Ermittlungen laufen
Hat Müll-Mafia tausende Bürger abgezockt?

Theodor Thanner, Chef der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) | Foto: RMA
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Aufregung in Österreichs Gemeinden, nachdem die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern im März bei über 20 Unternehmen der Abfallwirtschaft Hausdurchsuchungen durchgeführt hat. Über 100 Personen waren in sechs Bundesländern im Einsatz. Im Raum steht der Verdacht der verbotenen Manipulationen bei Ausschreibungen, Preisabsprachen und Marktaufteilung. Im Gespräch mit den Regionalmedien Austria (RMA) erklärt BWB-Chef Theodor Thanner die Lage genau.

ÖSTERREICH. Betroffen von den Ermittlungen sind Unternehmen in den Bundesländern Niederösterreich, Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark und Wien. Es besteht der Verdacht, dass mehrere Unternehmen im Bereich Abfallwirtschaft gegen kartellrechtliche Vorschriften über einen längeren Zeitraum verstoßen haben. Der Verdacht umfasst Preisabsprachen, Marktaufteilungen sowie Absprachen bei Ausschreibungen. Laut internationalen Erfahrungen bieten Müllkartelle ihre Dienste üblicherweise rund 20-25 Prozent über dem Marktpreis an. BWB-Chef Theodor Thanner erklärt im Gespräch mit den Regionalmedien Austria (RMA):

"Wir vermuten, dass sich die verdächtigen Unternehmen untereinander ausgemacht haben, wer wo Müll sammelt und dafür wie viel verrechnet.".

Erhärtet sich der Verdacht, dann mussten tausende Bürger seit Jahren möglicherweise bei Abfallgebühren ungerechtfertigt Differenzen ausgleichen - über Abgabenerhöhungen. Vor allem Bewohner kleinerer Gemeinden könnten Schaden genommen haben – wie hoch dieser ist, werde erst nach Abschluss der Kartellverfahren ermittelt. Der Gemeindebund fordert lückenlose Aufklärung. Bei einer Verurteilung müssen die verantwortlichen Betriebe mit einer Strafe von bis zu zehn Prozent ihres Jahresumsatzes rechnen. In Österreich sind rund 300 Unternehmen in der hoch lukrativen Abfallwirtschaft tätig – der Jahresumsatz in dieser Branche beträgt über fünf Milliarden Euro.

RMA: Herr Thanner, wie stehen derzeit die Untersuchungsergebnisse?

Theodor Thanner: Die Untersuchungen sind nun abgeschlossen. Nach den Durchsuchungen werden wir den Verdacht verifizieren bzw. falsifizieren. Über 20 Betriebe in sechs Bundesländern, insgesamt über 100 Leute waren im Einsatz, meine Teams wurden unterstützt durch das Bundeskriminalamt und die jeweiligen Landeskriminalämter. Der Verdacht ist, dass es Preis- und Gebietsabsprachen gegeben hat, sowie Absprachen bei Ausschreibungen. Der Verdacht hat ausgereicht, dass wir richterliche Hausdurchsuchungsbewilligungen bekommen haben. 

In welchem Bereich der Abfallwirtschaft besteht der Verdacht verbotener Abläufe?
Thanner: Im Bereich Müllsammlung. Das könnte so abgelaufen sein: Schreibt eine Gemeinde eine Abfallsammlung aus, machen sich lokale Abfallsammler mit dem Abfallsammler aus einer andere Gemeinde aus, dass man nur in bestimmten Gemeinden sammelt. Oder man bietet beispielsweise zu Viert bei der Ausschreibung mit. Dabei bietet einer der vier Betriebe den günstigsten Preis, der aber immer noch über dem Marktpreis liegt. Diese Differenz bei Kartellen liegt im Schnitt üblicherweise bei 25-30 Prozent. Die Gemeinde muss dann die Gebühren erhöhen, um diese Preise finanzieren zu können. 

Diese 25 Prozent würden dann zu Lasten der Einwohner gehen?
Thanner: Ja, fallen höhere Preise an, so schlägt sich das in der Folge in der Erhöhung der Abfallgebühren nieder. Die Gemeinden müssen das ja finanzieren. Das spürt dann jeder Einzelne.

Warum erfolgt erst jetzt eine richterliche Anordnung, wenn diese illegalen Vorgehensweisen möglicherweise seit Jahren laufen?
Thanner: Die Anordnung passierte aufgrund des Antrags unserer BWB. Solche Kartelle und Absprachen haben es an sich, dass man viel kriminelle Energie darauf verwendet, dass niemand davon erfährt.

