Politikexperte Herwig Hösele
"Der Mensch kann nicht alles steuern und beherrschen"

Kritisch-optimistisch: Herwig Hösele glaubt an das Gute im Menschen und in Österreich. | Foto: Parlamentsdir./Bildagentur Zolles, L.Hagen
  • Kritisch-optimistisch: Herwig Hösele glaubt an das Gute im Menschen und in Österreich.
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Es muss und wird wohl auch ein Leben nach Corona geben, in einer "neuen Normalität", wie Politiker und Experten nicht müde werden zu betonen. Die WOCHE hat daher Meinungsbildner und Querdenker gefragt, wie sie denn aussehen könnte, diese neue Normalität. Im Teil 3 unserer Serie beleuchtet der Publizist und Politikexperte Herwig Hösele die gesellschaftlichen und politischen Seiten der Zeit nach Corona.

"Politik gewinnt Vertrauen"

Das derzeit wohl am meisten diskutierte Thema gleich vorweg: die Performance der Bundesregierung in diesen Krisenzeiten. Von Hösele gibt es da Bestnoten: "Die türkis-grüne Bundesregierung mit Bundeskanzler Kurz an vorderster Stelle hat durch Kompetenz und Führungsqualität überzeugt." Genau dieser Auftritt würde auch für die Zukunft hoffen lassen, meint Hösele: "Das gewonnene Vertrauen kann Kapital für künftige nachhaltige Politik sein, wenn ich etwa an die großen Themen Budget, Integration und Klimaschutz denke."
Auch die kritisierten "Eingriffe" der Regierung entkräftet er: "Es geht immer um die Verhältnismäßigkeit. Der aus Österreich stammende Jahrhundertdenker Sir Karl R. Popper hat gesagt, es gilt für beides zu planen, für Freiheit und Sicherheit. Hier geht es um ein ausgewogenes Verhältnis." Daher vertraue er  auf den mündigen Bürger, die Medien und die Zivilgesellschaft: "Überzogene Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte haben in der österreichischen Demokratie keine Chance." 
Auch im Bereich der angesprochenen Medien sieht der ehemalige Berater der steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic eine erfreuliche Entwicklung: "Seriöse Medien gewinnen durch sorgfältige Information und Kommentierung gegenüber flüchtigen oberflächlichen (Fake)News vor allem im Netz mehr Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Das ist eine demokratiepolitische Chance für und mit Medien, die sich als systemrelevant erwiesen haben." Welche Medien sind da eingeschlossen? "Sicher der ORF, die Qualitätszeitungen, aber natürlich auch regionale Medien wie die WOCHE gehören meiner festen Überzeugung nach dazu."
Dass nach der Krise nichts mehr so sein wird wie zuvor, mag Hösele nicht glauben. "Das haben wir zum Beispiel nach der Finanzwirtschaftskrise 2008 auch gedacht. Tatsächlich wird es punktuelle und hoffentlich nachhaltig wirkende, aber keine fundamentalen Änderungen geben." Denn die Pandemie habe schon gezeigt, dass quasi über Nacht völlig überraschend für selbstverständlich Gehaltenes wie Lebensstil und Wohlstand im höchsten Maße gefährdet sein können.

"Mehr zu bewundern als zu verachten"

