Geschlechterrollen in der Erziehung: Wenn Buben zum Ballett wollen

Foto: PIcsBeta

Manche Eltern machen sich Gedanken über Folgendes: „Mein Sohn will Ballett gehen, trägt Rosarot und spielt mit Puppen. Es besteht die Gefahr, dass die anderen ihn hänseln. Wie soll man mit Geschlechterrollen umgehen?“
Eines ist klar: Buben sind die wilden, spätestens ab dem 4. Lebensjahr: Dann haben sie mehr vom Hormon Testosteron im Blut. Aber das ist nicht der einzige Grund: Sie dürfen auch wild sein – bei Buben finden Eltern oder Lehrer das richtig.
Ein anderer Unterschied zwischen Buben und Mädchen ist: Burschen sind größer und kräftiger. Alles andere aber ist soziokulturell bedingt: durch Erziehung und Umgebung.

Eine Frage der Erziehung
Mädchen haben etwa die gleiche Wut im Bauch wie Jungs. Nur Jungs raufen und Mädchen schreien eher. Wir übernehmen die Geschlechterrollen, die uns vorgelebt werden.
Die Farbe Rosa etwa hat sich erst im 20. Jahrhundert zur „Mädchenfarbe“ entwickelt, dahinter steckt die Konsum- und Vermarktungsindustrie. Wir leben heute in einer Geschlechterrollen-Apartheid. Was Buben zugeschrieben wird: Wildheit, die Farben Blau, Superheroes, Waffen, Raufen, sich schmutzig machen und sich durchsetzen. Für Mädels gilt: niedlich und anpassungsfähig sein, mit Puppen spielen, die Farbe Rosa, „Germany´s Next Topmodel“ sehen und später modebewusst und sexy sein. Eine sehr verkürzte Version von Lebensqualität gegen die – zum Glück – immer mehr aufstehen. Im Reich der Genderapartheid schickt es sich auch nicht, als Bub zum Ballett zu gehen oder als Mädchen Rugby zu spielen. Was sollen Eltern nun tun?

Aufstehen gegen Klischees
Es kann nur eine Antwort geben: Den Rollenklischees entgegenzutreten, wo Sie können. Das heißt: Lassen Sie den Knaben ihre Puppen! Stellen Sie welche zur Verfügung und versorgen Sie Mädchen mit Lego. Überschreiten Sie bewusst die Grenze der Geschlechterapartheid. Aber Vorsicht: Das ist nicht so einfach. Oft fallen wir selbst unbewusst in Klischees.
Das Dilemma ist auch: Sagt man seinem Kind, es solle anders agieren, drängt man es zugleich in eine Rolle. Die Gefähr des Aussenseitertums besteht. Was tun? Seien Sie sich der Ambivalenzen rund um Geschlechterklischees bewusst und diskutieren Sie diese auch mit Ihrem Kind. Der Lohn sind Kinder, die bewusster mit den Stereotypen umgehen.

Tipps für Eltern

1. Behalten Sie im Kopf: Geschlechterklischees sind konstruiert und werden von uns aufrechterhalten.
2. Bemerken Sie Klischees. Besprechen Sie mit anderen, wie sie damit umgehen.
3. Beachten Sie, was Sie als Eltern vermitteln: Sind Jungs Fußballer und Mädchen glitzernde Feen? Ihr Vorbild ist entscheidend.
4. Bieten Sie vielfältige Geschlechterrollen an. Lassen Sie Ihr Kind verschiedene Rollen ausprobieren. Daran können Sie sehen, was es wirklich begeistert oder ob es eine Rolle nur mitspielt, weil es Anerkennung haben möchte.
5. Informieren Sie sich etwa im Internet, was engagierte Menschen gegen den Geschlechterwahn bei Kinderprodukten machen.
6. Stehen Sie zu Ihrer Einstellung, geben Sie Ihre Botschaft höflich, aber bestimmt weiter. Sie müssen niemanden nötigen. Stehen Sie hinter Ihrem Kind, wenn es für Abweichungen von Klischees gehänselt wird.
7. Holen Sie sich dabei Hilfe. So bilden sich Unterstützungsfronten und eine Vielfalt von Möglichkeiten wird erfahrbar. Das stärkt Ihr Kind. So können Mädchen und Buben mit einer Vielfalt von Erfahrungen ein gelingendes Leben führen.

DER EXPERTE

Dr. Philip Streit ist Psychologe, Psychotherapeut und Lebens- und Sozialberater.
Seit 20 Jahren leitet er das „Institut für Kind, Jugend und Familie“ in Graz, das größte Familientherapiezentrum der Steiermark.
Kontakt: www.ikjf.at oder per Tel.: 0316/77 43 44
Jede Woche beantwortet er in der „WOCHE“ eine Frage aus dem Themenfeld
Erziehung und Beziehung.
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Die Adresse dafür lautet: elisabeth.poetler@woche.at

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