Alzheimer: Ein Leben ohne Erinnerungen

Alzheimer ist ein sehr intimes Thema für die Betroffenen und ihre Familien, über das aber offen gesprochen werden sollte. | Foto: bezirk-oberbayern.de
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Den Schlüssel zu verlegen, ist ein Zeichen der Vergesslichkeit. Treten häufiger und über längere Zeit Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, der Konzentration oder der Orientierung auf, dann spricht man – v. a. bei älteren Menschen – von Symptomen der Demenzerkrankung.
Weltweit, so wird geschätzt, leiden rund 35 Millionen Menschen an der Erkrankung, gut 100.000 Österreicher sind betroffen. Dennoch: Über ein Leben mit Alzheimer zu sprechen und offen damit umzugehen, wirkt immer noch, als würde ein Tabu gebrochen. Die Gründe dafür sind Angst, Scham oder Hilflosigkeit. Dabei kann diese schleichende Krankheit jeden von uns treffen. Und es gibt ein Leben nach der Diagnose. Deshalb haben wir uns anlässlich des "Welt-Alzheimer-Tags" mit Familienangehörigen demenziell Erkrankter unterhalten und offen über ein Leben voller Herausforderungen, aber mit jeder Menge Überraschungen, Erinnerungen und die Kleinigkeiten des Lebens gesprochen.

Etwas zurückgeben

„Am meisten fehlt mir seine typische Begrüßung – er hat sich immer an die Tür gelehnt und gepfiffen, wenn wir gekommen sind.“ Sabine Psenicniks Schwiegervater bewohnt das SeneCura Gratkorn, der 87-Jährige ist demenziell erkrankt. „Früher war er sehr aktiv. Er ist mit dem Rad bis nach Andritz ans Grab seiner Frau gefahren. Er hat auch gerne Fußball geschaut und fleißig die Zeitung gelesen. Doch plötzlich interessierte er sich für nichts mehr. Und wenn wir ohne Anmeldung gekommen sind, dann war es kaum möglich, ihn aus dem Bett zu bekommen“, sagt Psenicnik über die Zeit, als die Familie bemerkte, dass irgendetwas mit dem Schwiegervater nicht stimmt. „Und unsere Vermutung wurde von einem Arzt schnell bestätigt. Demenz hat er, hieß es.“
Durch die rasche Früherkennung konnte entsprechend gehandelt werden. Mit Medikamenten und Gedächtnistrainings zur Mobilisierung wurden die Symptome seiner Alzheimer-Erkrankung gut eineinhalb Jahre noch hinausgezögert. „Sein Zustand blieb konstant, doch plötzlich ging alles rapide bergab. Von Null auf Hundert“, sagt die Schwiegertochter. „Man macht sich dann schon enorme Sorgen, dass der Zeitpunkt kommt, an dem er wegläuft oder sich etwas 'antut'. Das hat er ja immer gesagt, weil er sich bewusst war, was in ihm vorgeht.“
Zusammen mit der Tochter hat sich Psenicnik abwechselnd alle zwei Tage um den Schwiegervater gekümmert. Das bedeutete für die gesamte Familie, dass der Lebensablauf neu strukturiert werden musste: „Man erreicht sehr schnell seine persönlichen Grenzen, weil man sich um alles kümmern muss. Ich habe zum Beispiel Urlaube neu geplant oder Kaffeetrinken mit den Freunden auf andere Tage verschoben. Aber wenn man gemeinsam daran arbeitet, geht es schon.“ Eine Belastung sei die Betreuung für sie nie gewesen. „Mein Schwiegervater war sein Leben lang ein so herzensguter Mensch. Ich wollte ihm einfach etwas zurückgeben. Seine Betreuung war das Mindeste, was ich für ihn tun konnte“, lächelt Psenicnik sanft. Ob es auch gute Tage gibt, wollen wir wissen. „Aber ja, denn man wird wieder ein wenig offener für das Leben und schätzt die Kleinigkeiten viel mehr. Es gibt halt schlechte Tage, aber gute umso mehr.“