Deshalb sei man gut beraten, den Blick auf wesentliche Werte zu schärfen. "Bescheidenheit, Disziplin und Augenmaß sind Tugenden, die wir jedenfalls verstärkt fördern sollten. Auch die Demut vor dem Unvorhersehbaren muss im Bewusstsein bleiben. Es muss klar sein, dass es Hybris ist, zu glauben, der Mensch könne alles und jedes immer beherrschen und steuern", mahnt er ein. In der Krise gebe es jetzt viele Vorsätze, danach alles anders und besser zu machen. "Vieles davon ist sicherlich ehrlich gemeint, aber es kann wie bei den Neujahrsvorsätzen sein: Vieles kann nicht eingehalten werden, weil die menschliche Natur so ist wie sie ist." Er wolle da keinem naiv-optimistischen, sondern einem realistisch-optimistischen Menschenbild folgen. "So wie es der Literaturnobelpreisträger Albert Camus in seinem großartigen Roman ,Die Pest‘ formuliert hat: ,Was man in den Heimsuchungen lernen kann, nämlich, dass es an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gilt.‘ Es sei seine feste Überzeugung, dass unsere positiven Eigenschaften überwiegen würden: "Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Zuwendung, um nicht den großen Begriff Solidarität zu strapazieren. Anstand mit Abstand, damit Zurückdrängen der oberflächlichen Bussi-Bussi Gesellschaft. Geduld, Fröhlichkeit. Und ganz banal: Mehr Hygienebewusstsein ohne Hysterie." Eines steht für ihn aber außer Zweifel: "Ein Wertefundament, sei es nun christlich-abendländisch oder aus anderen Quellen wie der humanistischen Aufklärung geprägt, brauchen wir notwendiger den je." 

Die Politik und der Klimaschutz

Einer der politischen "Neujahrsvorsätze war der Klimaschutz – wird für den nach der Krise noch Platz sein? Das hoffe ich schon, es wird aber sicherlich eine oft konfliktreiche und schwierige Interessensabwägung geben. Aber in einer ökosozialen Marktwirtschaft wird nachhaltiges ressourcenschonendes Wirtschaften oberstes Prinzip sein. In einem solchen Wirtschaftssystem ist der umweltfreundliche und energiesparende Zugang sogar eine Chance im Wettbewerb. Dazu muss die Politik die richtigen Anreize und Signale setzen. Was aber, wenn der dafür notwendige internationale Austausch nicht mehr möglich ist? "Das kann und mag ich mir gar nicht vorstellen. Ich bin ziemlich sicher, dass in einiger Zeit der Welthandel und Tourismus sich wieder in „neuer Normalität“ dynamisch entwickeln werden", schaut Hösele, auch Präsident des steirischen "Club Alpbach positiv nach vorne.
Auch wenn es aktuell wieder eine Tendenz zu Nationalstaaten, weg von der EU gibt. "Faktum ist, dass die EU gegenwärtig nicht über die Instrumente verfügt, um die Pandemie wirksam zu bekämpfen. Diese Instrumentarien stehen jetzt einfach nur den Nationalstaaten zur Verfügung." Hier müsse man Lehren für Europa ziehen, denn nur ein offenes und in Vielfalt geeintes Europa könne seinen Bürgern eine gute Zukunft bieten. "Es gilt aber auch das Subsidiartätsprinzip zu beachten: Was kann Europa besser, was der Nationalstaat, was die Region, was die Gemeinde, was die Familie, die kleine Gemeinschaft, der Einzelne in der Zivilgesellschaft?`"

"Die Seriösen werden gewinnen"

Insgesamt gelte: Es werden die Verantwortungsbewussten und Seriösen, alle, die Lehren im vorhin skizzierten Sinne ziehen, von der Krise profitieren. Und wer wird verlieren? "Populisten, Demagogen, Angstmacherei, Realitätsverweigerer, Verharmloser, Alarmisten, Verschwörungstheoretiker, Leugner des Klimawandels, Fakenews-Produzenten." Nachsatz: "Aber leider auch allzuviele kleine und mittlere Unternehmen und Arbeitnehmer, die unverschuldet arbeitslos werden." 
Hösele schließt mit einer eindringlichen Warnung: "Sorgen machen mir jene Menschen, die irrtümlich glauben, unser Lebensstil – der Wohlstand, die Demokratie, die Menschenrechte – seien selbstverständlich und bedürfen keiner Anstrengung. Wenn das zu viele sind, dann wird es ein böses Erwachen geben."

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