Gefragte Frauen
Emina Saric ist anders mit Ausdauer
Emina Saric, Leiterin des Grazer Projekts "Heroes", weiß, wie es sich anfühlt, "entwurzelt" zu sein.
Emina Saric leitet das Projekt "Heroes", in dem sie präventiv mit jungen Männern aus sogenannten "Ehrenkulturen" arbeitet. Für ihr humanitäres Engagement wurde sie als "Österreicherin des Jahres" nominiert. Im WOCHE-Interview spricht sie über ihre Kindheit, die Flucht und den Neustart in Graz.
Im Jugoslawienkrieg haben Sie Bosnien-Herzegowina verlassen. Wie kamen Sie nach Graz?
Kurz nach dem Mauerfall absolvierte ich ein Auslandssemester in der DDR. Als ich nach diesem in das damalige Jugoslawien zurückkehrte, war mein Reisepass in Zagreb plötzlich einfach nichts mehr wert. Ich verstand die Welt nicht mehr. Zwei Monate darauf begann auch schon der Krieg. Mit dem letzten Zug flüchtete ich aus Sarajevo. Ich weiß noch, wie ich mit nur zwei kleinen Koffern zwischen Unmengen von Menschen am Bahnhof gestanden bin und wie unwohl ich mich bei den vielen Scharfschützen gefühlt habe. Im Prinzip war mir damals egal, ob Österreich, Australien oder Amerika. Ich wollte frei sein. Graz wurde es dann, weil meine jüngere Schwester auch schon hier war.
Wie haben Sie sich bei Ihrer Ankunft in Graz gefühlt?
Ich dachte mir: "Jetzt hast du dein Leben gerettet und fängst neu an." Aber es war schon auch eine surreale Umstellung. Immerhin kam ich von einem Ort, wo man sich bekriegte. Und hier waren die Menschen freundlich, respektvoll und wollten helfen.
Haben Sie mit dem Gedanken gespielt, zurückzukehren?
Ja, aber ich hatte in Bosnien-Herzegowina keine Beziehungen und Bindungen mehr. Ich war durch den Krieg und die Flucht sozusagen "entwurzelt".
Germanistik, Montessori-Pädagogik, Geschlechterforschung – wie passt das zusammen?
Ich komme aus einer Familie, in der lebenslanges Lernen immer schon dazugehört hat. Nach meiner Montessori-Ausbildung habe ich deshalb auch relativ bald damit begonnen, neue Weiterbildungsmöglichkeiten zu suchen. Für Geschlechterforschung habe ich mich dann entschieden, weil mich das Leben von Maria Montessori so beeindruckt hat. Außerdem war ich schon als Kind immer sehr erpicht auf Fairness und Gerechtigkeit und habe diese auch lautstark eingefordert. Meinen Eltern war das rückblickend manchmal vielleicht ein wenig peinlich, aber im Großen und Ganzen hat mich vor allem mein Vater immer sehr als Mensch unterstützt.
Einen Sinn für Gerechtigkeit zu haben ist doch etwas Gutes?
Ja, natürlich. Aber am Balkan gibt es leider etwas, dass man "traditionsbedingte Gewalt" nennt. Diese äußert sich zum Beispiel darin, dass Frauen dazu erzogen werden, am Tisch nicht ihre Meinung zu äußern. Deshalb hat mein Verhalten in unserem Umkreis auch oft für Diskussionen gesorgt. Die Menschen haben über mich gesagt: "Sie ist anders." Das habe ich nie verstanden. Ich wusste nicht, warum ich mich nicht verhalten durfte, wie beispielsweise meine Cousins. Umso schöner war es dann auch, im Studium "Geschlechterforschung" zu erfahren, dass es da auch etwas Wissenschaftliches gibt, das meine Gefühle und Gedanken belegt.
Wie ist es dann zu "Heroes" gekommen?
Gemeinsam mit Christina Kraker-Kölbl habe ich den Verein "Caritas Divan" gegründet, der Frauen, die von Gewalt im Namen der Ehre betroffen sind, hilft. Die größte Herausforderung bei der Arbeit mit diesen Frauen ist wohl, ihnen auch "im Kopf" zur Freiheit zu verhelfen. Sie sind in gewalttätigen Strukturen aufgewachsen – es ist nicht leicht, gedanklich aus diesen auszubrechen.
Auf die Idee für "Heroes" kamen wir bei einer Klausur. Wir dachten uns, wenn wir ausschließlich Frauen helfen, wird die Kluft zwischen den Geschlechtern nur größer. Es ist auch wichtig, mit den Männern zu arbeiten. Gemeinsam mit dem Verein für Männer- und Geschlechterthemen entstand so das Projekt "Heroes".
Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie bisher geleistet haben?
Ja, denn so wie mein Leben bisher gelaufen ist, scheint es fast, als wäre mir mein Weg vorbestimmt. Die Puzzleteile haben sich einfach gefügt. Jetzt bin ich schon gespannt, was die Zukunft bringt …
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