Gut gewappnet für den Jähzorn

Foto: BilderBox/Wodicka

Er kann aus einem herausbrechen: Jähzorn – mit urtümlicher Kraft und scheinbar unaufhaltsam. Laut einer amerikanische Studie hat ein Viertel der Bevölkerung derartige Jähzorn-Attacken, dass sie und andere darunter leiden.
Jähzorn ist unterdrückter, schlecht gemanagter Zorn. Zorn ist ein urtümliches Gefühl des Menschen, so etwas wie unser tierisches Erbe. Er lässt uns bei Bedrohungen angemessen reagieren. Zorn kommt unmittelbarer ohne Filterung. Im Gegensatz dazu sind Wut und Ärger soziale Gefühle, die erst nach kognitiver Bewertung entstehen.
Jähzorn wiederum entsteht, wenn man versucht, Zorn zu unterdrücken, statt ihm zu begegnen. Jähzorn-Attacken haben oft einen nichtigen Anlass: Etwa, dass der Partner die falsche Serviette auf den festlichen Tisch legt. Dann wird auf das Übelste geschimpft, es werden Gegenstände zertrümmert.
Jähzorn ist gefährlich. Er zerstört Beziehungen und Rückhalt. Bei drei bis vier Jähzorn-Attacken pro Jahr, spricht die Psychologie von einer krankheitswertigen Störung. In der Regel sind Jähzornige nach ihrer Attacke reumütig. Oft aber verzichten sie auf Aufarbeitung und versuchen, das „Monster“ einzusperren. So beginnt ein Kreislauf aus Attacke, Reue, Scham, Mauern und nächster Attacke.
Fest steht aber: Menschen haben zwar unterschiedliche Temperamente, aber niemand hat einen „Jähzorn-Automatismus“ eingebaut. Ob wir jähzornig sind, entscheidet sich im Laufe unserer Sozialisation – durch die Art, wie wir lernen mit unseren Gefühlen umzugehen. Neurowissenschaftliche Forschung zeigt, dass wir Menschen unseren Gefühlshaushalt steuern können. Wir sind also nicht Opfer unseres Stammhirns.
Jähzornige Menschen mögen sich in den allermeisten Fällen selbst nicht. Vor jeder Jähzorn-Attacke steht unbewusst tiefe Abwertung. Dazu kommen das Gefühl, nicht gemocht zu werden. Der Jähzornige ist Gefangener seiner negativen Gefühle, die aufkommen, weil er sich nach Anerkennung sehnt.

Folgendes können Sie tun
1. Lieben Sie sich selbst. Tun Sie sich etwas Gutes. Sagen Sie sich, was Ihnen gelingt und lassen Sie es sich von anderen sagen. Führen Sie Tagebücher darüber.
2. Seien Sie achtsam. Nehmen Sie wahr, was in Ihnen vorgeht. Seien Sie rücksichtsvoll mit sich selbst. Eine tägliche Meditation von 15 Minuten kann enorm gut tun.
3. Bemerken Sie mehr und mehr die Zeichen heranziehenden Jähzorns: Dies sind körperliche Gefühle. Dann können Sie entscheiden: liefern Sie sich den Empfindungen aus oder handeln Sie.
4. Das Wichtigste ist, die eigene Reaktion zu verzögern. Das kann durch langsames Ein- und Ausatmen gelingen. Sie können dabei ein Nasenloch zuhalten. Es kann auch hilfreich sein, sich aufrichten, zwei Schritte zurückzugehen, und sich zu sagen: „Langsam, jetzt mit aller Ruhe. Du bist in Ordnung.“
So können Sie selbst lernen, dass Anzeichen des Jähzorns zum Abrufen von Souveränität führen. Wenn Sie denken „Oh Gott, bitte nicht!“, beflügelt das den Jähzorn. Sie können sich aber auch sagen: „Hier sind die Zeichen, und hier ist meine souveräne Reaktion“.
5. Sprechen Sie über Ihren Jähzorn, bauen Sie sich ein Unterstützungsnetz auf. Erlauben Sie anderen, angemessen mit Ihnen umzugehen.
6. Wenn Ihnen eine Jähzorn-Attacke auskommt, belassen Sie es nicht bei einer kurzen Entschuldigung und mauern dann ab. Üben Sie sich in Wiedergutmachung. Strengen Sie sich dafür an. Das bringt das Gefühl des Nützlichseins, der Stärke und der Möglichkeit „Ich kann mich konstruktiv damit auseinandersetzen“.

DER EXPERTE
Dr. Philip Streit
ist Psychologe, Psychotherapeut und Lebens- und Sozialberater.
Seit 20 Jahren leitet er das „Institut für Kind, Jugend und Familie“ in Graz, das größte Familientherapiezentrum der Steiermark.
Jede Woche beantwortet er in der „WOCHE“ eine Frage rund um Erziehung und Beziehung.
Ihre Anregungen und Fragen können Sie per E-Mail an die Redaktion schicken:
elisabeth.poetler@woche.at

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