Seit wann ermitteln Sie in dem Fall?
Thanner: Wir wissen seit November 2020 des Vorjahrs, dass wir handeln können. Und wir wussten auch, dass wir schnell handeln müssen, weil sonst möglicherweise Material verschwindet. Das ist immer die Gefahr.

Was genau wurde beschlagnahmt?
Thanner: Es geht konkret um Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Ausschreibungen im Bereich der Abfallsammlung. Das nun sicher gestellte Material besteht zum einen Teil aus Papier, der andere Teil aus elektronischem Material, also vor allem E-Mails. Mit geeigneter Software kann man die Texte nach bestimmten Suchwörtern automatisch durchsuchen lassen. Wir haben eine solche Software auch im Jahr 2017 beim Verdacht eines Baukartells im Einsatz gehabt, 2.000 Vergabeverfahren auf diese Weise angesehen und sind damit erst jetzt fertig geworden. Damals waren das 57 Terrabite Material. Ziel ist, dass wir mit dem Sichten bis September 2021 fertig sind, bis dahin könnten wir genügend Beweise gesammelt haben, um vor Gericht gehen zu können, wenn sich der Verdacht erhärtet.  Der Gemeindebund fordert zwar raschere Aufklärung, aber wir müssen uns bei der Auswertung an die Vorgaben halten. 

Erhärtet sich der Verdacht: Um wieviel Prozent wurde dann der marktübliche Preis überschritten? 
Thanner: Es geht um den entstandenen Schaden, der erst in einem allfälligen Schadenersatzprozess festgestellt wird, wenn das Kartellverfahren vorbei ist. 20-25 Prozent Aufschlag sind laut Untersuchungen der OECD üblich, das heißt, die Preise werden von Kartellen meist um 20 bis 25 Prozent höher angesetzt, als marktüblich ist.

Sollte sich der Verdacht erhärten, wie hoch ist dann das Bußgeld?
Thanner: Das Maximum, das das Gericht verhängen kann, beträgt zehn Prozent des Jahresumsatzes des jeweiligen Unternehmens. Aber jetzt muss zuerst einmal der Verdacht verifiziert werden.

Wie darf man sich solche Absprachen in der Regel vorstellen?
Thanner: Man trifft sich irgendwo, es gibt nichts Schriftliches, telefoniert nur, um Beweise zu umgehen. Wir sind gespannt, was die Auswertung ergibt. 

Seit dem Jahr 2013 steigt das Abfallvolumen in Österreich stark an, sehr zur Freude der Abfallwirtschaft. | Foto: Umweltbundesamt
  • Seit dem Jahr 2013 steigt das Abfallvolumen in Österreich stark an, sehr zur Freude der Abfallwirtschaft.
  • Foto: Umweltbundesamt
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Abfallwirtschaft in Österreich

Das Abfallwirtschaftsgesetz (AWG 2002) stellt neben europarechtlichen Vorgaben, die wichtigste gesetzliche Grundlage für diese Branche dar und regelt die Abfallvermeidung, das Recycling, die sonstige Verwertung (zB energetische Verwertung) sowie die Beseitigung von Abfall. Zusätzlich sind in allen Bundesländern Landesgesetze für die Abfallwirtschaft in Kraft, welche die kommunale Abfuhr von Abfällen, die Einhebung der Abfallgebühren sowie die Planung von Anlagen regeln.

Die Abfallwirtschaft wird in die Bereiche Abfallsammlung, Abfallbehandlung und -beseitigung sowie Rückgewinnung gegliedert. Weiters kann zwischen Siedlungsabfällen und Wirtschaftsabfällen mit weiteren Segmentierungen unterschieden werden.

Ungefähr 300 Unternehmen sind im Markt für Abfallwirtschaft aktiv in Österreich. Neben einigen überregional agierenden Marktteilnehmern, sind viele kleinere Unternehmen im regionalen Raum tätig.

Das Abfallaufkommen lag in Österreich bei ca. 66,5 Millionen Tonnen im Jahr 2018 mit einer steigenden Tendenz im Vergleich zu den Vorjahren. Die Branche erzielte einen Gesamtumsatz in Höhe von 5,16 Milliarden Euro im Jahr 2018. Davon weisen die sechs größten Unternehmen gemeinsam einen Umsatz von ca. zwei Mrd Euro auf.

Mehr Informationen: Bundeswettbewerbsbehörde (BWB)

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