Geschichte: Schmetterlingsleben

Schmetterlingsleben

Lange Zeit lebte ich zufrieden und satt in einem dunklen Kokon. Hier in dieser engen Welt fühlte ich mich beschützt und geborgen. Verschiedene Außengeräusche nahm ich nur gedämpft wahr, deren Bedeutung interessierte mich nicht, sie beunruhigten mich eher.
Eines Tages spürte ich eine große Unruhe in mir, ich konnte mir die Ursache dafür Auf einmal bekamen die starken Außenwände meiner einer einst sicheren Behausung bekamen Sprünge. Dadurch konnte ich voller Neugierde durch sie in eine andere Welt blicken. Schemenhaft erkannte ich Licht und alles um mich war grün und bunt. Ich hörte eine sympathische Stimme, die mich herzlich begrüßte und mir wundervolle Dinge über diese mir völlig unbekannte Welt erzählte.
Ich bemühte mich alles deutlicher zu erkennen. Das war sehr anstrengend. Wenn ich meine Augen zusammenkniff und sie fest rieb, dann sah ich für kurze Momente jene Dinge, von denen mir diese Stimme erzählte.
Liebevoll versuchte man mich mit Worten zu überzeugen, mutig zu sein und die Herausforderung meine dunkle Welt zu verlassen, anzunehmen. Ich spürte, dass die Zeit reif dafür war.
Mit Herzklopfen bündelte ich meine ganze Kraft, die mir in dieser Zeit zur Verfügung stand und ich zwängte mich durch einen Spalt meiner Behausung nach draußen.
Die Sonne blendete mich und das erstmalige Ausstrecken meiner Flügel tat mir sehr weh. So einfach, wie ich zuerst dachte, war es doch nicht.
Rückblickend kann ich nun sagen, dass diese Veränderung die anstrengendste Zeit meines Lebens war. Erstmalig kam ich mit dem Wind in Berührung, der es mir immer sehr schwer machte, meine geplante Flugrichtung einzuhalten. Der Regen schwächte mich und oftmals musste ich geduldig warten, bis meine Flügel wieder trocken waren. Langsam gewann ich an Sicherheit und vertraute immer mehr meinem Lebensweg.
Ich erinnerte mich an die Worte jener Wesen, die mir Mut und Selbstvertrauen zu sprachen.
Ich fliege nun mit weit ausgestreckten Flügeln durch diese wunderbare Welt und drehe mich voller Freude im Kreis. Den Nektar der Blüten und Pflanzen, der mich nährt, genieße ich dankbar. Jedoch kehre ich immer wieder zu meinem alten Schlupfloch zurück. Hier fühle ich mich besonders sicher. Zeitgleich beobachte ich traurig den Verfall meiner ehemaligen Wohnung.
Heute ist ein ganz besonderer Tag, ich bekomme wieder Besuch. Dieser erzählt mir begeistert von seiner Welt, von unendlichen Weiten, fremdartigen Blumen, einzigartigen Düften und von der wahren Freiheit. In mir gerät alles ins Wanken. Ich sehe meine jetzige Welt mit anderen Augen. Es tun sich so viele Fragen auf! „Wohin, wann und warum?“ Wer wird mir die Antworten dazu geben? Mein Besuch lächelt nur, verabschiedet sich und fliegt in seine Welt, wo ich nun auch gerne wäre.
Plötzlich ziehen dunkle Wolken auf, ein Gewitter nähert sich rasant. Ich suche Unterschlupf in meinem alten, zerfallenen Zuhause. Doch es kann mir keine Sicherheit mehr geben, eine Sturmbö reißt mich mit…
Als ich erwache, liege ich unter dem großen Blatt einer Sonnenblume. Vorsichtig setze ich mich auf, kontrolliere ob alles heil ist und strecke meine Flügel zum Trocknen aus. Alles um mich herum ist mir so fremd. Deshalb versuche ich zuerst einen Überblick zu bekommen. Ich fasse meinen ganzen Mut zusammen und probiere zu fliegen - und es funktioniert.
Erleichtert erhebe ich mich in die Lüfte und bekomme vor lauter Staunen meinen Schmetterlingsmund nicht zu. So wunderbar ist diese Welt, noch schöner, als ich es mir nach den Beschreibungen meiner lieben Freunde und Ratgeber vorstellen konnte.
Ich bin diesem Unwetter wirklich dankbar, ansonsten wäre ich sicher noch nicht hier. Ich sitze auf einer duftenden Margerite und sinniere über meinen bisherigen Lebensweg nach. Das Vertrauen in mich und der Mut haben mir bisher gefehlt.
Doch nun fliege ich in die Freiheit und in die Gewissheit, dass ich das größte Glück, den mächtigsten Baum mit saftigster Krone in der Sonne verdiene. Ich gebe mir durch diese Erkenntnis den Wert, der mir zusteht.
@ Gerda Müller-Wieser / www.gerda-mueller-wieser.at

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