Juden stets mit vermeintlich rationalen Erklärungen aus dem verschwörungsmythischen Spektrum versehen. Dasselbe trifft auf die zwei Aussagen mit Bezug auf die Corona-Pandemie zu. Da Verschwörungsmythen in der Pandemie regen Zulauf haben, ist dieser Aspekt in Hinblick auf Antisemitismus besonders relevant. Verschwörungsmythen, die aus der Pandemie entstehen, können so leicht auf Jüdinnen und Juden projiziert werden. Der Aussage "Eine mächtige und einflussreiche Elite (z.B. Soros, Rothschild, Zuckerberg…) nutzt die Corona-Pandemie, um ihren Reichtum und den politischen Einfluss weiter auszubauen" stimmen beispielsweise 59 Prozent der Befragten mit hohem Hang zu Verschwörungsmythen zu.
Zwei in der Studie 2020 erstmals formulierte Aussagen aus den antisemitischen Verschwörungsmythen rund um die Corona-Pandemie werden recht unterschiedlich bewertet: Während nur drei Prozent der Befragten die Aussage „Juden haben das Corona-Virus erschaffen, um die Wirtschaft lahmzulegen und finanziellen Profit daraus zu ziehen“ als sehr oder eher zutreffend empfinden, sind es bei der Aussage „Eine mächtige und einflussreiche Elite (z. B. Soros, Rothschild, Zuckerberg, …) nutzt die Corona-Pandemie, um ihren Reichtum und politischen Einfluss weiter auszubauen“ 31 Prozent.
Projektkoordinator Thomas Stern verweist darauf, dass der Antisemitismus auf jahrhundertealten Traditionen von Verschwörungsmythen basiert: "Heute jährt sich etwa die planmäßige Vernichtung der jüdischen Gemeinde in Wien, die als 'Wiener Gesera' bezeichnet wird, zum 600. Mal. Krisenzeiten sind nicht nur in der Geschichte, sondern auch heute Hochkonjunktur für Verschwörungsmythen, die auch aktuell in einem eindeutigen Zusammenhang zu Antisemitismus stehen", erläutert Stern.

- Schon in der Geschichte wurden Jüdinnen und Juden verfolgt und getötet.
- Foto: antisemitismus2020.at
- hochgeladen von Mag. Maria Jelenko-Benedikt
Zusammenhang zwischen Vertrauen in Medien und Antisemitismus
Der im Rahmen der Antisemitismusstudie 2020 erstmals untersuchte Zusammenhang zwischen dem Vertrauen in (Soziale) Medien und Antisemitismus zeigt ein klares Bild: In Österreich vertraut zwar nur eine Minderheit Nachrichten aus Sozialen Medien. Wer dies tut, weist allerdings überdurchschnittlich starke antisemitische Einstellungen auf. Wer hingegen traditionellen Medien vertraut, bewertet antisemitische Aussagen häufiger als unzutreffend, zeigt die Studie. "Unsere Zahlen belegen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Vertrauen in Soziale Medien, Verschwörungsmythen und Antisemitismus. Den Gegenpol bilden traditionelle Medien, die weiter ein hohes Maß an Vertrauen genießen und deren Leserinnen und Leser deutlich weniger antisemitischen Einstellungen zustimmen", so Studienleiterin Eva Zeglovits.
Antisemitismus im Vergleich
Auf Basis einer Spezialauswertung der Antisemitismuserhebung 2018 wurden zwei Dimensionen des Antisemitismus differenziert: der affektive, emotional getriebene sowie der pseudorationale, mit vermeintlichen "Belegen" argumentierende Antisemitismus. Nicht-antisemitische Haltungen wurden in der Dimension "Non-Antisemitismus" zusammengefasst. Laut der Studie werden Aussagen, die dem affektiven Antisemitismus zuzuordnen sind, aktuell von 8% der Befragten vertreten (2018: 12%). Deutlich höher ist mit durchschnittlich 23% der Anteil an Personen, die die Aussagen des pseudorationalen Antisemitismus als sehr oder eher zutreffend empfinden (2018: 34%). Der überwiegende Teil (56%) ist aber dem Non-Antisemitismus zuzuordnen (2018: 49%).