Privatsphäre schützen

Frau K. möchte namentlich nicht genannt werden. Zu privat, zu intim sei die demenzielle Erkrankung ihrer Mutter. „Man hat das Gefühl, den geliebten Menschen Stück für Stück zu verlieren. Oft wirkt sie, als würde sie in eine andere Welt verschwinden. Dann ist sie besonders hilflos. Die schlimmsten Momente sind nämlich die, in denen sie selbst bemerkt, dass sie erkrankt ist und vergisst.“
Angefangen hat alles damit, dass die Mutter ihre Schlüssel verlegt hat, die Tageszeiten nicht mehr zuordnen konnte, einfache Spiele nicht mehr spielen konnte, ihre Tochter unzählige Male ohne Grund angerufen oder ihr die Worte im Mund umgedreht hat. „Das hab ich persönlich genommen, weil ich anfangs nicht damit umgehen konnte“, sagt Frau K. Eine starke Frau sei sie gewesen, habe ihre Erkrankung selbst vor den unmittelbaren Nachbarn gut verheimlichen können – noch heute täusche die Mutter einen optimalen Zustand vor. Wahrscheinlich war es die Hilflosigkeit, vermutet Frau K. Als sich ihr geistiger Zustand jedoch verschlimmerte, konsultierte die Tochter einen Arzt und las sich durch etliche Ratgeber, um besser verstehen zu können, was der Familie bevorstand, und um die Furcht vor der Erkrankung Herr zu werden.
Einmal in der Woche war Frau K. zu Besuch bei ihrer Mutter und hat sich abwechselnd mit den Brüdern um die heute 80-Jährige gekümmert. Ihr Tagesablauf hatte sich gravierend geändert. „Als meine Kinder aus dem Haus waren, habe ich mir überlegt, wieder einen Teilzeitjob anzunehmen. Das ging aber nicht. Ich wollte stets verfügbar sein, falls etwas passiert“, sagt sie. Die Entscheidung, ihre Mutter schließlich in die Obhut einer externen Betreuung zu geben, fiel ihr nicht leicht. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht, was passiert, wenn sie nicht mehr greifbar für mich ist, wenn sie nicht mehr alleine leben kann. Ich habe lange mit mir selbst gehadert, ob ich mich überhaupt in die Krankheit einmischen soll. Ob ich in ihre Privatsphäre eingreifen darf.“ Dabei habe die Mutter selbst gesagt, sie würde lieber in ein Heim als sich in ihren eigenen vier Wänden zukünftig bevormunden zu lassen. So hat die Mutter vorgeschlagen, alle Angelegenheiten schriftlich festzuhalten. „Da hab ich gesagt, dass das nicht notwendig ist. Im Nachhinein wäre ich aber froh, wenn ich tatsächlich unterschrieben hätte“, meint Frau K., „es würde mein Gewissen beruhigen“. Im Sozialzentrum bekommt die Mutter die richtige Betreuung, versichert sie, „man spürt, dass sie dort geliebt wird. Es fehlt mir, dass sie mich ständig anruft.“

Emotionale Herausforderung

Bis Maria Koller bemerkte, dass ihre Mutter an Demenz erkrankte, dauerte es lange. „Sie war eine sehr selbstständige Frau und hat alles für sich selbst organisiert“, sagt Koller über die heute 96-Jährige. „Sie konnte ihren Zustand perfekt vertuschen. Ich denke, sie hatte einfach Angst und fühlte Scham.“ Als die Mutter jedoch begann, von sich aus zu erzählen, dass sie hin und wieder auf Kleinigkeiten vergisst – wie etwa auf die richtigen Zutaten, um ihren berühmten Kuchen zu backen –, wurde die Tochter hellhörig. „Eines Tages kam ich zu Besuch und bemerkte, dass das Tischtuch verkehrt herum war. Dann hab ich genauer hingeschaut. Die eine Seite hatte einen großen Brandfleck. Da habe ich mir natürlich große Sorgen gemacht. Und ich wusste, was mit ihr los ist“, sagt sie. Im Nachhinein betrachtet, so meint die Tochter, gab es weit mehr Situationen, die ein Anzeichen für die Erkrankung sein hätten können.
Koller befragte zuerst den Hausarzt und setzte sich schließlich mit einem Neurologen auseinander. „Am Tag, als wir den Termin beim Neurologen hatten, war sie so super beieinander, sodass selbst dieser gar nicht zu hundert Prozent feststellen konnte, ob sie wirklich schon Symptome von Alzheimer aufweist. In dieser gesamten ersten Phase war meine Mutter nicht ehrlich.“
Für Koller selbst war die Anfangsphase eine emotionale Herausforderung. Plötzlich war ihre Mutter nicht mehr dieselbe Person, plötzlich benahm sie sich anders und veränderte ihr Tun. „Es war schwer, ihr zu vermitteln, dass man ihrer Seele nur Gutes tun will und man für sie da ist, wenn das Gehirn etwas anderes sieht. Obwohl meine Mutter eine ruhige Person war, gibt es doch die Fälle, in denen demenziell Erkrankte ziemlich rabiat werden können.“
Sich Tag und Nacht um den Betroffenen zu kümmern, sei, meint Koller, eine Nervenprobe und mit viel Organisation verbunden. „Alleine geht das nicht. Das packt niemand, da müssen wir schon realistisch bleiben. Es gibt nämlich unzählige Situationen, die für einen Alzheimerpatienten richtig gefährlich werden können. Meine Mutter hat zum Beispiel oft den Herd angelassen. Und ich konnte nicht jede Minute bei ihr sein.“ Koller entschied sich deshalb vor drei Jahren für eine externe Betreuung, obwohl sie die Furcht der Mutter vor einem Heim nachvollziehen konnte: „Sie hatte Angst. Wer nicht? Wer will schon in ein 'Heim'? Mir fiel diese Entscheidung zwar nicht so leicht, aber ich wusste, dass das Personal im Sozialzentrum das Menschenmögliche und nur das Beste für meine Mutter tut.“

Rund 100.000 Österreicher sind betroffen

Die Demenzerkrankung Alzheimer wurde 1906 vom deutschen Psychiater und Neuropathologen Alois Alzheimer erstmals beschrieben. In Österreich leiden etwa 100.000 Menschen an einer demenziellen Erkrankung. 2050 wird diese Zahl auf etwa 230.000 angestiegen sein. Jährlich wird etwa eine Milliarde Euro für die Versorgung Demenzkranker ausgegeben. Über 80 Prozent der Patienten werden unentgeltlich von Angehörigen betreut. Schätzungsweise leisten mehr als 100.000 Österreicher unbezahlte Betreuungsarbeit und sparen dem öffentlichen Sozialsystem viele Millionen Euro pro Jahr.

Alzheimer ist ein sehr intimes Thema für die Betroffenen und ihre Familien, über das aber offen gesprochen werden sollte. | Foto: bezirk-oberbayern.de
Alois Alzheimer beschrieb als erster die Demenzerkrankung. | Foto: KK
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