Laut IFES-Studienleiterin Eva Zeglovits sind die Ergebnisse der Befragungen 2018 und 2020 nur bedingt vergleichbar, da die Befragungen für die Studie unmittelbar nach dem islamistischen Terror-Anschlag am 2. November 2020 erfolgten. "Die zeitliche Lage der Feldforschung unmittelbar nach diesem traumatisierenden Ereignis dürfte die Tendenz sozial erwünschten Antwortverhaltens verstärkt haben", gibt Zeglovits zu bedenken. Ob sich antisemitische Einstellungen tatsächlich auch nachhaltig in relevantem Ausmaß reduziert haben, werde erst die Antisemitismusstudie 2022 nachweisen können.
Bildungsarbeit stärkt Erinnerungskultur
Ein wichtiges Ergebnis der Antisemitismusstudie ist das stark ausgeprägte Bekenntnis der Bevölkerung zur Erinnerungskultur. Die Mehrheit (57%) erklärt, dass das Ausmaß an Erinnerungskultur gerade richtig ist. 20 Prozent sprechen sich für weniger, 16 Prozent für mehr Gedenken aus. Die jüngsten Befragten (16 bis 25 Jahre) fordern hingegen deutlich öfter mehr Erinnerungsarbeit (30%). "Dies unterstreicht die große Rolle des Bildungswesens und zivilgesellschaftlicher Initiativen für Erinnerungskultur und Kampf gegen den Antisemitismus. Bildung wirkt gegen antisemitische Ressentiments und fördert den Einsatz für ihre Überwindung", so Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.
Konsequente Politik als Einflussfaktor
Sobotka stellt dazu fest: "Auch wenn es sich bei den Rückgängen um Effekte sozial erwünschten Antwortverhaltens handeln sollte, ist dies für uns relevant und wichtig. Denn dadurch wird eine wachsende Sensibilisierung für die Problematik des Antisemitismus deutlich, die wiederum Grundlage für eine tatsächliche Einstellungsänderung ist." Sobotka verweist auch darauf, dass die konsequente Position der Politik gegen Antisemitismus, die prononcierte Israelpolitik der Bundesregierung und die Zusammenarbeit mit Israel bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie deutlich positive Effekte haben. Dazu zählen auch Initiativen des österreichischen Parlaments wie der Simon-Wiesenthal-Preis, Seminare der Demokratiewerkstatt und die Leistungen des Nationalfonds. "Junge Menschen, Qualitätsmedien und verantwortungsvolle Politik sind jedenfalls wichtige Hoffnungsträger und Partner im Kampf gegen Antisemitismus", bilanziert der Nationalratspräsident.
Vergleich: Die Studienergebnisse im Jahr 2018

- Vergleich: Ergebnisse der Studie im Jahr 2018. Für die zweite Erscheinungsform des Antisemitismus ist der Versuch prägend, die judenfeindlichen Behauptungen zu belegen und „rational begründet“ erscheinen zu lassen. Hinter diesen vermeintlichen Erklärungen stecken traditionelle antisemitische Ressentiments und rassistische Zuschreibungen, die im Gegensatz zum affektiven Antisemitismus (der unverblümt aus dem Bauch kommt) pseudorational unterfüttert werden
– also scheinbar aus dem Kopf kommen. - Foto: Ifes
- hochgeladen von Mag. Maria Jelenko-Benedikt
Antisemitismusstudie 2020
Die Studie wurde von IFES in Zusammenarbeit mit DEMOX durchgeführt. Die Befragungen fanden im November 2020 statt. Die österreichweit repräsentative Erhebung (n=2.000) basiert auf bundesweit jeweils 800 telefonischen CATI-Interviews und 1.200 CAWI- bzw. Online-Interviews. Zusätzlich erfolgte eine Aufstockung von n=300 CATI-Interviews mit Personen mit Migrationshintergrund Türkei sowie von n=300 CATI-Interviews mit Personen mit Migrationshintergrund in einem arabischsprachigen Land. Die Ergebnisse dieser Aufstockungsgruppen werden nach einem Dialogprozess mit VertreterInnen dieser Gruppen gesondert präsentiert.
Mehr Informationen: www.antisemitismus2020.at
Die Daten wurden repräsentativ für Österreich erhoben. Die Verteilung auf die Bundesländer stellt sich wie folgt dar:
- Vorarlberg, Tirol, Salzburg 18 %
- Oberösterreich, Niederösterreich 36 %
- Kärnten, Steiermark, Burgenland 23 %
- Wien 21 %





